Arabischer Frühling

Von der virtuellen zur realen Revolution

Demonstranten gegen die ägyptische Regierung auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Februar 2011.
Demonstranten gegen die ägyptische Regierung auf dem Tahrir-Platz in Kairo im Februar 2011. © picture alliance/dpa - Andre Pain
Von Jürgen Stryjak |
Facebook und Twitter waren für die Mobilisierung gegen Ägyptens Präsident Hosni Mubarak von entscheidender Bedeutung. Der Tahrir-Platz wurde über Nacht zu einer Kopie der sozialen Netzwerke.
Am 4. Februar 2011 ist Präsident Hosni Mubarak zwar noch im Amt, aber die Demonstranten, die den Tahrir-Platz in Kairo seit zehn Tagen besetzt halten, sie spüren, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis er zurücktritt.
An jenem Tag steht mitten in der Menge ein Mann mit einem selbstgemalten Plakat. Er ist ärmlich gekleidet, schätzungsweise 60 Jahre alt, und er weiß genau, bei wem er sich für das Zustandekommen des Volksaufstandes bedanken möchte. Auf seinem Plakat ist ein großes Facebook-Logo zu sehen.
"Das ist eine Facebook-Revolution, eine Revolution der Jugend. Sie hat's vollbracht. Mein Dank an die Jugend Ägyptens!"

"Das Medium der Stunde"

Bei der Mobilisierung der Leute waren die sozialen Netzwerke von entscheidender Bedeutung. So setzte sich zum Beispiel die Aktivistin Asmaa Mahfouz eine Woche vor Beginn des Aufstandes in Kairo vor ihre Videokamera und zeichnete einen leidenschaftlichen Appell auf:
"Wenn wir noch ein bisschen Würde haben, dann müssen wir am 25. Januar für unsere Rechte auf die Straße gehen. Wer sagt, Frauen sollten nicht demonstrieren, weil das zu gefährlich für sie sei, der sollte Männlichkeit beweisen und sich uns anschließen."
Aktivistin Asmaa Mahfouz zeichnet eine Woche vor Beginn des Aufstandes in Kairo einen leidenschaftlichen Appell mit ihrer Videokamera auf.
Aktivistin Asmaa Mahfouz zeichnet eine Woche vor Beginn des Aufstandes in Kairo einen leidenschaftlichen Appell mit ihrer Videokamera auf.© picture alliance / dpa / Christophe Karaba
Das Video erreicht in den sozialen Netzwerken Hunderttausende Ägypter. Fast alle Wortführer des Volksaufstandes kommunizierten über Twitter und waren in einer der vielen kritischen Facebook-Gruppen aktiv, denen insgesamt mehrere Hunderttausend Leute angehörten. "Kullina Khaled Said" hieß eine dieser Gruppen. Sie war es, die festgelegt hatte, wann die Proteste beginnen sollten, nämlich am 25. Januar 2011.
Andreas Jacobs war damals der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo:
"Facebook ist natürlich ein Medium, das in diesen Gesellschaften sehr gut ankommt, weil es ein paar Lücken füllt. Junge Menschen haben hier ja weniger Möglichkeiten, sich zu treffen, sich auszutauschen. Da ist natürlich Facebook das Medium der Stunde."

Facebook als Katalysator

Die Wissenschaftlerin Ghada al-Akhdar denkt, dass Facebook ein Katalysator war:
"Vorher haben die Leute immer gemeint, Politik sei was für die Elite. Außerhalb dieser Elite existierte gar keine politische Kultur. Und hier setzte dann die Wirkung von Facebook ein. Es hat die Kultur verändert."
Im virtuellen Raum treffen nämlich auf einmal – anders bislang als im wirklichen Leben – Studenten auf Arbeiter, säkulare Aktivisten auf junge Islamisten, Frauen auf Männer. Sie entdecken, was sie verbindet, und sie werden gemeinsam aktiv.
In der Nacht zum 28. Januar 2011 schaltet das Regime dann das Internet plötzlich komplett ab. Ein Glücksfall für die Aktivisten, glaubt Andreas Jacobs:
"Man kann sagen, dass diese Revolution ja erst dann an Dynamik gewann, als sich die Protestbewegung quasi vom virtuellen in den realen Raum rein bewegt hat."
Im Grunde hätte der Bewegung gar nichts Besseres passieren können. Sie muss die digitale Zivilgesellschaft in die Wirklichkeit übertragen. Der Tahrir-Platz wird gewissermaßen zu einer Kopie der sozialen Netzwerke.

Soziale Medien sind Hauptkommunikationsfeld

In den kommenden zweieinhalb Jahren sind die sozialen Medien das Hauptkommunikationsfeld. Aktionsgruppen, Bürgerinitiativen, Parteien und Nachbarschaftsgruppen, sie alle kommunizieren über Facebook und Twitter.
Als das Militär im Juli 2013 die Macht ergreift, findet diese Freiheit ein schnelles Ende. Für das Regime hat die Kontrolle des Internets nun oberste Priorität. Etlichen Aktivisten, aber auch Privatleuten, Atheisten oder Homosexuellen werden ihre Social-Media-Aktivitäten zum Verhängnis. Der Menschenrechtler Amr Abdulrahman:
"Besonders alarmierend ist es, dass die Polizei versucht zum Beispiel Atheisten bei Facebook aufzuspüren. Eine Facebook-Pinnwand ist zwar oft nur ein privater Raum, aber man kann für das, was man dort schreibt, ins Gefängnis kommen."
Aus Angst vor Repressalien verstummen viele Ägypter in den sozialen Medien, mancher meldet sein Account sogar ganz ab.
"Der Staat bekämpft die Meinungsfreiheit und schürt Ängste", sagt der einstige Aktivist Karim Farid. "Wir sollen uns vor der Freiheit und der Demokratie fürchten. Wir sollen die Polizei lieben, weil sie uns angeblich schützt. Mit dieser Begründung verletzt das Regime unsere Privatsphäre, unsere Rechte und unsere Freiheit."
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