Kreischen und Brüllen für die Emanzipation
Die tunesische Theatermacherin Meriam Bousselmi zeigt mit "Sünde Erfolg" Leiden und Kampf der arabischen Künstlerinnen. Flapsig könnte man sagen: Hier trifft Alice Schwarzer auf René Pollesch.
"Nieder mit der Muslimbrüderschaft", rufen Schauspielerinnen in Unterröcken. So heftige, direkte Szenen hat es bisher im arabischen Theater nicht gegeben. Die tunesische Theatermacherin Meriam Bousselmi geht mit ihrem neuen Stück "Sünde Erfolg" auf Konfrontationskurs. Allerdings zunächst nicht in ihrem Heimatland.
Die 30-jährige Bousselmi ist die international bekannteste Vertreterin einer neuen Generation des arabischen Theaters. Sie will nicht mehr – wie die männlichen Altmeister – Kritik in Parabeln verpacken, sondern direkt äußern. In "Sünde Erfolg" verarbeitet sie autobiografische Erlebnisse: grell, ironisch, ohne Scheu vor dem Agitprop.
Vor zwei Jahren bekam sie den höchsten arabischen Theaterpreis und hatte danach in ihrer Heimat mit viel Widerstand zu kämpfen. Eine künstlerisch erfolgreiche Frau, die die Männer übertrifft, darf es in der arabischen Gesellschaft immer noch nicht geben.
Das Stück erzählt nun die Geschichte einer Autorin und Regisseurin, die auch Meriam heißt, aber einen anderen Nachnamen trägt. Sie darf ihren Preis nicht entgegen nehmen. Ein Mann, den keiner kennt, kommt im Namen der Produktion auf die Bühne. Die Theatermacherin stürzt in eine Krise und schneidet sich in der Badewanne ihres Hotelzimmers die Pulsadern auf. Bei ihren Mitspielerinnen löst das laute, schrille Klagegesänge aus.
Eine Revue der Frauendiskriminierung
Die Aufführung spielt überhaupt meistens auf der Skala zwischen schrecklich laut und furchtbar laut. Die Schauspielerinnen aus Syrien, Marokko, Algerien und Ägypten kreischen, brüllen, jammern, grölen, was das Zeug hält, begleitet von einem männlichen Schlagzeuger. Die Regisseurin steht wieder auf. Nein, so will sie die Geschichte nicht erzählen. Sie bringt sich doch nicht um und nimmt den Kampf auf.
Eine lineare Handlung hat "Sünde Erfolg" nicht. Assoziativ springen die Schauspielerinnen von Ausflügen in die eigene Biografie zu Anklagen von Vergewaltigungen und Misshandlungen. Eine energiegeladene, hysterienahe Revue der Frauendiskriminierung. Flapsig könnte man sagen: Alice Schwarzer trifft René Pollesch auf arabisch.
Meriam Bousselmi arbeitet gerade viel in Europa. In Tunesien herrschen Chaos und Unsicherheit, die Leute gehen seltener ins Theater, die Muslimbrüder setzen Schauspieler und Mitarbeiter unter Druck. Viele können dem nicht standhalten und verlassen die Proben. Algerien ist gerade ein Zufluchtsort vieler arabischer Theatermacher. Dort investiert der Staat gerade stark in sein Netz von Regionaltheatern und eröffnet einige neue Bühnen.
"Theaterlandschaft Neues Arabien"
"Sünde Erfolg" ist eine Koproduktion des algerischen Theaterfestivals in Bejaia mit dem Festival Globalise: Cologne und dem Theater an der Ruhr in Mülheim. Dort startet Freitag das nächste Festival "Theaterlandschaft Neues Arabien", in dessen Rahmen das Stück auch gezeigt wird. So wie ein Probeneinblick in das nächste Werk Meriam Bousselmi, "Was der Diktator nicht gesagt hat", ein Monodrama über den namentlich nicht genannten tunesischen Ex-Machthaber, der sich Gesprächspartner herbei fantasiert.
Sonst steht am kommenden Wochenende in Aufführungen und Diskussionsrunden das algerische Theater im Mittelpunkt. Kernthema ist die Frage, ob in diesem Land Freiheit herrscht, weil es gerade keine offizielle staatliche Zensur gibt und sogar Aufführungen mit Nacktszenen möglich sind. Das arabische Theater bleibt ein interessanter Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen in einer unüberschaubaren Situation.
"Sünde Erfolg" läuft noch einmal am 21. November um 20 Uhr in der Alten Feuerwache Köln und dann am 23. November um 19.30 Uhr im Theater an der Ruhr Mülheim. Das Festival "Theaterlandschaft Neues Arabien" läuft im Theater an der Ruhr Mülheim vom 22. bis zum 24. November und vom 12. bis zum 27. Dezember.