Aras Ören: "Wir neuen Europäer. Ein Lesebuch"
Hg. von Friederike Fahrenhorst. Mit Illustrationen von Wolfgang Neumann.
Verbrecher Verlag, Berlin 2017, 212 Seiten, 16 Euro
Deutsch-türkischer Dialog in Versen
Er gehört zu den bekanntesten türkischstämmigen Autoren in Deutschland: Texte des Lyrikers Aras Ören hat der Verbrecher Verlag nun als Lesebuch veröffentlicht. "Wir neuen Europäer" bietet einen guten Hintergrund für all das, was heute in der Türkei passiert.
Literatur, so heisst es mitunter, trage bei zum Dialog der Kulturen. Die wohlmeinende Zuschreibung ist zumindest zwiespältig: Literatur, die ihren Namen verdient, hat wohl eher das Individuelle anstatt das Kollektive im Blick und als einzige Absicht Genauigkeit. Diese jedoch kann durchaus verstörend sein und Zeugnis eines Scheiterns.
"Niemals schwiegen wir.
Aber was wir sprachen,
waren nur Geräusche
und Geschrei im Mund"
Heißt es in einem Gedicht des deutsch-türkischen Lyrikers Aras Ören, der - 1939 in Istanbul geboren - seit 1969 in (West-)Berlin lebt. Einen imaginären "Dialog der Kulturen" zu führen, wäre ihm gewiss nie eingefallen, obwohl (oder gerade weil) die Suche nach Kommunikation, nach dem rettenden, dem Verständnis suchenden und findenden Wort sein ganzes bisheriges Werk durchzieht. Unter dem Titel "Wir neuen Europäer" ist jetzt im Berliner Verbrecher Verlag ein spannender Querschnitt seines Schreibens erschienen.
"Niemals schwiegen wir.
Aber was wir sprachen,
waren nur Geräusche
und Geschrei im Mund"
Heißt es in einem Gedicht des deutsch-türkischen Lyrikers Aras Ören, der - 1939 in Istanbul geboren - seit 1969 in (West-)Berlin lebt. Einen imaginären "Dialog der Kulturen" zu führen, wäre ihm gewiss nie eingefallen, obwohl (oder gerade weil) die Suche nach Kommunikation, nach dem rettenden, dem Verständnis suchenden und findenden Wort sein ganzes bisheriges Werk durchzieht. Unter dem Titel "Wir neuen Europäer" ist jetzt im Berliner Verbrecher Verlag ein spannender Querschnitt seines Schreibens erschienen.
Ören, seit 2012 Mitglied der Berliner Akademie der Künste, ist freilich kein Mann des schnellen Mikrofon-Statements. Sucht man jedoch zu verstehen, weshalb kürzlich überproportial viele ältere Deutschtürken beim Erdogan-Referendum mit Ja gestimmt hatten, lernt man aus seinen Versen ungleich mehr als aus einem kühl analysierenden Sachbuch.
Die Fremde begann in der Heimat
Szenen der Unbehaustheit nämlich sind es, die vor allem in den Texten aus den siebziger und frühen achtziger Jahren dominieren - diverse lyrische Erzählstimmen, deren Erinnerung an die nah-ferne Türkei alles andere als idyllisch ist. In den Gastarbeiter-Status oder ins politische Exil nach Deutschland waren sie dabei just durch jene kemalistischen Eliten gedrängt worden, die in der Türkei lange den Ton angaben und "laizistisch" mitnichten als sozial und demokratisch buchstabiert hatten. Ein karg gemachter Boden, auf dem dann Erdogans Versprechen einer "anderen Türkei" umso erfolgreicher wuchern konnte.
"Die Fremde begann schon in der Heimat", sagt eine von Örens Figuren, die sich im Unterschied zu vielen anderen jedoch eine eigene, fragmentarische Existenz aufzubauen vermag: "Die Fremde ist auch ein Haus" und
"Das Jahrhundert, in dem ich lebe,
hat mich so gemacht:
geboren 1963 in Kayseri,
Wohnort: Berlin-Kreuzberg"
Allerdings ist auch dieses Kreuzberg nicht das des inzwischen vermittelten medialen Bildes, wo international gemischte happy people bei gluten-freiem asian street food und abendlichem Gitarrespiel das Gegenstück bilden zu annoym bleibenden "neo-nationalistischen Türken, die nie in Deutschand angekommen sind". Genau dieses Milieu aber kennt Aras Ören wie kein anderer Dichter und beschreibt dessen Verengungen und Verklemmungen, den rigiden Umgang mit Sexualität (der gewiss nicht den Rückgriff auf den Koran benötigt, da sich rurale Traditionen hier ohnehin als viel prägender erweisen).
"Das Jahrhundert, in dem ich lebe,
hat mich so gemacht:
geboren 1963 in Kayseri,
Wohnort: Berlin-Kreuzberg"
Allerdings ist auch dieses Kreuzberg nicht das des inzwischen vermittelten medialen Bildes, wo international gemischte happy people bei gluten-freiem asian street food und abendlichem Gitarrespiel das Gegenstück bilden zu annoym bleibenden "neo-nationalistischen Türken, die nie in Deutschand angekommen sind". Genau dieses Milieu aber kennt Aras Ören wie kein anderer Dichter und beschreibt dessen Verengungen und Verklemmungen, den rigiden Umgang mit Sexualität (der gewiss nicht den Rückgriff auf den Koran benötigt, da sich rurale Traditionen hier ohnehin als viel prägender erweisen).
Eine sperrig-schöne Symbiose
Gleichzeitig zeigt diese lyrische Prosa aber auch einen Weg ins Offene, und so ist nicht zufällig das Langgedicht "Was ist los in der Naunynstraße" eines der schönsten dieses Bandes - Berliner Straßen-Schnoddrigkeit und eine Poesie, die von ganz woanders her kommt, aus der Differenz der Herkunft jedoch keinen Kult macht, sondern Freude hat an einer Art sperrig-schöner Symbiose:
"Du siehst hinaus und plötzlich ist
die Naunynstraße eine Steppe,
da wachsen Dornensträucher,
und in den Bäuchen der Dornensträucher
blühen lila Sonnen."
Vielleicht ließe sich ja diese hoffnungsvolle Prophezeiung wagen: Wer die Verse dieses Dichters wirklich liest, wird kaum je in Versuchung kommen, Slogans zu schreien und Fahnen zu schwenken - welche auch immer.
"Du siehst hinaus und plötzlich ist
die Naunynstraße eine Steppe,
da wachsen Dornensträucher,
und in den Bäuchen der Dornensträucher
blühen lila Sonnen."
Vielleicht ließe sich ja diese hoffnungsvolle Prophezeiung wagen: Wer die Verse dieses Dichters wirklich liest, wird kaum je in Versuchung kommen, Slogans zu schreien und Fahnen zu schwenken - welche auch immer.