Arbeit, Körper, Utopien
Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka und Neo Rauch: Auf zwei Etagen der Galerie der Gegenwart versammelt die Ausstellung "Müde Helden über 100 Gemälde dieser drei Künstler und spannt einen zeitlichen Bogen von 1900 bis ins Jahr 2000.
Eine barfüßige Frau tänzelt in leichtem, ärmellosen Kleid durch die Natur. Ferdinand Hodler malte die "Abendruhe" 1904. Einige verrußte Bergarbeiter warten vor einem Grubenschacht auf ihre Einfahrt. Aleksandr Dejnekas Bild entstand 1924. Zwei Männer mit hohen Papierhüten hantieren orientierungslos vor einer Wand mit kleinen Klappen und Kabeln. Neo Rauch malte seine "Arbeiter" 1999. Die Zusammenstellung irritiert: Wie passen der Symbolist Ferdinand Hodler, der sowjetische Künstler Aleksandr Dejneka und der heute malende Neo Rauch in ein und dieselbe Ausstellung?
Kunsthallenleiter Hubertus Gassner erklärt:
"Alle sind ja an großen gesellschaftlichen Umbruchstationen als Künstler - und nicht nur als Menschen - tätig gewesen. "Künstler" ist für mich einer, der besonders sensibel darauf reagiert."
Im Mittelpunkt steht also die Frage, wie die drei Stellung bezogen zu den wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit. Die Bilder zeigen: Ferdinand Hodler floh ab 1900 vor den Folgen von Industrialisierung und Verstädterung in eine weltentrückte Utopie voll tanzender Männer und Frauen. Aleksandr Dejneka entschied sich 1917, angesichts der Oktoberrevolution, einzugreifen in die Wirklichkeit und mit seiner Kunst den Aufbau der ersten sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen: Seine Heldinnen und Helden gestalten ihre Welt, geben dem radikal Neuen Form. Neo Rauch reagierte auf den Zusammenbruch der DDR und einen entfesselten Kapitalismus mit Geschichtspessimismus: In seinen Bilderwelten herrscht Stillstand. Seine "müden Helden" liegen schlafend im Bett oder gehen sinnlosen Tätigkeiten in einer rätselhaften Welt nach.
"Eigentlich geht es um die Utopie im 20. Jahrhundert. Also: Die erste Utopie im 20. Jahrhundert ist Hodler, der vom Symbolismus kommt und den Menschen mit der Natur versöhnen will. Er wird sozusagen der Maler des heroischen neuen Menschen. Vor allem sind es eben in Reformkleidung - Ringelpiez mit Anfassen - auf Blumenwiesen sich bewegende Jungfern. Und am Ende steht unser heutiges Zeitalter, und was aus der Industrialisierung geworden ist. Und dafür steht das Werk von Neo Rauch, dass doch vieles schief gegangen ist. Also eine große Desorientierung."
Die Ausstellung ist gegliedert in drei große Kapitel: Arbeit, Körperlichkeit, Utopie. Stets treffen in den Räumen alle drei Maler aufeinander. Gerade im Vergleich mit der eingreifenden Kunst Dejnekas wird deutlich, wie wirklichkeitsfern Hodler und Rauch agieren. Etwa bei der Darstellung von Arbeit: Hodler ignorierte die moderne Industriearbeit und malte stattdessen einen Schnitter bei der Ernte oder alte Bauern auf einer Bank. Neo Rauch zeigt Arbeit als sinnfreie Angelegenheit in einer sinn- und richtungslosen Welt. Aleksandr Dejneka, der 1899 in Kursk geboren wurde und später in Moskau der künstlerischen Avantgarde angehörte, entwickelte dagegen Bilder für das Werden einer neuen Gesellschaft.
Er tat dies auf formal unerhört gewagte Weise: Das Bild "Die Loreschieberinnen" etwa besteht aus abstrahierten Versatzstücken von Wirklichkeit und werdender Zukunft: Links sieht man den rostfarbenen Boden einer Fabrikhalle. Darüber Himmel. Davor schwebt eine barfüßige Arbeiterin in weißem Kleid. Rechts ragt ein Stück filigrane Werkshalle in die Höhe. Im Vordergrund zieht - mit dem Rücken zum Betrachter - eine zweite Arbeiterin eine Lore und wird beim nächsten Schritt aus dem Bild fallen. Und ganz rechts ist die Bildfläche weiß geblieben. Mit dieser offenen, assoziativen Malweise appelliert Dejneka an den Betrachter, das werdende Neue weiterzudenken und mitzugestalten.
"Das ist für mich eben das Zeichen, dass er sagt: Wir wissen gar nicht, wie es weitergeht. Im Moment ist noch die Schwerarbeit da. Aber aus der Schwerarbeit entsteht eine Zukunft. Für die Zukunft steht diese filigrane Halle. Also es ist ein Entwurf: Ein Entwurf im intellektuellen Sinne, aber auch im geschichtsphilosophischen Sinne und im ingenieurstechnischen Sinne. Rechts ist der Entwurf auch noch ganz offen, das Bild ist auch noch offen, es ist nicht zu Ende. Das heißt: Er sagt nicht, übermorgen sieht es so aus, die sozialistische Gesellschaft wird so und so sein. Nein. Im Moment ist es so. Und die Perspektive, die Dynamik ist gezeigt, aber mehr noch nicht."
Mit dem etwas irritierenden Titel "Müde Helden" - der ja nur auf Neo Rauchs Gestalten zutrifft - ist der Kunsthalle eine ungewöhnliche Ausstellung gelungen: Die Idee, Kunst einmal vorrangig als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen zu betrachten, verändert die Sicht auf Hodler und Rauch. Vor allem bei Rauch wird deutlich, wie sehr seine Bildwelten die Vorstellung spiegeln, die Wirklichkeit sei undurchschaubar und es gäbe zum Bestehenden keine Alternative. Dagegen steht Dejneka: Was er in waghalsigen Perspektiven, der Dynamik des Bildaufbaus, den Bemühungen seiner Helden konsequent vorführt, ist die in Kunst übertragene Erkenntnis: Gesellschaftliche Verhältnisse werden von Menschen gemacht. Sie sind veränderbar.
Kunsthallenleiter Hubertus Gassner erklärt:
"Alle sind ja an großen gesellschaftlichen Umbruchstationen als Künstler - und nicht nur als Menschen - tätig gewesen. "Künstler" ist für mich einer, der besonders sensibel darauf reagiert."
Im Mittelpunkt steht also die Frage, wie die drei Stellung bezogen zu den wichtigen gesellschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit. Die Bilder zeigen: Ferdinand Hodler floh ab 1900 vor den Folgen von Industrialisierung und Verstädterung in eine weltentrückte Utopie voll tanzender Männer und Frauen. Aleksandr Dejneka entschied sich 1917, angesichts der Oktoberrevolution, einzugreifen in die Wirklichkeit und mit seiner Kunst den Aufbau der ersten sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen: Seine Heldinnen und Helden gestalten ihre Welt, geben dem radikal Neuen Form. Neo Rauch reagierte auf den Zusammenbruch der DDR und einen entfesselten Kapitalismus mit Geschichtspessimismus: In seinen Bilderwelten herrscht Stillstand. Seine "müden Helden" liegen schlafend im Bett oder gehen sinnlosen Tätigkeiten in einer rätselhaften Welt nach.
"Eigentlich geht es um die Utopie im 20. Jahrhundert. Also: Die erste Utopie im 20. Jahrhundert ist Hodler, der vom Symbolismus kommt und den Menschen mit der Natur versöhnen will. Er wird sozusagen der Maler des heroischen neuen Menschen. Vor allem sind es eben in Reformkleidung - Ringelpiez mit Anfassen - auf Blumenwiesen sich bewegende Jungfern. Und am Ende steht unser heutiges Zeitalter, und was aus der Industrialisierung geworden ist. Und dafür steht das Werk von Neo Rauch, dass doch vieles schief gegangen ist. Also eine große Desorientierung."
Die Ausstellung ist gegliedert in drei große Kapitel: Arbeit, Körperlichkeit, Utopie. Stets treffen in den Räumen alle drei Maler aufeinander. Gerade im Vergleich mit der eingreifenden Kunst Dejnekas wird deutlich, wie wirklichkeitsfern Hodler und Rauch agieren. Etwa bei der Darstellung von Arbeit: Hodler ignorierte die moderne Industriearbeit und malte stattdessen einen Schnitter bei der Ernte oder alte Bauern auf einer Bank. Neo Rauch zeigt Arbeit als sinnfreie Angelegenheit in einer sinn- und richtungslosen Welt. Aleksandr Dejneka, der 1899 in Kursk geboren wurde und später in Moskau der künstlerischen Avantgarde angehörte, entwickelte dagegen Bilder für das Werden einer neuen Gesellschaft.
Er tat dies auf formal unerhört gewagte Weise: Das Bild "Die Loreschieberinnen" etwa besteht aus abstrahierten Versatzstücken von Wirklichkeit und werdender Zukunft: Links sieht man den rostfarbenen Boden einer Fabrikhalle. Darüber Himmel. Davor schwebt eine barfüßige Arbeiterin in weißem Kleid. Rechts ragt ein Stück filigrane Werkshalle in die Höhe. Im Vordergrund zieht - mit dem Rücken zum Betrachter - eine zweite Arbeiterin eine Lore und wird beim nächsten Schritt aus dem Bild fallen. Und ganz rechts ist die Bildfläche weiß geblieben. Mit dieser offenen, assoziativen Malweise appelliert Dejneka an den Betrachter, das werdende Neue weiterzudenken und mitzugestalten.
"Das ist für mich eben das Zeichen, dass er sagt: Wir wissen gar nicht, wie es weitergeht. Im Moment ist noch die Schwerarbeit da. Aber aus der Schwerarbeit entsteht eine Zukunft. Für die Zukunft steht diese filigrane Halle. Also es ist ein Entwurf: Ein Entwurf im intellektuellen Sinne, aber auch im geschichtsphilosophischen Sinne und im ingenieurstechnischen Sinne. Rechts ist der Entwurf auch noch ganz offen, das Bild ist auch noch offen, es ist nicht zu Ende. Das heißt: Er sagt nicht, übermorgen sieht es so aus, die sozialistische Gesellschaft wird so und so sein. Nein. Im Moment ist es so. Und die Perspektive, die Dynamik ist gezeigt, aber mehr noch nicht."
Mit dem etwas irritierenden Titel "Müde Helden" - der ja nur auf Neo Rauchs Gestalten zutrifft - ist der Kunsthalle eine ungewöhnliche Ausstellung gelungen: Die Idee, Kunst einmal vorrangig als Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen zu betrachten, verändert die Sicht auf Hodler und Rauch. Vor allem bei Rauch wird deutlich, wie sehr seine Bildwelten die Vorstellung spiegeln, die Wirklichkeit sei undurchschaubar und es gäbe zum Bestehenden keine Alternative. Dagegen steht Dejneka: Was er in waghalsigen Perspektiven, der Dynamik des Bildaufbaus, den Bemühungen seiner Helden konsequent vorführt, ist die in Kunst übertragene Erkenntnis: Gesellschaftliche Verhältnisse werden von Menschen gemacht. Sie sind veränderbar.