Arbeiten bei Twitter, Google und Co.

Es rumort im Silicon Valley

21:58 Minuten
Das Twitter-Logo - der weiße Vogel - vor blauem Hintergrund, auf dem in der Ferne schwarze nebeneinander stehende Silhouetten erkennbar sind, die der Reihe nach umkippen.
"The bird is freed": Am 4. November entließ Elon Musk, der neue Twitter-Chef, rund die Hälfte der 7500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kurznachrichtendienstes. © IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Andre M. Chang
Von Nils Dampz, Katharina Wilhelm und Mia von Hirsch |
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Vom Tellerwäscher zum Millionär war einmal: Auch am bedeutendsten Hightech-Standort der Welt, dem Silicon Valley, haben sich Arbeitsbedingungen verändert. Nicht zuletzt durch Pandemie und Rezession. Das betrifft nicht nur Twitter unter Elon Musk.
Am Eingang steht ein blaues Kamel. Drei Meter hoch, und es ist nicht alleine hier. Nur erinnert hier nichts an ein Büro. Das Dach ähnelt eher einem chinesischen Palast. Es besteht aus tausenden kleinen Solarpanelen. Und innen: ein großer Raum mit besonderer Ausstattung. Alle paar Meter ein neuer Bereich mit einem neuen Thema.
Ein schwarzer glänzender Dinosaurier streckt seinen langen Hals in die Luft.
Arbeiten mit Dinosaurier: Im Google Bay View, dem wohl teuersten neuen Bürogebäude der Welt, ist alles möglich.© Nils Dampz, ARD-Studio San Francisco
"Dinosaurierdistrikt. The plankton Palace. Red Wood realm.", ist zu hier lesen. Es ist ein bisschen wie ein Freizeitpark hier. Nur dass es keine Achterbahn gibt. Essen, Drinks, Kaffee - hier ist alles kostenlos. Dass hier natürlich auch gearbeitet wird, fällt gar nicht groß auf.
Überall sind so kleine Sitzgruppen, da sitzen Menschen zusammen. Die haben Laptops auf dem Schoß. Die gucken sich an, die lächeln auch ein bißchen und sehen relativ entspannt aus. Sprechen kann ich nicht mit ihnen. Die Werbeanzeigen-Abteilung ist hier untergebracht. Und überall Pflanzen.
Der Boden ist aus Beton, die zebrastreifenartigen Aufkleber haben keine Funktion. Wahrscheinlich sollen sie einfach nur schick aussehen. Wie alles hier.
Ein futuristisches flaches großes und ein kleines zeltartiges Gebäude stehen am Rand einer Wasserlandschaft.
Eine Ansage im Silicon Valley: Der neue Google Bay View Campus wurde erst im Mai eröffnet und soll bis 2030 kohlendioxidfrei funktionieren. © IMAGO / Cover-Images
Zwei Ebenen hat der Bay-View-Komplex. Treppe rauf. Hier sieht es schon mehr nach Büro aus.
„Second floor is the work place station", erklärt Lois Kim. Die Google-Sprecherin führt mich durch das Gebäude. Oben gibt es Einzelschreibtische für vertraulichere Calls. Und unten den großen offenen Raum. Die Leute können sich auch zufällig treffen. Daher kommt die ganze Kreativität. Die ganzen guten Ideen.

Flexibilität ist wichtig

Das Wort, das hier sehr oft fällt, ist Flexibilität. Tische können zum Beispiel je nach Gruppengröße schnell zusammengeschoben werden. Und auch flexibles Arbeiten ist ein großes und umstrittenes Thema bei den Tech-Konzernen. Wie sieht der Alltag nach der Pandemie aus?
Eine mehrstöckige Bürolandschaft mit Pflanzen und abgehängter Decke.
„Die Leute können sich auch zufällig treffen. Daher kommt die ganze Kreativität." – Das Google Bay View von innen. © IMAGO / Cover-Images
Bei Google müssen Mitarbeitende mindestens drei Tage die Woche im Büro sein. Autobauer Tesla verlangt mindestens 40 Stunden Anwesenheit pro Woche, bei Apple sind es auch drei Tage.
Auch Steven McGraph will mehr Flexibilität. Er arbeitet bei Apple und unterstützt die Gruppe „Apple Together“. Mitarbeiter haben sich zusammengeschlossen. Eines ihrer Ziele: das Recht auf permanentes Arbeiten von zu Hause.
Es gäbe eine Distanz zwischen Belegschaft und Management, sagt McGraph dem Sender NBC. Eine entsprechende Petition hat allerdings nur eintausendeinhundert Unterschriften. Allein in Kalifornien arbeiten knapp 40.000 bei Apple.
Bei anderen Firmen wie Meta können die Mitarbeitenden auch komplett zu Hause bleiben. Das habe Vorteile, sagt Matthew Kahn, Wirtschaftsprofessor an der University of Southern California.
„Ins Silicon Valley zu pendeln, das dauert lange, das kostet viel Zeit und Geld im Stau.“

Wie können neue Arbeitszeitmodelle aussehen?

Die Bosse, so vermutet Kahn, wollten mit der Office-Pflicht auch testen, wie loyal Mitarbeitende zur Firma stehen. Am Ende werde da zwar niemand gefeuert, glaubt er. Die Diskussion sei eher eine Verhandlung zwischen Belegschaft und Chefetagen, wie die neuen Arbeitszeitmodelle aussehen können.
Eins sei aber sicher: Die Arbeit von zu Hause wird bleiben. Nicht nur bei Google. Doch das wirft die Frage auf: Wie überprüft man eigentlich, ob und wie gut da gearbeitet wird, im Homeoffice? Eine Antwort ist Überwachungssoftware, berichtet Mia von Hirsch:
Aufwachen! Die ersten Mails im Pyjama beantworten, beim Zähneputzen die Morgenkonferenz mithören und in der Mittagspause kurz mit dem Hund raus – Homeoffice macht es möglich. Für viele Arbeitgeber in den USA ist diese Freiheit vor allem eines: nicht messbar. Daher kommt Software zum Einsatz. Überwachungssoftware. So ging es auch Dustin.
“Ich hatte Chefs, die gesagt haben: Wenn du im Homeoffice sein willst, dann müssen wir dich überwachen. Ich habe im Marketing gearbeitet, und diese Überwachung hat der Arbeit nicht gutgetan.”
Arbeitssetting mit Telefon und Händen auf dem Laptop.
Homeoffice ja aber ... – Viele Arbeitgeber in den USA nutzen Überwachungssoftware, um ihre Mitarbeiter zu kontrollieren.© imago / Westend61 / Kniel Synnatzschke
Dustin hat in einem der weltweit größten Tech-Unternehmen in Kalifornien gearbeitet. Welches genau will er nicht verraten. Drei Jahre arbeitete er dort und wurde digital überwacht. Für ihn hieß das Druck.

Alle waren ängstlich, gefeuert zu werden oder einen Fehler zu machen. Es gab mehr interne Konflikte, als dass man noch Energie übrig gehabt hätte, um sich noch auf die Konkurrenz zu konzentrieren. Für mich hat es jede Menge Angst erzeugt, die nicht hätte da sein müssen.

Dustin, Mitarbeiter in einem Tech-Unternehmen

Die andere Seite ist die der Arbeitgeber. Miranda ist Office Managerin – so etwas wie eine Bürokauffrau. Sie arbeitet in einem kleinen Softwareunternehmen in Nevada. Ihre Aufgabe momentan: So eine Überwachungssoftware zu finden. Denn:
 “Unsere Mitarbeitenden arbeiten nicht, wenn sie sagen, dass sie es tun. Das ist das Problem unserer Firma momentan. Wir haben Beschwerden von Kunden bekommen, die sagen: 'Hey, euer Team kommuniziert nicht gut` Auch Mitarbeitende haben sich beschwert, dass Kolleginnen und Kollegen schwer erreichbar sind.”

Überwachung verletzt oft Privatsphäre

Bisher gibt es kaum Kontrolle. Nur die Funktion, sich online an- oder abmelden zu können. Das wird sich jetzt ändern: Die neue Software soll Einsicht in alle E-Mails geben und automatische Screenshots bei bestimmten Schlüsselwörtern machen. Miranda ist für eine Überwachungssoftware. Gleichzeitig findet sie: Das Ausmaß der Überwachung verletzt häufig die Privatsphäre der Mitarbeitenden.

99 Prozent der Software, die es gibt, ist sehr, sehr invasiv. Sie überwachen die Mitarbeitenden 24/7, machen komplette Bildschirmaufnahmen. Und dann gibt es sogar die Option, Ton aufzunehmen. Also wenn ich das wollte, könnte ich mir alle Gespräche der Mitarbeitenden anhören.

Miranda, Office Managerin in Nevada

Technisch gesehen ist vieles möglich. Auch im Büro kommt solche Software zum Einsatz. Im Homeoffice, von so einem Fall berichtet die New York Times, wird manchmal auch auf die Webcam zugegriffen, die dann alle zehn Minuten ein Foto macht. Sitzt jemand in diesem Moment nicht vor dem Bildschirm, ist vielleicht auf Toilette oder sich ein Glas Wasser holen, wird er oder sie für diese zehn Minuten nicht bezahlt.

"Das fühlt sich falsch an"

Bei einer Umfrage auf der Straße in Santa Monica begegne ich niemandem, der sich mit der Idee, bei der Arbeit überwacht zu werden, wohlfühlt.
 “Dein Zuhause ist deine Privatsphäre, dein Frieden. Wenn sie dich zu Hause überwachen, das fühlt sich falsch an, das würde ich nicht akzeptieren.”
“Ich habe Glück, ich habe einen Arbeitgeber, der uns erlaubt zwei Tage von Zu Hause aus zu arbeiten. Aber sie vertrauen uns. Wenn sie morgen sagen würden, wir wollen alle zehn Minuten checken, ob du vor dem Bildschirm sitzt, das würde unser Verhältnis ändern.”
Überwachungssoftware wird aber nicht nur bei Angestellten eingesetzt, sondern auch um die Mediennutzung von Kindern zu kontrollieren oder aber Sicherheitslücken zu schließen, sagt Elizabeth Harz, Geschäftsführerin von Awareness Technology. Eine der großen Firmen für Überwachungssoftware. Seit der Pandemie ist der Markt für Überwachungssoftware stark gewachsen.

80 Prozent der Firmen nutzen Überwachungssoftware. Die meisten teilen die Info in mit ihren Angestellten in Handbüchern. 90 Prozent der Schulsysteme teilen mit Schülerinnen, Schülern und Eltern, dass sie solche Software einsetzen. Ich würde sagen, die Menschen in den USA sind mehr und mehr an diese Art der Technik gewöhnt.

Elizabeth Harz, Geschäftsführerin einer Firma für Überwachungssoftware

Vorteile der Überwachung?

Harz kennt die Kritik, sieht aber in der Überwachung eher Vorteile. Sie findet die Daten, die ihr die Software gibt, verlässlicher als menschliche Eindrücke.
“Diese Technologie könnte Vorurteile reduzieren. In einem traditionelleren Arbeitsumfeld würde man vielleicht eine Mutter sehen, die um halb fünf geht, um ihr Kind abzuholen. Leute im Büro könnten mit ihren menschlichen Vorurteilen denken, oh, diese Frau ist weniger produktiv, weil sie immer früher geht.
Aber wenn man sich dann ihre Ergebnisse anschaut, könnte sie total abliefern. Oder vielleicht arbeitet sie abends noch mal für fünf Stunden, während ihre Kolleginnen und Kollegen Baseball spielen oder schlafen.”
Im Vordergrund das Meta-Logo und im Hintergrund ein Porträt von Mark Zuckerberg auf blauem Grund.
Nicht nur Elon Musk feuert. Rrund 11.000 Jobs ließ Meta-Chef Mark Zuckerberg streichen, der größte Stellenabbau in der Geschichte der Firma.© IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Adrien Fillon
Noch ein Vorteil kann sein, sich selbst zu motivieren, sagt Dennis Heckhausen. Er arbeitet bei Teramind, einem anderen großen Hersteller für Überwachungssoftware. Und auch in unserem Interview läuft die Überwachungssoftware bei ihm mit. 
“Auch ich habe meinen Monitor und er ist immer an. Ich logge mich am Morgen in meinen eigenen Report ein und sehe, ok gestern war ich super produktiv. Heute kann ich es genauso machen wie gestern. Denn da ist es gut gegangen. Und ich sehe auch, wenn meine Produktivität abgenommen hat, wenn ich zum Beispiel nicht so schnell getippt habe.“

Was ist "Quiet Quitting"?

Für die Unternehmen ist die Überwachung des Arbeitsplatzes ein großer Vorteil – und ermöglicht vielleicht mehr Menschen, dauerhaft von zu Hause arbeiten zu können. Ist das die “schöne neue Arbeitswelt”? Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen scheint die immer öfter nicht mehr so attraktiv zu sein. Der Begriff “Quiet Quitting” macht die Runde. Katharina Wilhelm erklärt, was dahinter steckt: 
„Quiet Quitting“ – übersetzt heißt das etwa so was wie „stilles oder inneres Kündigen“ – meint aber etwas anderes, als wirklich zu kündigen, wie TikTok User Zaid Kahn erläutert:

Ich habe kürzlich den Begriff ‚Quiet Quitting‘ gehört, bei dem man seinen Job nicht direkt kündigt, sondern die Idee aufgibt, sich über die Maßen reinzuhängen. Man erfüllt immer noch seine Pflichten, aber man verabschiedet sich von der Mentalität, dass Arbeit das ganze Leben sein muss. Die Realität ist, dass dies nicht der Fall ist – als Person werde ich nicht durch die Arbeit definiert.

Zaid Kahn, TikTok User

Das Video von Kahn wurde rund 3,5 Millionen Mal geschaut. Auch andere User berichten von dem neuen Arbeitsgefühl. Statt tausend Prozent zu geben, Extraarbeit einzufordern, und auch am Wochenende erreichbar zu sein, ließen sie um 5 Uhr quasi den Hammer fallen und räumten ihrer Freizeit mehr Platz ein. Striktes nine to five sozusagen.

Rückzug aus der Arbeitswelt

Warum gerade jetzt viel über die Arbeitskultur gesprochen wird, das hat auch mit der Pandemie zu tun. Und damit, dass mehr Menschen im Homeoffice waren und sich so Perspektiven geändert hätten, meint Autorin Jennifer Moss. Sie hat ein Buch namens “The Burnout Epidemic” geschrieben. Es berichtet von überforderten und ausgebrannten Arbeitnehmern. Im Interview mit NPR sagte sie:
“Ich habe das Buch schon vor der Pandemie geschrieben, um zu sagen: Wir haben hier ein großes Problem. Und die Pandemie führt dazu, bestehende Probleme zu verschärfen. Wir haben einen Rückzug beobachtet, denn das ist ‚Quiet Quitting‘ wirklich: ein Rückzug aus der Arbeitswelt.”
Umfragen belegen, dass vor allem jüngere Menschen zwischen 18 und 25 quiet quitten.
„Quiet Quitting“ steht im krassen Gegensatz zu einer anderen amerikanischen Arbeitsmoral, die manche „Hustle Culture“ nennen oder auch “above and beyond” also mehr zu geben, als gefordert wird, nach dem Motto: vom Tellerwäscher zum Millionär mit ein paar Überstunden.
Vor allem die ältere Generation scheint fürs „Quiet Quitting“ weniger Verständnis zu haben und auch auf TikTok gibt es Videos, in denen der Generation Z und den Millennials regelrecht Faulheit vorgeworfen wird.
Denn – so der Tenor – wenn man etwas wolle, ein neues Auto oder ein Haus, dann müsse man einfach mehr tun. Was die Diskussion offenbart, sind vor allem die großen Unterschiede zwischen den Babyboomern, den Millennials und der Generation Z. Letztere können sich nämlich vor allem durch Studentenkredite und Inflation sowie durch gestiegene Hauspreise schlicht weniger leisten.
Früher habe man sich mit extra Arbeit viel schneller ein Haus kaufen können, sagt dazu ein TikTok User.
Amazon-Eingangsschild vor einem Amazongebäude aus Beton.
Stellenstreichungen auch bei Amazon: 10.000 Entlassungen sollen es bei dem US-Technologiekonzern sein, weil nicht mehr so exzessiv bestellt wird wie in der Corona-Pandemie. © IMAGO / Future Image / IMAGO / John Nacion
Quiet Quitting meint also vieles: Selbstfürsorge, Burn-out Prävention, Work-Life-Balance, gepaart mit dem Frust, dass Reichtum und Besitz für jüngere Menschen in weite Ferne gerückt sind. Die Diskussion ist keineswegs nur abstrakt, denn aus „Quiet Quitting“ wird offenbar immer öfter auch ein lautes Kündigen.

Arbeiten gehen um zu leben – nicht umgekehrt

Ein Problem für Arbeitgeber, denn die suchen mittlerweile händeringend nach Arbeitskräften. Und zum Trendbegriff “Quiet Quitting" kommt eine neuer dazu: “Quiet Firing”, was ungefähr meint, dass Arbeitnehmer in ihrem Job nicht aufsteigen können, obwohl sie alles geben und der Arbeitgeber das regelrecht verhindere.
Verschieben sich derzeit die amerikanischen Werte, die Arbeitsmoral, wird aus „Live to work“ „Work to live“ also: arbeiten gehen, vor allem um zu leben?
Volker Grzimek, Professor für Volkswirtschaftslehre am Berea College in Kentucky, sieht durchaus, dass sich US-amerikanische Arbeitnehmer zusehends von den Firmen entfernen:  

Leute identifizieren sich nicht mehr in gleichem Maße mit ihrem Arbeitgeber wie in der Vergangenheit. Was natürlich Einiges darüber aussagt, wie sich das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat.

Volker Grzimek, Professor für Volkswirtschaftslehre in Kentucky

Zehntausende Jobs wurden gerade gestrichen

Im Herzen der Tech-Industrie in San Francisco und im Silicon Valley rumort es jedenfalls gerade kräftig. Der Höhenflug der Big Tech Firmen scheint irgendwie vorbei zu sein. Zehntausende Jobs wurden in den vergangenen Wochen gestrichen.
Twitters neuer Chef Elon Musk beispielsweise fegte einmal komplett durch, nachdem er Twitter übernommen hatte. Erst entließ er etwa die Hälfte der Angestellten, dann überließ er es den Mitarbeitenden, selbst zu wählen: gehen und „hardcore“ Arbeiten, wie er es nannte, oder freiwillig gehen mit drei Monatsgehältern Abfindung.
Mehr als tausend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entschieden sich für Letzteres – wohl auch, weil das Arbeiten unter dem erratischen Milliardär Elon Musk für viele zur Qual wurde.
Eine Frau mit langen Haaren in geblümtem Kleid in einer Küche.
Erniedrigende Entlassung: Melissa Ingle war Datenwissenschaftlerin bei Twitter, bis Elon Musk kam.© Nils Dampz, ARD-Studio San Francisco
Melissa Ingle, die als Datenwissenschaftlerin bei Twitter gearbeitet hat, beschrieb die Art und Weise, wie sie entlassen wurde als „unpersönlich und erniedrigend“.
Wirtschaftsjournalist Casey Newton berichtet, dass sich die einst eher offene Arbeitskultur bei Twitter unter Musk schlagartig verändert habe:

In einigen Fällen, so scheint es, wurden Mitarbeiter einfach entlassen, weil sie ihre kritischen Kollegen retweetet haben. Eine Antwort, die ich darauf bekomme, ist: ‚Na ja, wenn ich meinen Chef kritisiere, würde ich auch gefeuert werden.` Aber es ist auch wichtig zu beachten, dass die Kultur bei Twitter bisher sehr anders war. Sie hatten dieses Mantra: ‚Kommunizieren Sie furchtlos!'

Casey Newton, Wirtschaftsjournalist

In der Pandemie zu viele Leute eingestellt

Twitter ist aber nicht die einzige Social Media Firma, die Tausende Mitarbeiter entlassen hat: Rund 11.000 Jobs ließ Meta-Chef Mark Zuckerberg streichen, der größte Stellenabbau in der Geschichte der Firma.
Dahinter stecken finanzielle Erwägungen – ein schwacher Werbemarkt zum Beispiel und vor allem, dass in der Pandemie viel zu viele Leute eingestellt wurden. Das habe sich nun gerächt, sagt Wirtschaftsjournalistin Rahel Solomon bei CNN: 
“Auch wenn der Jobmarkt wächst, die Arbeitslosigkeit niedrig ist. Im Tech-Bereich ist das eine andere Geschichte. Nach dem krassen Wachstum in der Pandemie mussten sie sich da zurücknehmen!”
Ist dies der Beginn einer neuen Tech-Blase, die nun platzen wird? Darüber rätseln derzeit viele Wirtschaftsexperten und -expertinnen: 
“Dies sind Tech-Unternehmen, deren Aktien in den letzten zehn Jahren nur einen Weg kannten: nach oben. Diese Firmen kommen gerade wieder auf der Erde an. Ob es so schlimm wird wie die Dotcom-Blase, da bin ich mir nicht sicher. Aber man schaut sich die Tech-Welt sehr genau an, um zu verstehen, ob es auch andere Bereiche betreffen wird. Aber derzeit wissen wir das nicht.”
Es scheint sich derzeit einiges zu verändern. Die Big Tech Firmen zeigen den Mitarbeitern nun auch mal die kalte Schulter, kuscheln war gestern. Andererseits wollen gut ausgebildete Menschen auch nicht zu jedem Preis überall arbeiten. Überstunden und Leben für den Job war gestern.

Ist der Umbruch eine Chance für Start-ups?

Was bedeutet das für kleine Firmen, Start-ups, die auf hungrige junge Menschen angewiesen sind? Sind die Umbrüche für sie vielleicht sogar eine Chance? Nils Dampz hat sich dafür bei genauso einem Start-up umgehört:
Erst klingeln. Dann geht das Tor auf – dahinter soll die Zukunft sein. In einem Gebäude in San Franciscos Stadtteil Mission haben viele kleine Start-ups ihre Büros. „Incubator“ nennt man das. Ein Brutkasten für neue Geschäftsideen. Alles sehr stylish hier, coole Sofas, viel Beton, viel Holz – es ist aber auch ziemlich ruhig im Brutkasten. Seit der Pandemie arbeiten viele im Homeoffice. Zwei sind aber hier in ihrem kleinen Büro.
Kleiner Mann mit Bart mit Hund auf dem Arm, daneben großer blonder Mann in Strickjacke.
Entgegen des aktuellen Trends in der Tech-Branche stellen die Gründer Arndt Voges (li.) und Christian Bytza gerade Personal ein.© Nils Dampz, ARD-Studio San Francisco
Christian und Arndt sind Gründer – und haben Hunger. Zum Mittagessen gibt es Sandwiches. Die Tage sind gerade ziemlich lang.
„60, 70, 80 oder auch mal 100 Stunden in der Woche.“
Christian Bytza ist das. Ursprünglich aus Hamburg.

"Ein bisschen wie Speeddating"

„Wir sind gerade mitten im Fundrais.“
Im Fundrais. Heißt, sie wollen Geld von Investoren für ihre Online-Lernplattform. Das läuft:
„Ein bißchen wie Speeddating.“
Arndt Voges, ursprünglich aus Hannover.
„Da setzt man sich mit Hunderten zusammen und da geht es darum: was haste und was kannste?“
Sie haben auf ihrer Seite Onlinekurse. Was ist eine Kryptowährung? Was ist eine Blockchain? Was ist das Web3? Und so weiter.
Arndt Voges: „Die Seite ist seit Juni online.“

Drei Millionen Dollar, um online zu bleiben

Damit sie online bleibt, brauchen sie drei Millionen Dollar. Auch, um das Team von fünf auf 15 Mitarbeitende hochzuschrauben. Sie stellen ein in einer Zeit, in der gerade viele ihren Job in Tech-Unternehmen verlieren. Und das sei eine Chance.
„Weil hier unglaublich gut Ausgebildete plötzlich auch mehr Risiko eingehen wollen. Weil sie vielleicht keine Lust mehr auf so was wie Twitter haben", sagt Arndt Voges.
Und natürlich auch ihre Rechnungen weiter bezahlen müssen. Allein Meta und Twitter haben in den letzten Wochen rund 15.000 Menschen entlassen. 10.000 sollen es bei Amazon sein. Dazu kommen noch zig kleine Tech-Firmen mit großen Problemen.
Christian Bytza: „Also wir brauchen Engeneers, wir brauchen Content Writers, wir brauchen Marketers, wir brauchen Sales Leute – also wir sind jeden Tag am Interviewen.“
Obwohl es bei Start-ups in der Regel viel weniger Geld gibt.
„Ja, das Gehalt ist mit Sicherheit halb so stark", sagt Arndt Voges.
Die schwache Weltwirtschaft geben viele Firmen gerade als Grund für die Entlassungen an. Kleine Firmen seien davon viel unabhängiger. Sie haben einfach weniger Kosten.
“When you´re small you can outrun any macro situation.”
Sagt Garry Tan aus San Francisco in einem Bloomberg-Interview. Er ist auch Tech-Gründer und Investor. Wenn so viele Menschen entlassen werden, sei das zwar traurig. Auf der anderen Seite sei das aber auch die Zeit, in der viel Neues passiert.

Entlassungen als Chance für Neugründungen?

Einige von denen, die gerade ihren Job verlieren, würden auch selbst neue Firmen gründen und das nächste Facebook oder Meta erfinden. Ob es dafür ausreichend Geld gibt, ist die Frage. Bei steigenden Zinsen dürften Investoren kritischer werden. Das ist auch den zwei deutschen Gründern bewusst.
„Ja, das Geld sitzt nicht mehr so locker", sagt Arndt Voges.
Investor Garry Tan macht aber ein bisschen Mut. Mit einem seiner Start-ups ging es an dem Tag los, an dem die Lehman Bank pleiteging. Ein Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2008. 
„My startup started, the day Lehman died.“
Und diese Firma wurde später für 20 Millionen Dollar an Twitter verkauft und hat Tan reich gemacht. 
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