"Es geht auch um soziale Innovation"
Wie wird die Zukunft der Arbeit aussehen? Denkanstöße dazu gibt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) mit ihrem Weißbuch "Arbeiten 4.0". Es gehe dabei immer mehr um Vernetzung und Teamarbeit, sagt Ulrich Weinberg, Professor am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam.
Smartphone, Tablet und Co. seien bald nicht mehr wegzudenken aus dem Arbeitsalltag. Doch habe Deutschland, verglichen etwa mit den Digitalisierungs-Hot Spots an der Westküste der USA, noch einiges aufzuholen, sagt Ulrich Weinberg, Professor für Design Thinking am Potsdamer Hasso-Plattner-Institut.
Denn: Wenn Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles heute das Weißbuch "Arbeiten 4.0" vorstellt, geht es dabei nicht nur um Technik und die Digitalisierung analoger Arbeitsformen, sondern auch um neue Formen der Teamarbeit. Weinberg meint dazu:
"Das andere, was die Arbeitswelt der Zukunft prägen wird, ist die Vernetzung zwischen den Menschen. Und da sind wir leider ein kleines bisschen hinterher. Die Technologie hat uns da in den letzten zehn, fünfzehn Jahren fast ein bisschen überrundet. Und wir stecken in den Köpfen noch sehr stark in alten Denkmustern, die auf Nicht-Vernetzung setzen, auf das trennende Element, auf die Konkurrenz."
"4.0." steht nicht nur für Technologie
Genau dies sei ein Aspekt, der in Zukunft verändert werden müsse – Arbeit 4.0 seit eben nicht nur Technologie 4.0., "sondern auch soziale Innovation 4.0."
Design Thinking gilt in diesem Zusammenhang als die Arbeitsform der Zukunft und wird meist in einem Atemzug mit Arbeit 4.0 genannt. Aber was genau steckt hinter dem etwas wolkigen Begriff? Design Thinking setze auf kollaborative, kreative Prozesse in interdisziplinären kleinen Teams, sagt Weinberg, der seit knapp zehn Jahren an der Weiterentwicklung dieser Arbeitsform baut und dafür auch eigene Arbeitsräume mit mobilen Arbeitsmöbeln kreiert hat. Es gehe dabei nicht um "lineare Prozesse", gewollt sei es vielmehr, im kreativen Prozess "Schleifen zu drehen" und auch Fehler zu machen.
Dies gäben er und seine Kollegen auch den Studierenden weiter, die am Insitut IT-Systems-Engineering studieren und von Anfang an diese Form der Team-Arbeit erprobten. Ihnen werde vermittelt, dass sie dabei auch mal scheitern dürften.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Die Nase vorn wollte das SPD-geführte Arbeitsministerium unter Andrea Nahles haben und hat schon vor anderthalb Jahren einen Prozess angestoßen, der sich "Arbeiten 4.0" nennt. Über 12.000 Menschen haben sich da in vielen Veranstaltungen getroffen über die Monate, und in drei Stunden stellt nun Andrea Nahles ihr Weißbuch "Arbeiten 4.0" vor als Ergebnis dieses Prozesses und natürlich auch als Anstoß für weitere Diskussionen, wie unsere Arbeit denn in Zukunft aussehen will oder soll oder muss. Professor Ulrich Weinberg ist gleich mit dabei, wenn das Weißbuch "Arbeiten 4.0" vorgestellt wird. Er arbeitet am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam mit seinem Team seit neun Jahren daran, das Team als Arbeitsform der Zukunft weiterzuentwickeln. Schönen guten Morgen, Herr Weinberg!
Ulrich Weinberg: Ja, schönen guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Was wird denn die größte Veränderung sein in der Arbeitswelt 4.0, Ihrer Meinung nach?
Weinberg: Ich glaube, die größte Veränderung wird die sein, dass nahezu alle Arbeitsformen, die wir bisher kennen, die sehr analog waren und die auch bis heute zum großen Teil sehr analog sind, dass die durchsetzt werden durch digitale Technologien. Und das sind in der Regel diese Glasplatten, die wir alle mit uns rumschleppen in den Hosenplatten, und auf meinem Tisch liegen hier gerade so zwei oder drei von den Dingern, die uns im Privatleben bisher schon sehr viel weitergeholfen haben, und die durchdringen immer stärker auch die ganzen Arbeitswelten, und zwar in nahezu allen Bereichen.
Die Technik hat uns überrundet
Und das ist das eine, dass wir mit Technologien immer stärker konfrontiert sind, die auf Vernetzung setzen; und das andere, glaube ich, was die Arbeitswelt der Zukunft prägen wird, ist die Vernetzung zwischen den Menschen. Und da ist … Da sind wir leider ein kleines bisschen hinterher, die Technologie hat uns da in den letzten zehn, 15 Jahren fast ein bisschen überrundet und wir stecken in den Köpfen noch so in den alten Denkmustern, die sehr stark auf Nichtvernetzung setzen, auf das trennende Element und auf die konkurrente Situation. Und das ist dann das Moment, was wir angehen müssen in der Zukunft, gerade mit dem Blick auf Arbeit 4.0, die eben nicht nur Technologie 4.0 ist, sondern auch soziale Innovation 4.0.
Brink: Nun geben Sie mir ein Beispiel. Ich habe ja erwähnt, Sie arbeiten genau an dem Gedanken des Teams, forschen daran. Geben Sie mir ein Beispiel, wie muss ich mir das vorstellen, was haben Sie da herausgefunden, was wegweisend sein soll?
Weinberg: An der School of Design Thinking in Potsdam am Hasso-Plattner-Institut, an dem ich jetzt seit neun Jahren … seit neun Jahren leite, da steht die Teamarbeit völlig im Vordergrund. Wir arbeiten in kleinen, gemischten Teams, wir haben eine ganz kleine Studentenschar von 120, die wir repräsentieren, aber circa 80 Disziplinen und ungefähr 70 Hochschulen und 20 Nationen, das heißt, wir haben im Grunde eine Miniversion einer Hochschule. Und in dieser Miniversion arbeiten wir trotzdem noch mal gerade runtergebrochen in kleinen Teams von vier, fünf, sechs Studierenden, die auch aus verschiedenen Disziplinen kommen.
Denn wir setzen darauf, dass die Lösung von komplexen Fragestellungen, mit denen wir es ständig zu tun haben – wir machen keine Vorlesungsarbeit im klassischen Sinne, auch keine Seminararbeit, sondern machen Projektarbeit, mit Projekten, die wir uns von draußen reinholen, zum Beispiel auch mit einem Projekt mit dem Bundesarbeitsministerium, was wir vor zwei Jahren ungefähr angefangen haben –, und wir arbeiten in kleinen, gemischten Teams und wir setzen auf diverse Zusammensetzungen. Wir setzen auf Diversität, wir setzen darauf, dass man komplexe Probleme auch in einem komplexen Kontext nur noch lösen kann heutzutage und eben nicht mehr rein aus der Perspektive einzelner Disziplinen. Und das hat sich in den letzten neun Jahren extrem bewährt und ist möglicherweise eben auch ein Modell für die Arbeitslandschaft in der Zukunft.
"Design" bedeutet nicht gleich "Website"
Brink: Sie haben den Begriff erwähnt, Design Thinking. Vielleicht muss man den noch mal ein bisschen erklären, weil er ja im Prinzip die Philosophie, die Sie vertreten, eigentlich beschreibt. Was genau ist das, wie beschreiben Sie das?
Weinberg: Ja, das ist eine Begrifflichkeit, die war vor neun Jahren völlig unbekannt in Deutschland und die ersten Anrufe, die wir bekamen, weil der Begriff Design im Titel stand, haben sich bezogen auf: "Macht uns doch mal eine tolle Website oder macht uns ein tolles Poster für irgendwas." Davon haben wir uns weit entfernt. Bei Design Thinking, bei dem Ansatz, den unsere Kollegen in Stanford vor elf Jahren ungefähr geschaffen haben, der mittlerweile in Stanford sozusagen zu einem der Motoren der Innovation geworden ist, geht es in erster Linie darum, dass man Menschen rausholt aus den Silos, sie in einen kollaborativen Kontext bringt, also gerade auf diese kleine Teamkonstellation konzentrierend, dass man sie rausbringt auch aus linearen Denk- und Arbeitsprozessen.
Wir sind ja wunderbar trainiert in den letzten Jahrzehnten oder Jahrhunderten, auch der Bildungsapparat trainiert das weiterhin, dass man Probleme linear löst, dass man das Ergebnis definiert, was dann in vier Jahren rauskommt, dass man Milestones dazwischen definiert und dass man die schön abklappert. Und die Zeiten, die neigen sich dem Ende zu, dass das noch ein sinnvolles Arbeitsprinzip ist. Also, wir trainieren Studierende, dass sie Schleifen drehen, dass sie Fehler machen dürfen, dass sie Prototypen bauen, und zwar in jedem Projekt unterschiedliche Prototypen, und dass sie das auch selbst kreieren, dass sie selber Ideen entwickeln, wie man eine Lösung definiert. Und die dritte Komponente ist der Raum. Wir lassen die Studierenden in speziell gestalteten Arbeitsräumen arbeiten.
Wir haben nämlich vor neun Jahren festgestellt, es gibt eigentlich kaum eine Lernumgebung, auch keine Arbeitsumgebung, die Teamarbeit unterstützt, die wirklich es ermöglicht, dass Teams miteinander arbeiten, dass sie kollaborationsfördernd sind. Wir haben eigene Möbel definieren müssen, designen müssen damals für unsere Studierenden, für unsere ersten 40, und diese Möbel sind mittlerweile zu einer Design Thinking Line geworden und sind in vielen Unternehmen in Deutschland und Europa im täglichen Einsatz als Besprechungstische, als Besprechungsorte, aber eben auch als Orte, ich nenne das die Orte des Scheiterns, sozusagen geschützte Orte des Scheiterns, die sich Unternehmen mittlerweile auch erlauben.
Orte, an denen alle möglichen Arten von Ideen ausprobiert werden können, ohne dass es gleich ein Incentive gibt oder ohne eine Lüge durch die Geschäftsleitung. Und bei uns ist dieser geschützte Raum des Scheiterns, wird eben genutzt von vielen Unternehmen und Organisationen, die Fragestellungen bei uns abladen und für ein Semester lang bearbeiten lassen an Teams und dann zurückgespiegelt bekommen den Ansatz einer Idee, einen Prototypen, der dann wieder in die Realisierung gehen kann.
Brink: Professor Ulrich Weinberg, vielen Dank für die Vorstellung dessen, was das Team der Zukunft sein kann. Und er wird es auch gleich vorstellen, sein Konzept, bei der Vorstellung vom Weißbuch "Arbeiten 4.0" des Arbeitsministeriums in ein paar Stunden. Vielen Dank, Herr Professor Weinberg!
Weinberg: Vielen Dank, Frau Brink!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.