Arbeiten aus dem Geist des Umbruchs
In seinen Videos, Installationen und Aktionen erforscht Wael Shawky die Geschichte zwischen Mythos und Wahrheit. Derzeit ist der ägyptische Künstler in Deutschland gleich mehrfach präsent – als Gast auf der Documenta und mit einer großen Einzelausstellung in Berlin.
Ist er ein politischer Künstler? Ein Künstler gar der Arabellion? Diese Frage hört Wael Shawky ständig als erstes, und obwohl es lästig ist, immer dasselbe darauf zu antworten – sie liegt bei seinem Werk doch irgendwie nahe. Shawky macht Installationen, Skulpturen und Filme. Vor allem diese Filme werden seit einiger Zeit im westlichen Kunstbetrieb herumgezeigt, denn sie wirken wie historische Erklärstücke für alles, was im Nahen Osten derzeit und schon lange brodelt und überkocht.
Wael Shawky ist Ägypter, er kommt aus Alexandria, nicht aus Kairo, und sagt von sich, dass er natürlich während der Proteste und des Umsturzes in Ägypten politisch engagiert war. Aber es sagt das als Privatmann, nicht als Künstler. Ja, trennt er denn beides? Wenn er politisch engagiert lebt, ist seine Kunst nicht gleichsam automatisch auch politisch intendiert?
"Ich würde sagen: nein. Gut, ich war stark politisch engagiert während der Revolution in Ägypten, vor allem in Alexandria, wo ich wohne. Aber ich habe nie versucht, eine Arbeit zu machen, die sich direkt auf diese Revolution bezieht. Ich finde es auch noch viel zu früh, über diese Revolution zu reden. Während wir demonstrierten, hätten wir beispielsweise doch nie erwartet, dass die Muslimbruderschaft eines Tages die Macht übernehmen könnte. Und nun ist es so geschehen."
Diese Trennung von Kunst und historischen Geschehnissen mag auf den ersten Blick verblüffen. Doch sie ist nicht ungewöhnlich unter Künstlerinnen und Künstlern aus Ländern, in denen sich die Umstürze ereignet haben oder, wie in Syrien, gerade ereignen. Viele Künstler und Intellektuelle bleiben skeptisch, denn nicht allen Aufständischen geht es um Demokratie. Shawky interessiert sich vielmehr dafür, wie historische Ereignisse "gemacht" werden.
In seinen Filmen erzählt er oft lange Geschichten, verschlungene, labyrinthische Geschichten voller Rätsel, Legenden, Widersprüche und Manipulationen. Seit 2010 arbeitet er an einer Filmserie von wahrhaft epischen Ausmaßen, in der es um die Geschichte der mittelalterlichen Kreuzzüge geht. Der aktuelle Teil "The Path to Cairo"/ "Der Weg nach Kairo", der auf der derzeitigen documenta 13 in Kassel zu sehen ist, wurde von manchen Kritikern als historische Erklärung für den Sturz des Mubarak-Regimes interpretiert. Doch Shawky scheint dabei von einem ganz anderen Punkt fasziniert zu sein:
"Als ich mit den Recherchen für das Projekt begann, hatte ich schnell das Gefühl, es mit einer einzigen Manipulation zu tun zu haben. Die Rede des Papstes Urban II. zum Beispiel, mit der er im Jahr 1095 den Startschuss für die Kreuzzüge gab – die sich dann immerhin über 200 Jahre erstrecken sollten – diese Rede wurde nur nachträglich dokumentiert. Zur Zeit gibt es gleich vier verschiedene Versionen davon. Ich war nie fasziniert von Geschichte an sich, sondern mehr davon, wie wir sie jeweils interpretieren. Niemand weiß genau, was etwa dieser Papst wirklich gesagt hat. Doch am Ende haben Sie trotzdem etwas, das sich daraus ergibt."
Vielleicht trifft es der Ausdruck "politische Melancholie" am besten, was Wael Shawky in seinen Filmen macht. Mit wahrhaft mystischer Atmosphäre inszeniert er die historische Erzählung der Kreuzzüge aus der Sicht eines Schriftstellers aus dem Libanon, der in seinen Texten die arabische und die europäische Sicht der Dinge einander gegenüberstellt. Shawky lässt darüber hinaus jedoch die Handlung mit 200 Jahre alten Marionetten nachspielen. Und in seiner aktuellen Arbeit in den Berliner Kunstwerken "Al Araba Al Madfuna" spielen mit Bärten und Beduinenkostümen verkleidete Kinder eine Legende aus der Zeit der Schamanen nach. Einer von ihnen machte eine Weissagung von einem unterirdischen Schatz. Dieser aber wurde nie gefunden, obwohl seine blindgläubigen Anhänger wie besessen tiefe Löcher in den Boden gruben. Erst im 20. Jahrhundert entdeckten Archäologen an der Stelle von Al Araba Al Madfuna eine antike unterirdische Tempelanlage aus dem 2. Jahrtausend vor Christus.
"Einen Teil meiner Kindheit habe ich in Saudi-Arabien verbracht. Meine Eltern reisten oft mit mir hin und her zwischen Mekka, wo wir lebten, und Alexandria in Ägypten. Das ging ungefähr acht Jahre lang so, und ich glaube, das prägt mich bis heute, auch meine Arbeit als Künstler. In Saudi-Arabien war die Beduinenkultur, das Leben in der Wüste als Nomaden, damals noch stärker ausgeprägt als heute. Es war der totale Gegensatz zu dem landwirtschaftlichen Leben, das man in Ägypten, in den feuchten Auen des Nildeltas führte. Und als Kind wurde mir bewusst, wie stark diese ursprüngliche Welt des Beduinentums allmählich von der Moderne eingeholt wurde, der amerikanisch-kapitalistischen Moderne, die in Ägypten schon Einzug gehalten hatte. Und diese Entwicklung von einem Level der Zivilisation zu einem anderen hat mich als Kind fasziniert. Und ich sehe das immer noch in allem, was ich heute mache."
Die kindliche Perspektive beschwört Wael Shawky, indem er in seinen Filmen Kinder zu Schauspielern macht oder Geschichte mit Marionetten nachspielen lässt. Zugleich geben sie seinen Filmen eine gewisse Harmlosigkeit, eine erzählerische Ironie auf der Oberfläche, auch wenn sie oft von eigentlich grausamen Ereignissen handeln. Ihr langes erzählerisches Ausholen zeugt von Melancholie, der Melancholie einer verlorenen Kinderwelt. Den Schmerz der Modernisierung, der gnadenlosen Ökonomisierung des Lebens, der Angleichung aller Lebenswelten unter dem Vorwand der Zivilisation - den mag gewiss auch mancher europäische Betrachter wiedererkennen, wenn er Wael Shawkys Filmen folgt.
Wael Shawky ist Ägypter, er kommt aus Alexandria, nicht aus Kairo, und sagt von sich, dass er natürlich während der Proteste und des Umsturzes in Ägypten politisch engagiert war. Aber es sagt das als Privatmann, nicht als Künstler. Ja, trennt er denn beides? Wenn er politisch engagiert lebt, ist seine Kunst nicht gleichsam automatisch auch politisch intendiert?
"Ich würde sagen: nein. Gut, ich war stark politisch engagiert während der Revolution in Ägypten, vor allem in Alexandria, wo ich wohne. Aber ich habe nie versucht, eine Arbeit zu machen, die sich direkt auf diese Revolution bezieht. Ich finde es auch noch viel zu früh, über diese Revolution zu reden. Während wir demonstrierten, hätten wir beispielsweise doch nie erwartet, dass die Muslimbruderschaft eines Tages die Macht übernehmen könnte. Und nun ist es so geschehen."
Diese Trennung von Kunst und historischen Geschehnissen mag auf den ersten Blick verblüffen. Doch sie ist nicht ungewöhnlich unter Künstlerinnen und Künstlern aus Ländern, in denen sich die Umstürze ereignet haben oder, wie in Syrien, gerade ereignen. Viele Künstler und Intellektuelle bleiben skeptisch, denn nicht allen Aufständischen geht es um Demokratie. Shawky interessiert sich vielmehr dafür, wie historische Ereignisse "gemacht" werden.
In seinen Filmen erzählt er oft lange Geschichten, verschlungene, labyrinthische Geschichten voller Rätsel, Legenden, Widersprüche und Manipulationen. Seit 2010 arbeitet er an einer Filmserie von wahrhaft epischen Ausmaßen, in der es um die Geschichte der mittelalterlichen Kreuzzüge geht. Der aktuelle Teil "The Path to Cairo"/ "Der Weg nach Kairo", der auf der derzeitigen documenta 13 in Kassel zu sehen ist, wurde von manchen Kritikern als historische Erklärung für den Sturz des Mubarak-Regimes interpretiert. Doch Shawky scheint dabei von einem ganz anderen Punkt fasziniert zu sein:
"Als ich mit den Recherchen für das Projekt begann, hatte ich schnell das Gefühl, es mit einer einzigen Manipulation zu tun zu haben. Die Rede des Papstes Urban II. zum Beispiel, mit der er im Jahr 1095 den Startschuss für die Kreuzzüge gab – die sich dann immerhin über 200 Jahre erstrecken sollten – diese Rede wurde nur nachträglich dokumentiert. Zur Zeit gibt es gleich vier verschiedene Versionen davon. Ich war nie fasziniert von Geschichte an sich, sondern mehr davon, wie wir sie jeweils interpretieren. Niemand weiß genau, was etwa dieser Papst wirklich gesagt hat. Doch am Ende haben Sie trotzdem etwas, das sich daraus ergibt."
Vielleicht trifft es der Ausdruck "politische Melancholie" am besten, was Wael Shawky in seinen Filmen macht. Mit wahrhaft mystischer Atmosphäre inszeniert er die historische Erzählung der Kreuzzüge aus der Sicht eines Schriftstellers aus dem Libanon, der in seinen Texten die arabische und die europäische Sicht der Dinge einander gegenüberstellt. Shawky lässt darüber hinaus jedoch die Handlung mit 200 Jahre alten Marionetten nachspielen. Und in seiner aktuellen Arbeit in den Berliner Kunstwerken "Al Araba Al Madfuna" spielen mit Bärten und Beduinenkostümen verkleidete Kinder eine Legende aus der Zeit der Schamanen nach. Einer von ihnen machte eine Weissagung von einem unterirdischen Schatz. Dieser aber wurde nie gefunden, obwohl seine blindgläubigen Anhänger wie besessen tiefe Löcher in den Boden gruben. Erst im 20. Jahrhundert entdeckten Archäologen an der Stelle von Al Araba Al Madfuna eine antike unterirdische Tempelanlage aus dem 2. Jahrtausend vor Christus.
"Einen Teil meiner Kindheit habe ich in Saudi-Arabien verbracht. Meine Eltern reisten oft mit mir hin und her zwischen Mekka, wo wir lebten, und Alexandria in Ägypten. Das ging ungefähr acht Jahre lang so, und ich glaube, das prägt mich bis heute, auch meine Arbeit als Künstler. In Saudi-Arabien war die Beduinenkultur, das Leben in der Wüste als Nomaden, damals noch stärker ausgeprägt als heute. Es war der totale Gegensatz zu dem landwirtschaftlichen Leben, das man in Ägypten, in den feuchten Auen des Nildeltas führte. Und als Kind wurde mir bewusst, wie stark diese ursprüngliche Welt des Beduinentums allmählich von der Moderne eingeholt wurde, der amerikanisch-kapitalistischen Moderne, die in Ägypten schon Einzug gehalten hatte. Und diese Entwicklung von einem Level der Zivilisation zu einem anderen hat mich als Kind fasziniert. Und ich sehe das immer noch in allem, was ich heute mache."
Die kindliche Perspektive beschwört Wael Shawky, indem er in seinen Filmen Kinder zu Schauspielern macht oder Geschichte mit Marionetten nachspielen lässt. Zugleich geben sie seinen Filmen eine gewisse Harmlosigkeit, eine erzählerische Ironie auf der Oberfläche, auch wenn sie oft von eigentlich grausamen Ereignissen handeln. Ihr langes erzählerisches Ausholen zeugt von Melancholie, der Melancholie einer verlorenen Kinderwelt. Den Schmerz der Modernisierung, der gnadenlosen Ökonomisierung des Lebens, der Angleichung aller Lebenswelten unter dem Vorwand der Zivilisation - den mag gewiss auch mancher europäische Betrachter wiedererkennen, wenn er Wael Shawkys Filmen folgt.
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