Arbeiten im Alter

Nochmal etwas Neues ausprobieren

07:18 Minuten
Ein älterer Mann in kariertem Hemd und blauer Arbeitshose bedient eine Maschine in einem mittelständischem Unternehmen
Auch der allgemeine Arbeitskräftemangel ist eine Chance für ältere Arbeitnehmer, sagt die Psychologin Ursula Staudinger. © imago/Andreas Prost
Ursula Staudinger im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
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Jahrzehntelang arbeiten, dann noch eine Weile Rente und Freizeit genießen: Früher war das Leben klar eingeteilt. Doch heute arbeiten viele Menschen auch im höheren Alter. Das kann Chancen bieten, wie die Psychologin Ursula Staudinger erklärt.
Liane von Billerbeck: Früher, also sagen wir noch so vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren, da war das Leben ordentlich in Phasen eingeteilt: Schule, Lehre, Studium, Berufstätigkeit, Familie, Rente. Doch diese Ordnung ist irgendwie vorbei, nicht nur, weil viele in ungesicherten Verhältnissen leben und arbeiten, sondern auch, weil wir länger leben, weil wir gesünder sind und andere Bedürfnisse haben, auch wenn wir älter werden. Arbeit und Gebrauchtwerden gehört unbedingt dazu. Fragen wir uns: Hat der klassische Ruhestand so mit Garten und Enkeln ausgedient?
Und die Frage geht an Ursula Staudinger, sie ist Professorin für soziomedizinische Wissenschaften und Psychologie an der Columbia University in New York und derzeit auch an einem Symposium an der Uni Heidelberg. Die Menschen leben länger, und sie bleiben auch länger gesund. Das heißt, diesen Satz könnte man jetzt verschiedenartig fortsetzen. Das heißt, sie können auch länger arbeiten?
Ursula Staudinger: Ja, das ist sicher so. Ich glaube aber, was aus diesem längeren Leben für uns entsteht, ist eigentlich mehr Freiheitsgrade und dass wir diesen klassischen Ruhestand, den Sie in der Anmoderation erwähnt haben, vervielfältigen können. Also man muss sich ja erst mal klarmachen, dass heute, wenn wir in den Ruhestand gehen, sagen wir mal mit 65, 66, wir noch im Durchschnitt fast 20 Jahre vor uns haben. Das ist einzigartig bisher in der menschlichen Geschichte. Früher waren diese Zeiten im Ruhestand viel, viel kürzer, und da muss man sich natürlich überlegen, was ich mache ich denn mit dieser Phase meines Lebens jetzt?
Das entscheiden unterschiedliche Menschen unterschiedlich, und manche, die haben noch Lust, wieder was zu arbeiten, noch mal einzusteigen, und da wissen wir aus Befragungen, dass es meistens dann so ist, dass man aber nicht mehr so viel arbeiten will, mehr Freiheitsgrade haben will, wie man sich die Zeit einteilt, und manche auch gerne mal was anderes dann machen wollen als sie vielleicht 40, 50 Jahre gemacht haben.
Wenn die dann solche, man nennt das dann so Brücken, Brückentätigkeiten, Brückenjobs machen und sie machen dabei was Neues, also im Unterschied zur vorherigen Tätigkeit, dann verbleiben sie da auch länger in diesen Tätigkeiten, was vielleicht darauf verweist, dass das einem dann auch noch mal neuen Spaß und neue Motivation bringt. Aber es muss nicht bezahlte Arbeit sein. Es kann genauso sein, dass man im Garten arbeitet oder sich um die Enkel kümmert.

Viele Ältere müssen auch arbeiten

Billerbeck: Wenn man sich das leisten kann. Es gibt ja auch viele, die noch bezahlt weiter arbeiten müssen auch.
Staudinger: Das ist sicher so, allerdings wissen wir da auch aus Befragungen der Personen, die nach 65 noch mal wieder arbeiten, das betrifft etwa ein Viertel derer. Also das ist schon eine Realität und der sollten wir eigentlich auch nachgehen und versuchen, sie natürlich zurückzubauen soweit es möglich ist.
Billerbeck: Sie haben es eben schon erwähnt, und Sie plädieren, glaube ich, auch dafür, dass man einen Tätigkeitswechsel vornimmt, um es mal so bürokratisch auszudrücken.
Staudinger: Ja.
Billerbeck: Das halte geistig jung. Gute Idee, aber mal ganz praktisch: Wie könnten solche Wechsel bei Älteren denn ganz konkret aussehen?
Staudinger: Das kommt jetzt auch wieder ganz darauf an, wie der Einzelne, die Einzelne aufgestellt ist. Je nachdem, was man vorher gemacht hat, was weiß ich, ob man jetzt bei der Müllabfuhr war oder bei der Postzustellung oder ob man im Büro gearbeitet hat, vielleicht möchte man jetzt nicht noch mal weiter in der gleichen Tätigkeit sein, sondern dass man dann sagt, ich schaue mal. Häufig ist es jetzt so durch den Arbeitskräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt, dass die Arbeitgeber, bei denen man auch beschäftigt war, durchaus Interesse haben an Personen, die sie kennen und die verlässlich sind, ob die bei ihnen noch andere Tätigkeiten wahrnehmen wollen für ein paar Stunden.
Also das wäre der erste Anlaufpunkt, den ich mir vornehmen würde, wenn ich daran Interesse hätte, dass man schon im letzten Jahr vor dem Ruhestand anfängt, mal solche Gespräche zu führen oder sich auch ein bisschen umzugucken. Es gibt da jetzt so einen entstehenden Arbeitsmarkt sozusagen für Rentner, für Ruheständler, die Lust haben, ein paar Stunden was zu machen.

Lebensbegleitendes Lernen ist wichtig

Billerbeck: Lebenslanges Lernen, das ist ja immer ein Thema in vielen Sonntagsreden, aber lernen Alte nicht womöglich anders, vielleicht ein bisschen langsamer als Jüngere? Brauchen wir auch ein neues Berufsbild, also so etwas wie Altenbildung und Förderung?
Staudinger: Also da sprechen Sie ein extrem wichtiges Thema an, und das beginnt nicht erst mit dem Ruhestand, sondern wir brauchen ganz neue Aufmerksamkeit und auch Finanzierungsmodelle für lebensbegleitendes Lernen, mit der gleichen Aufmerksamkeit. Mit der wir die primäre und sekundäre Bildung am Anfang des Lebens betreiben, müssen wir jetzt sagen, was ist Erwachsenendidaktik, wie können wir Lehrer weiterbilden, ausbilden, dass sie Erwachsene erfolgreich zu Lernzielen führen.
Was natürlich wunderbar ist, sind die neuen technischen Medien. Es gibt sehr gute Möglichkeiten des individualisierten Lernens mit digitalen Medien, also Anwendungen, wo ich mit dem Computerprogramm interagiere und dadurch mit meinem eigenen Tempo mir dann neue Sachverhalte nahebringen kann. Das beginnt aber sicher erst nicht mit 65, sondern diesen Wechsel, den Sie vorhin ansprachen, da finden wir in unseren Untersuchungen, dass es wichtig wäre, auch schon vorher im Ablauf des Arbeitslebens immer mal wieder zu einem Tätigkeitswechsel sich aufzuraffen oder auch die Arbeitgeber dazu zu ermuntern, ihren Mitarbeitern immer wieder Wechsel zu ermöglichen, weil wir wissen, dass das den Geist wachhält und auch die Motivation und die Zufriedenheit.
Billerbeck: Ich wechsel in die Kantine und der Kantinenmensch an mein Mikrofon.
Staudinger: Ja, das ist vielleicht ein bisschen extrem, aber es gibt so extreme Fälle! Der ging ja auch durch die Medien, der gefeierte Chirurg, der dann sagte, jetzt habe ich genug von dem Stress, und der wurde dann Lastkraftwagenfahrer.
Billerbeck: Ja, oder bei uns, wir hatten neulich einen Klimaforscher, der hat mal drei Wochen als Opernintendant gearbeitet.
Staudinger: Na Wahnsinn! Ja, gut! Dann hat es auf der Bühne geregnet!
Billerbeck: Die Psychologin und Gerontologin Ursula Staudinger war das. Wie stellen Sie sich denn – ganz kurze Frage zum Schluss – Ihr gutes Leben im Alter vor?
Staudinger: Da bin ich noch am Basteln. Also auf jeden Fall Vielfalt ist für mich wichtig, Abwechslung, und natürlich sind wir mit der Wissenschaft … das ist ja irgendwie gar nicht so als Beruf zu verstehen, denn das durchdringt das ganze Leben, aber da vielleicht ein bisschen andere Tätigkeiten, also nicht mehr nur die Forschung und die Lehre, sondern dass man dann vielleicht Zeit hat, mal ein längeres Stück was zu schreiben. Also ich bin da noch am Suchen, aber Vielfalt muss es sein und auch noch mehr von der Welt kennenlernen.
Billerbeck: Ursula Staudinger war das, Psychologin und Gerontologin, über das Ende des klassischen Ruhestands.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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