Arbeitslos mit 50, Rente mit 67 - Der Aberwitz der Beschäftigungspolitik

Die Deutschen werden immer älter, aber auch immer früher arbeitslos und bekommen immer später Rente - eine unheilvolle Kombination. Von den über 55-Jährigen sind hierzulande nur noch 45 Prozent erwerbstätig, in den Industrieländern liegt nur Italien darunter. In Schweden dagegen liegt die Erwerbsquote Älterer noch bei 69 Prozent.
Eine neue Stelle mit über 50 zu finden, ist nahezu ausgeschlossen, viele ältere Arbeitssuchende hangeln sich als Mini-Jobber und Leiharbeiter durch, die Zahl der Ich-AGs und Kleinselbständigen steigt. Gleichzeitig fordert Bundesarbeitsminister Franz Müntefering, dass wir bis zum 67. Lebensjahr arbeiten sollen. Sein Vorstoß, das Rentenalter ab 2029 auf 67 zu erhöhen, stieß auf zum Teil auf harsche Kritik.

Auch Münteferings "Initiative 50plus" stößt auf Skepsis: Mit gezielten staatlichen Zuschüssen will der Sozialminister die Rückkehr älterer Arbeitsnehmer ins Berufsleben fördern. Der Lohnzuschuss solle "Ältere Bezieher von Arbeitslosengeld I motivieren, auch einen Job anzunehmen, der geringer bezahlt wird als ihr bisheriger."

Der Anreiz: Lohnerstattung für die Arbeitnehmer und Zuschüsse für potentielle Arbeitgeber. Das Ziel: Bis zu 100.000 Arbeitsplätze.

Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rudolf Hickel gehört zu den Skeptikern von "50plus": "Ich gebe der Initiative keine große Chancen. Man muss eher ansetzen bei der Einstellungspraxis der Arbeitgeber. Ich befürchte, dass es hier zu einem Mitnahmeeffekt kommt, dass die Arbeitgeber die Zuschüsse einstreichen, aber ändern wird sich nichts."

Der Leiter des Instituts für Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen und Mitglied der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik" hält auch nicht von der Rente mit 67:

"Ich halte sie aus verschiedenen Gründen geradezu für aberwitzig und für eine völlig falsche Strategie. Es ist hinlänglich bekannt, dass viele überhaupt nicht bis 67 arbeiten können. Außerdem führt eine solche Maßnahme letztlich zu Arbeitsplatzabbau und ist ein Beitrag zur Steigerung der Arbeitslosigkeit, eine gesamtwirtschaftlich Katastrophe. Das Ziel dahinter ist klar eine Leistungskürzung."

In seinem neuen Buch "Kassensturz – Sieben Gründe für eine andere Wirtschaftspolitik" zieht er eine kritische Bilanz der Reformpolitik.

Auch Dirk Uwe Krüger betrachtet die Initiative "50plus" und das geplante Kombilohn-Modell mit Skepsis: "Ich halte generell nichts von solchen Subventionen, sie drücken das Preisniveau." Der gelernte Industriedesigner und Personalvermittler gründete im Jahr 2003 die Agentur "Zeit-Sprung", die auf die Vermittlung von Arbeitnehmern spezialisiert ist, die älter als 40 Jahre alt sind. "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie viel mehr Potenzial haben, als man annimmt. Man kann davon ausgehen, dass hier durchschnittlich 20 Jahre Berufserfahrung vorzuweisen sind." Diese Erfahrungen dürften nicht brachliegen.

Sein Vermittlungsrezept: "Ich suche die Jobs, gehe in die Industrie, spreche mit Personalchefs und versuche, die Arbeitgeber zu überzeugen, dass Sie einen Bewerber über 40 einstellen. Und dann gehe ich zurück ins Büro und suche, welcher Bewerber aus meiner Kartei auf diese Stelle passt."
Sein Ziel: "Wie brauchen eine Bewusstseinsänderung, diese Menschen sind wie Rohdiamanten, sie haben Know-how, sie sind viel besser, als viele denken. Subventionen nützen da gar nichts."

Sein Appell: "Bei einer immer älter werdenden Gesellschaft wird es höchste Zeit umzudenken. Leistungsfähigkeit darf nicht länger von einer Alters-Zahl abhängig gemacht werden."

Nur, wie muss sich der Arbeitsmarkt verändern, damit auch Ältere eine Chance bekommen, ohne den Jüngeren den Job wegzunehmen? Und was bedeutet eine Rente mit 67 angesichts der derzeitigen Lage?

"Arbeitslos mit 50, Rente ab 67 – Der Aberwitz der Beschäftigungspolitik", darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9:07 Uhr bis 11 Uhr mit dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rudolf Hickel und dem Arbeitsvermittler Dirk-Uwe Krüger, in der Sendung "Radiofeuilleton – Im Gespräch". Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 0800/22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Informationen im Internet:
Prof. Dr. Rudolf Hickel
zeit-sprung