Arbeitsmarkt

"In Deutschland gibt es für jeden etwas zu tun"

Textil and fabrics entrepreneur Sina Trinkwalder stands in the manufacture workshop for textiles and fabrics in Augusburg, Germany, 24 January 2014. Trinkwalder wants to revivie the local fashion industry in Augsburg.
Die Unternehmerin Sina Trinkwalder © dpa / Stefan Puchner
Moderation: Gisela Steinhauer |
Sina Trinkwalder setzt auf "made in Germany" und beschäftigt in ihrer Firma auch Langzeitarbeitslose und Alleinerziehende. Doch Holger Schäfer ist skeptisch: Ein Unternehmen sei "keine karitative Veranstaltung", sagt der Arbeitsmarktexperte.
Mehr als eine Million Menschen in Deutschland sind ein Jahr oder länger ohne Job, daran ändern auch die gesunkenen Arbeitslosenzahlen nichts. Arbeitsministerin Andrea Nahles will zumindest einen Teil dieser Langzeitarbeitslosen wieder in Lohn und Brot bringen und hat dafür ein Paket an Fördermaßnahmen geschnürt. Mehr als eine Milliarde Euro sollen dafür eingesetzt werden. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Die Grünen sprechen von einem "Programm-Hopping", das gerade einmal 2,5 Prozent aller Langzeitarbeitslosen erreiche, der Paritätische Wohlfahrtsverband nennt das "Trostpflästerchen".

Arbeit statt Hartz IV – Wie eine Textilunternehmerin die Wirtschaft umkrempelt
Sina Trinkwalder und Holger Schäfer sind am Samstag von 9.05 bis 11.00 Uhr zu Gast bei Gisela Steinhauer. Hörerinnen und Hörer können sich an der Diskussion beteiligen und Fragen stellen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de.

Trinkwalder: "Immer mehr Firmen betrieben eine fatale 'Hochleistungsrosinenpickerei'"
Sina Trinkwalder hält dagegen: "In unserem Land gibt es für jeden Menschen etwas zu tun", sagt die Unternehmerin. In ihrem 2010 gegründeten Textilunternehmen "manomama" in Augsburg beschäftigt sie jene Menschen, die auf dem "normalen" Arbeitsmarkt keine Chance haben: Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderung oder Alleinerziehende; mittlerweile sind es um die 140. Trinkwalder produziert ökologisch, mit Materialien möglichst aus der Region – alles „made in Germany". Für ihr Engagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung als "Social Entrepreneur der Nachhaltigkeit 2011".

Die energische und diskussionsfreudige ehemalige Werbeexpertin nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, die Auswüchse des Arbeitsmarktes zu kritisieren. Immer mehr Firmen betrieben eine fatale "Hochleistungsrosinenpickerei": "Personalabteilungen setzen den Effizienz-Rotstift bereits bei der Auswahl der Belegschaft an. Sozialdarwinismus in Reinform." Ihr Credo: "Wir müssen wieder für uns vor unserer Haustür fertigen."
Das Maßnahmenpaket von Andrea Nahles ist für sie "eine mittlere Katastrophe und reine Symptombekämpfung". Ein bis zu 100-prozentiger Lohnzuschuss für Arbeitgeber, die einen Langzeitarbeitslosen einstellen, sei ein Geschenk an die Firmen: "100 Prozent – das ist ja noch billiger, als wenn sie in Bangladesch produzieren!"
Schäfer: "Jeder Unternehmer muss selbst entscheiden"
Holger Schäfer hält dagegen: "Wir lösen das Arbeitslosenproblem nicht nachhaltig dadurch, dass wir die Arbeitslosen alle in den Staatsdienst übernehmen", sagt Schäfer, Arbeitsökonom am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Auch er kritisiert die Pläne der Arbeitsministerin; es gebe bereits diverse Fördermaßnahmen für Langzeitarbeitslose. Diese solle man erst einmal auf ihre Wirksamkeit hin untersuchen. Die aktuellen Pläne seien "politischer Aktionismus, ökonomische Gründe sehe ich nicht".
Jedoch sieht Schäfer die Firmenphilosophie von "manomama" nicht als ein mögliches Modell zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. "Es ist ja nicht so, dass es Unternehmern verboten wäre, Langzeitarbeitslose einzustellen. Das ist eine freiwillige Entscheidung, die jeder selbst treffen muss." Ein Unternehmen zu führen, sei letztlich "keine caritative Veranstaltung"; sich rein auf regionale Produktion zu verlagern, gehe schlicht an den Erfordernissen des Marktes vorbei, schade der heimischen Wirtschaft und mindere den Wohlstand.

"Die Textilindustrie ist ein gutes Beispiel, wie die Globalisierung zu einem Strukturwandel geführt hat. In den 50er/60er-Jahren hatten wir über eine Million Beschäftigte; sie ist fast völlig verschwunden aus Deutschland." Die Branche habe problemlos in andere Länder verlagert werden können, weil dafür kaum Spezialwissen oder Hightech gefragt seien – auch zum Vorteil der Verbraucher: "Durch diesen internationalen Austausch beziehen wir Textilien aus anderen Ländern, wo sie viel billiger produziert werden können – und wir können sie preiswerter kaufen."
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