Kommentar zur Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

Veränderungsbereitschaft ist keine Altersfrage

VW-Arbeiter bei der Pause: Drei Männer sitzen in Arbeitskleidung auf einer Bank, schlagen das rechte Bein über das linke und blicken in die Kamera.
Altwerden muss nicht auf dem Abstellgleis enden: Manche wollen länger schaffen - und sie können sich sogar nützlich machen. © picture alliance / photothek / Thomas Koehler
Ein Einwurf von Hans Rusinek · 31.08.2023
Wir müssen alle länger arbeiten, sonst geht der Wohlstand verloren. Doch auf dem Arbeitsmarkt ist ein fortgeschrittenes Alter noch immer ein Riesenhindernis. Das muss sich ändern - wie, weiß der Arbeitsforscher Hans Rusinek.
Wir müssen Altern neu denken, auch Altern auf der Arbeit, denn die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer wird für die Erhaltung des Wohlstands von entscheidender Bedeutung sein. Diese Erkenntnis wird gebetsmühlenartig von Politikern und Unternehmern wiederholt, doch die Umsetzung ist komplex, weil einige Menschen länger arbeiten müssen, viele aber auch länger arbeiten wollen. Und sehr viele würden unter besseren Bedingungen länger arbeiten.

Zu früh aufgehört

Einer britischen Studie zufolge waren ein Viertel der dortigen Rentner der Meinung, sie hätten zu früh aufgehört. Ich werde nie vergessen, wie mir einmal auf dem Jakobsweg ein Pilger entgegen kam: Dieser deutsche Rentner sagte mir, er habe nichts, was zu Hause auf ihn warte, deswegen gehe er jetzt erstmal in die entgegengesetzte Richtung. Manchmal frage ich mich, ob er immer noch auf dem Jakobsweg pendelt.
Viele Ältere wollen also durchaus arbeiten, doch betrachten wir den Arbeitsmarkt, sehen wir eine Welt der Altersdiskriminierung: „Man kann dort abwertende Kommentare über alte Menschen machen, die man über keine andere Gruppe noch machen würde“, so Jeffrey Pfeffer, Professor für Organisationsforschung aus Stanford.
Der Wirtschaftspsychologe Carsten Schermuly fand heraus, dass Bemühungen um "New Work" - also der Versuch, modernere Arbeitsformen zu entwickeln - Altersdiskriminierung sogar noch befeuern, weil sie das Vorurteil "Moderne Arbeit ist jung“ verfestigen. Wer mit 60 Jahren noch ernst genommen werden möchte in dieser Arbeitswelt, dem kann man nur viel Glück wünschen - und ein paar bunte Sneaker!
Jenseits der Vorurteile stellt sich allerdings heraus, wie unterschiedlich ältere Menschen sind, so die Altersforscherin Laura Carstensen: „Wir verstehen, was ein typischer Fünfjähriger ist. Versuchen Sie das für Siebzigjährige, es funktioniert nicht.“

Statt Altersgruppen Lebensphasen unterscheiden

Da gibt es welche, die noch viel Energie loswerden wollen, welche, die sich neu erfinden wollen, welche, die Fähigkeiten weitergeben wollen, welche, die mehr zur Ruhe kommen und dadurch ganz neue, wertvolle Perspektiven gewinnen. Statt Altersgruppen sollten Unternehmen daher Lebensphasen unterscheiden: arbeiten, Pause, etwa für Kinder, in neuer Rolle arbeiten, Weiterbildung, arbeiten, Umschulung, reduziert arbeiten. Ein Blick auf Lebensphasen löst auch den starren Blick auf scheinbar in Konflikt stehende Generationen: Denn eine Sechzigjährige und ein Dreißigjähriger können die gleiche Phase durchlaufen. Zum Beispiel beide neue Qualifikationen erwerben!
Vor allem aber müssen wir verstehen, dass Veränderung keine Altersfrage ist. Eine Studie, die untersucht hat, ob junge Mitarbeiter wirklich innovativer sind, kam auf eine überraschende Antwort: Ja, die Jungen experimentieren mehr. Doch für den Transfer in echte Lösungen braucht es die Erfahrung der Alten. Sie wissen, wie Ideen zur Umsetzung kommen – und nicht auf dem Ideenparkplatz verstauben. Wer den Personalmangel ernstnimmt, sollte also auch ältere Menschen mehr ernstnehmen.

Ältere Mitarbeiter in die Innovationsabteilung

Lasst uns Wieder-Vorstellungsgespräche mit bestehenden Mitarbeitern führen, um zu verstehen, in welcher Lebensphase sie gerade sind - statt solche Gespräche nur für neue Mitarbeiter anzubieten. Lasst uns sensibel für Altersdiskriminierung sein und beispielsweise Stellenausschreibungen altersinklusiver formulieren.
Lasst uns die Lücke zwischen vorhandenen und bald benötigten Qualifikationen im Blick behalten und auch älteren Menschen zutrauen, dass auch sie etwas dazulernen möchten. Lasst uns dafür ein anwendungsbezogenes Lernen in den Arbeitsalltag integrieren, statt alle paar Jahre Frontalunterricht als Schulung anzubieten.
Und nicht zuletzt: Lasst uns darauf achten, dass die Innovationsabteilungen einer Firma nicht 20 Jahre unter dem Altersdurchschnitt der restlichen Organisation liegen – und nur noch durch den Betriebskindergarten getoppt werden.

Hans Rusinek ist Ökonom und Arbeitsforscher. Als Berater hilft er Organisationen ihren größeren Sinn, ihren Purpose, zu finden und zu leben. Als Autor ist er einer der Chefredakteure von Transform, einem Printmagazin, das sich mit Fragen nach Lebensglück, Nachhaltigkeit und gesellschaftlichem Wandel beschäftigt und Träger des Förderpreises für Wirtschaftspublizistik der Ludwig-Erhard-Stiftung.

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