Wir sitzen am Abgrund auf der Spitze des Eisbergs.
Neues Arcade Fire-Album „We“
Mit "We" veröffentlicht die kanadische Indie-Rock-Band Arcade Fire ihr sechstes Album. © picture alliance / Photoshot
Dystopischer Blick auf Gegenwart und Zukunft
05:47 Minuten
Liebe, Kindheit, Schmerz: Es waren schon immer die großen Themen, die Arcade Fire bewegt haben. In ihrem neuen Werk „We“ fordert die Band die Hörer auf, die Welt zu sehen wie sie ist. Das Album ist das bisher kürzeste der Band – aber voller Ideen.
Arcade Fire galt als eine der größten Indie-Bands der Welt. Vor 20 Jahren als loses Bandkollektiv von fast einem Dutzend Menschen gegründet, sind sie inzwischen noch zu fünft. Es waren schon immer die großen Themen, die Arcade Fire bewegt haben: Liebe, Glaube, Kindheit, Schmerz, Tod.
Unter dem Titel „We“ erscheint nun das sechste Werk. Es ist mit knapp 40 Minuten Spielzeit das bislang kürzeste Album der Band aus Montréal – aber es ist gleichzeitig unglaublich reich an Ideen.
Das Album als aussterbende Kunstform?
Beinahe jeder Song ist unterteilt in verschiedene Parts und Suiten, die auch innerhalb dieser Sequenzen immer wieder unterbrochen werden von musikalischen Richtungswechseln.
„We“ ist eine Symphonie, ein Album-Album. Das war Sänger und Songschreiber Win Butler wichtig: „Das Album ist eine aussterbende Kunstform. Dabei wurde mein Leben mehr durch Alben verändert, als durch einzelne Songs", sagt er. "Wenn du wirklich eintauchen kannst in die Welt eines Albums, verbindet dich das mit dem Künstler, der es erschaffen hat – und ich habe dabei auch eine Menge über mich selbst herausgefunden.“
Zeitalter der Angst
Heute hörten die Menschen auf denselben Geräten Musik, auf denen ihnen von Unterwäsche bis Medikamente alle möglichen Sachen angeboten würden, so Butler weiter, und das, während sie an einen Termin erinnert werden und ein Video anschauen.
Für „We" verlangt Arcade Fire von den Hörenden, sich von der betäubenden Ablenkung der sozialen Medien zu lösen, um die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist: Schon das Eröffnungsstück heißt „Age of Anxiety“ - Zeitalter der Angst.
Ein Abgesang auf die USA
Das übergeordnete Konzept von „We“ ist lose angelehnt an den gleichnamigen dystopischen Roman des russischen Autors Evgenij Zamjatin aus dem Jahr 1921. Darin schildert Zamjatin einen totalitären Staat, der den Bürgern ihr Glück nur vorgaukelt – vor hundert Jahren eine klare Kritik an der Sowjetunion, später eine Vorlage für die bekanntesten Werke von Aldous Huxley und George Orwell.
Zamjatins Werk ist ein Buch, das Win Butler von Arcade Fire schon als Teenager geliebt hat. Am deutlichsten wird der Bezug zu dem Roman im zentralen, vierteiligen Stück des Albums „End of the Empire“ – ein Abgesang auf die USA.
Für Win Butler geht es in dem Stück nicht um die Gegenwart, sondern um die Zukunft, wenn alle internationalen Märkte zusammenbrechen: „Ein Tag, von dem wir alle wissen, dass er kommen wird", sagt er. "Es gibt ihn in jeder Generation. Wir sitzen am Abgrund auf der Spitze des Eisbergs. Uns stehen turbulente Zeiten bevor.“
Herausfinden, worauf es ankommt
Doch keine Angst – Arcade Fire bieten einen Ausweg an: ihre Musik. Die These von „We“: Sich der Angst stellen und dadurch herausfinden, auf was es wirklich ankommt. Auf die Menschen, die man liebt, man schafft es nur gemeinsam. Win Butler singt es, und man selber fühlt es in seinen Songs.
Vorbei ist die coole bis ironisch anmutende Wave- und Disco-Musik der letzten beiden Alben. „We“ ist warm und voller Grandezza, wie sie für Arcade Fire typisch ist; es erinnert an 50er-Jahre Hollywood Filmsoundtracks oder an den Score von Disney-Filmen; hier und da scheinen John Lennon oder der alte Weggefährte David Bowie durch; Peter Gabriel ist sogar tatsächlich als Gast auf dem Album.
Eine musikalische Zeitreise
Das Album ist eine Rückbesinnung auf das, was die Band einst berühmt gemacht hat. Régine Chassagne, Wins Partnerin in der Band und im Leben, erinnert sich: „Einige musikalische Parts auf dem Album sind sehr alt, 20 Jahre, einige sind sogar von genau dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Andere sind erst vor kurzem entstanden. Es fühlt sich an, als würde die Musik wie eine Nadel durch verschiedene Zeiten gehen und diese mit einem Faden verbinden.”