Archäologe des Industriezeitalters

Von Jochen Stöckmann |
Bernd Becher dokumentiert über Jahrzehnte gemeinsam mit seiner Frau die industrielle Architektur in Europa und den USA. Er unterrichtete mehr als 20 Jahre lang an der Düsseldorfer Kunstakademie. Vertreter der "Becher-Schule" gehören heute zu den renommiertesten Fotokünstlern. Im Alter von 75 Jahren ist er in Rostock gestorben.
Fördertürme und Schachtanlagen, Wasserbehälter oder Fachwerkhäuser in schwarz-weiß, eine verlassene, öde Kulisse. Dass in diesen Fotoserien von Bernd Becher niemals Menschen auftauchten, hatte Methode. Ihre Abwesenheit betonte ja nur, dass es sich hier um menschengemachte, um Kulturlandschaften handelte. Die fotografierte Becher nicht als Denkmäler, mit seinem feinen Sinn für Linien und Strukturen machte der Maler und Lithograph daraus vielmehr Landmarken, Merkmale: Vor den Tableaus aus einem Dutzend gleichartiger Bauwerke merkte der Betrachter auf, besann sich auf Unterschiede. "Typologisch" nannte Becher diese Inszenierung – und dafür legte er auch schon mal die Axt an oder holte eine Säge, um Busch und Baum zu beseitigen, die Sicht freizulegen auf archäologisch herauspräparierte Relikte des Industriezeitalters:

Becher: "Es kam häufig vor, dass es abgelehnt wurde. Wir wussten natürlich später, wie man das macht. Also, wir haben uns an Leute gewandt, von denen wir angenommen haben, sie haben Sinn dafür."

Sinn und auch Anerkennung für "Anonyme Skulpturen", so der Titel seines ersten Bildbandes, fand der am 20. August 1931 in Siegen geborene Becher in der internationalen Kunstwelt bereits Anfang der Siebziger, da wurde er zur documenta 5 in Kassel eingeladen, zusammen mit seiner Frau Hilla. Die Fotografin hatte den gelernten Typographen dazu gebracht, eine Kamera zu benutzen, als er die vom Abriss bedrohte "Grube Eisenhardt" im heimischen Siegerland zeichnen wollte. Fortan dokumentierten die beiden gemeinsam Röhrensysteme, Turmgerüste und Bohrgestänge der oft schon vom Verfall gezeichneten Industriekolosse.

Becher: "Nach den ersten Arbeiten darüber sind wir dann in die belgischen Industriegebiete, Luxemburg, Nordfrankreich, Lothringen, England, USA gefahren, wo wir ähnliche Dinge vermuteten."

Die anbrechende Globalisierung brachte auch eine Bilderflut mit sich. Dagegen erwiesen sich die Fotografien der Bechers, die sorgsam inszenierten, eigenartig erstarrten Augenblicke als Monument, als Stein des Anstoßes und des Innehaltens. Aus bewölktem Himmel ergießt sich diffuses Licht ganz gleichmäßig, kaum ein Schatten stört das Gleichmaß der Bauten, die in ihrer geometrischen Konstruktion hervortreten. Diese soziologische, aber auch fast schon sakral wirkende Betrachtung ganz profaner Dinge lehrte Bernd Becher als Professor der Kunstakademie Düsseldorf Fotografen wie Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth oder Candida Höfer. Erfolgreich: Was die Leipziger Schule für eine aufstrebende Malerei, das ist die "Düsseldorfer Schule" für die Fotografie. Bernd Bechers Sicht auf die Dinge ist zum Wahrnehmungsmuster geworden, das nicht nur den Blick des Publikums, sondern auch den Markt entscheidend geprägt hat. Das betonte gestern noch auf dem Leipziger Fotofestival Götz Diergarten, letzter Becher-Schüler sozusagen aus der "dritten Generation":

"Über renommierte Galerien bin ich jetzt seit vier Jahren sehr tief im Kunstmarkt drin und dort auch klar erkennbar als Becher-Schüler. Nicht in dem Sujet, was ich mache, sondern wie ich arbeite: Einfach der typologische Ansatz, in Serien zu arbeiten bei bedecktem Himmel. Ich mache das für die Farben, Bechers haben das für die skulpturale Wirkung der Schwarzweißaufnahmen gemacht. Da kann man schon sagen: klarer Becher-Schüler – und ich werde auch so, zumindest auf dem amerikanischen Markt, erleichtert vermarktet."