Puzzlearbeit auf der Schwäbischen Alb
Tierstatuetten, eine üppige Frauenfigur und Flöten aus Mammutelfenbein – der "Hohle Fels" entpuppte sich, neben anderen Höhlen der Schwäbischen Alb, als ein Fundort für archäologische Raritäten. Wer die Kostbarkeiten bergen will, braucht aber viel Geduld.
Auf dem Weg zum Höhleneingang des Hohlen Fels knirscht der Schotter unter den Schuhsohlen. Es dauert einen Moment bis sich die Augen an das schummrige Licht im Höhleninneren gewöhnt haben und dann stückchenweise die eindrucksvolle Haupthalle der gegenwärtig größten zugänglichen Karsthöhle in Süddeutschland erfassen. Nicholas Conard, Paläontologe an der Universität Tübingen, macht eine ausholende Handgeste zum weitläufigen Höhlengewölbe hinauf:
"Die Akustik hier ist perfekt und es ist vielleicht auch kein Wunder, dass man hier musiziert hat in der Eiszeit."
Dann drückt der Wissenschafter die Play-Taste eines Kassettenrecorders.
Durch den Hohlen Fels klingt die Melodie einer Flöte aus Gänsegeierknochen. Einst hatte das filigrane Instrument fünf Grifflöcher und ist 35.000 bis 40.000 Jahre alt. Archäologen entdeckten es im Höhlenboden, in zwölf Stücke zerborsten. Wenn sie das Mundstück richtig überblasen, entlocken Spezialisten der aus Knochen nachgebauten Flöte noch heute klare Töne.
Nur wenige Meter weiter, etwas tiefer gelegen, befindet sich die Grabungsfläche, wo die Forscher auf das Flötchen stießen. Über eine Leiter klettert Nicholas Conard in die acht Quadratmeter große Grube. Mit der Handkante klopft er genau dort gegen die Grubenwand, wo sich die Erdschicht des Aurignaciens befindet. Es ist das Zeitalter, dem die Steinzeit zugeordnet ist und dessen Beginn die Forscher vor rund 40.000 Jahren datieren.
Tierknochen, Schmuckperlen und Elfenbeinfragmente
In den Sedimenten dieses Zeitalters ist die Funddichte hier am Ort sehr groß. Bereits seit 1830 werden bei der Suche nach Rohstoffen und Baumaterialien Tierknochen, Schmuckperlen und Elfenbeinfragmente gefunden. Und im Jahr 2008 auf Quadrat 30 der Grabungsfläche sogar eine Frauenfigurine: Die aufsehenerregende "Venus vom Hohlen Fels". Dennoch, sagt der Paläontologe nachdrücklich, dass man sich seine Arbeit, nicht wie bei "Indiana Jones" vorstellen dürfe:
"Es ist nicht so, dass man einen Spatenstich macht und dann eine große Entdeckung macht. Es ist komplett umgekehrt. Die Grabung entspricht einem winzigen Bruchteil der Gesamtarbeit. Die meisten Arbeitsschritte sind eher erstmal, die Sedimente werden gewaschen, sortiert, die Funde werden dokumentiert, zusammengesetzt, publiziert. Und natürlich gibt es unendlich viele naturwissenschaftliche Analysen."
Einige Autominuten entfernt, im Steinbruch Gerhausen wird klar, was der Paläontologe meint. Ein Zementwerk stellt hier Räumlichkeiten für ein ganzes Team von Tübinger Archäologen zur Verfügung. Im Flur hängt eine Schiefertafel mit Kreidezahlen. Die Zahlen geben an, wie viele Säcke mit Gesteinsmaterial bereits sortiert wurden. In den letzten sieben Jahren gingen mehr als 33.000 Säcke Material durch die Hände des internationalen Teams von Studenten und Doktoranden.
Einen Karton mit Sedimentgestein
Im Arbeitsraum liegt das Geräusch von kratzenden Pinzetten in der Luft. Jeder der Studenten hat einen Karton mit Sedimentgestein vor sich liegen und begutachtet jedes einzelne Körnchen davon. Team-Leiterin Mareike Brenner erklärt:
"Wir suchen hier nach allen möglichen Artefakten, die irgendetwas mit anthropogener Aktivität zu tun hat. Also was irgendwie auf die Aktivitäten von Menschen rückschließen lassen kann. Zum anderen Suchen wir Mikrofauna, oder auch die Knochen können uns Dinge über die Paläoumwelt erzählen. Also wir können rekonstruieren, wie das Klima damals war, welche Tiere wurden gejagt, welche Tiere haben dort gelebt."
Jeder noch so winzige Splitter landet eingetütet in der sogenannten Highlight-Box. Einer Kiste aus Holz, in der die Studenten ihre Fundstücke sammeln. Für das ungeübte Auge des Laien wenig aufregend, für die Wissenschaft aber sehr wertvoll. Wie wertvoll stellt sich erst später heraus, wenn die Experten alle Sedimentstückchen auf den Tisch legen und damit puzzeln, so wie das etwa bei der Knochenflöte der Fall war. Eine Arbeit, die bis heute kein Computer übernehmen kann, so Nicholas Conard, sondern nur ein sehr erfahrenes menschliches Auge.