Friedrich von Borries/Benjamin Kasten: "Stadt der Zukunft. Wege in die Globalopolis"
Fischer Taschenbuch 2019
208 Seiten, 13 Euro
"Mit der Stadt identifiziert man sich mehr als mit der Nation"
08:00 Minuten
Der Trend geht zum Ballungsraum. Immer mehr Menschen ziehen weltweit in die Städte. Dort gibt es aber viele ungelöste Probleme: Verkehr, Müll, Stress. Wie werden Städte zum Zukunftsmodell? Der Architekt Friedrich von Borries hat sich Gedanken gemacht.
Liane von Billerbeck: Schon 2050 wird ein Großteil der Menschen weltweit und ein noch größerer Anteil der Europäer in Städten leben. Heute schon sind 75 Prozent der Deutschen Städter. Wie die Städte zu einem guten Zukunftsmodell werden, zu einem globalen Netzwerk gegen Nationalismus, zu grünen Orten mit guter Lebensqualität, zu Gemeinschaften statt Schlachtfeldern der Verteilungskämpfe, darüber will ich jetzt reden mit dem Architekten Friedrich von Borries.
Er hat nämlich darüber nachgedacht und zusammen mit dem Stadtplaner Benjamin Kasten ein Buch darüber geschrieben, das erscheint morgen. Friedrich von Borries ist Architekt und Professor für Designtheorie an der HFBK in Hamburg.
Die Stadt als Lebensform der Gegenwart: Drei Viertel der Bundesbürger leben in Städten, weltweit schon gut die Hälfte der Menschen, und es werden vermutlich noch sehr viel mehr werden in den nächsten Jahrzehnten, die sich da ein besseres Leben erhoffen. Und jetzt gehen Sie hin und fragen: Wie sollen wir dieses bessere Leben hinkriegen? Und Ihre Antwort darauf ist die Stadt selbst. Fragt man sich natürlich: Warum ist es so wichtig, wie Städte wachsen, so entscheidend?
von Borries: Wir sehen ja, dass das Wachstumsmodell der Stadt der letzten 50 Jahre nicht mehr zukunftsfähig ist, mit mehr motorisiertem Verkehr, mit mehr sozialer Spaltung, mit Wohnraumproblemen, mit Verlust an öffentlichen Grünräumen. Und wie wir das in Zukunft anders gestalten, also gleichzeitig sagen, mehr Menschen in Stadt, dadurch natürlich auch mehr Dichte, aber auch mehr Freiraum und mehr Grünraum, mehr Luft zum Atmen, das ist die große Herausforderung, vor der wir auch schon heute stehen.
Mehr Dichte und trotzdem mehr Freiraum
von Billerbeck: Mehr Dichte und mehr Freiraum, da ist sie ja schon drin, die Stadtutopie, würde ich sagen. In dem Buch, das ich vorher mir schon angucken konnte, wenn auch nur elektronisch, da gibt es am Anfang einen kurzen Comic – da haben Sie Zeichnungen drin aus einem Berlin der Zukunft. Da gibt es dann Fahrräder, Luftschiffe und Flywheels statt Autos, in den Autotunneln unterirdisch, da gibt es Gemüsegärten und Insektenfarmen und eine Sonderwirtschaftszone kurbelt die Einnahmen an, eine 16-Jährige wurde zur Bürgermeisterin gelost, natürlich alles klimaneutral. Diese Globalopolis, die wird ein Netzwerk. Das ist die Utopie, das ist die Zukunftsvision. Was würde sich denn verändern, wenn Städte statt Staaten die politische Größe sind?
von Borries: Ich glaube, eines der Phänomene, die wir ja heute erleben, ist, dass es zwar auf der einen Seite einen neuen Nationalismus gibt, aber man dem nicht so richtig glaubt, weil der Bezugspunkt Nation auch vor dem Hintergrund von globaler Migration und einem zunehmend kosmopolitischen Lebensstil nicht mehr glaubwürdig zu sein scheint.
Das Konstrukt Nation als Identifikationspunkt hat, glaube ich, seinen Höhepunkt langsam überschritten, auch wenn es jetzt noch mal so ein letztes Zucken gibt, und Stadt bietet einfach eine viel positivere Identifikationsmöglichkeit an. Das ist der Raum, in dem ich lebe, das ist der Raum, den ich auch selber erfassen und erfahren kann.
Städte sind viel integrationsfähiger, als es das Organisationsmodell Nation ist. Und deshalb beschreiben wir als eine der Zukunftsvisionen, dass sozusagen die Organisationseinheit, die politische, mit der man sich identifiziert und die auch die Macht hat, die Stadt ist und nicht die Nation. Und dann denkt man natürlich in Stadtnetzwerken, und bekommt man ein ganz anderes Bild von der Welt, in der wir leben, als heute sozusagen mit Nation und mit harten Grenzen, sondern ein fließenderer Raum, in dem die eine Stadt in die andere übergeht und wir uns in diesen Städten freier aufhalten können, als wir das heute in Ländern tun.
Mobilität hat Sinn und Zweck
von Billerbeck: Das klingt unglaublich harmonisch. Wenn wir uns manche Großstadt der Gegenwart vor Augen führen, dann wissen wir, da ist Stau, da ist Hektik, da ist Umweltverschmutzung. Und gerade wenn wir auf eines kommen, nämlich die Mobilität, dann wissen wir, wie schwierig das ist, da eine Zukunftsfähigkeit hinzukriegen. Sie setzen immer gleich ein Wort neben das Wort Mobilität, nämlich das Wort sozial. Was ist eine soziale Mobilität?
von Borries: Uns ist total wichtig, noch mal zu verdeutlichen, dass die Ursprungsidee der Mobilität, der Bewegung ja nicht nur einfach ist, wie komme ich von A nach B, sondern auch, was passiert dann mit mir. Und dass die Menschen vom Land in die Stadt ziehen oder von bestimmten Regionen der Erde in andere, ist ja nicht, weil sie das jetzt so toll finden, sich durch die Welt zu bewegen, sondern weil sie die Hoffnung haben, dass sich ihr Leben dadurch verbessert - und dass es diese Verbesserung ist, die man soziale Mobilität nennt, und räumliche und soziale Mobilität sind halt miteinander verknüpft. Ich glaube, wir können dieses Mobilitätsproblem, vor dem wir heute stehen, nicht nur rein technisch lösen, indem wir überlegen, was sind die besseren Motoren oder was sind die besseren Mobilitätskonzepte, sondern indem wir auch immer mitdenken, warum bewegen die Menschen sich überhaupt?
von Billerbeck: Das zweite Problemfeld, das da in Ihrem Buch bearbeitet wird, ist ein Gegensatzpaar, nämlich Stadt und Natur, jedenfalls ein Gegensatz in vielen Städten. Interessanterweise sorgen Sie nicht nur dafür, dass das passiert in Ihrer Vision, was ja schon teilweise Realität ist – begrünte Dächer, grüne Orte in der Stadt –, sondern Sie holen auch die Dinge in die Stadt zurück, die man eigentlich so gar nicht mit Natur verbindet, nämlich Klärwerke, Kraftwerke, Müllverbrennung, Recyclinganlagen. Warum bitte das?
von Borries: Wenn man jetzt Freudianisch argumentieren würde, gibt es einfach bestimmte Sachen, die wir verdrängt haben aus unserem Bewusstsein, also alles, was Müll ist, was Dreck produziert, und wir versuchen das umzudrehen und zu sagen, das sind doch eigentlich auch Rohstoffe, das sind doch wertvolle Sachen. Und in dem Moment bekommen sie auch eine andere Rolle in der Stadt.
Und wenn wir dann als Nächstes sagen, wir gestalten die auch noch aktiv, dann wird diese Werthaftigkeit auch erlebbar. Wir verknüpfen das in unserem Buch. Auf der einen Seite ist es natürlich eine utopische Vision, aber wir versuchen es ja auch immer anzuknüpfen an konkrete Beispiele, was heute schon gemacht wird.
In Kopenhagen wurde ja gerade die Verknüpfung von Müllverbrennungsanlage, Park und Skipiste realisiert, und das ist ein Projekt, das zeigt, wenn wir das anders denken und nicht immer sozusagen die Sachen verdrängen und den Müll aus der Stadt rausschieben, sondern uns fragen, was heißt das eigentlich, wenn wir das akzeptieren als Teil von unserem städtischen Leben, dann gestalten wir es auch anders, dann gehen wir damit anders um. Und dann werden wir auch, glaube ich, perspektivisch bewusster Müll produzieren oder eben Müllproduktion vermeiden.
Stadt wird nicht von oben gemacht, sondern von uns
von Billerbeck: Wir könnten hier noch über ganz viele Dinge reden, das Buch ist wirklich sehr interessant, da scheinen viele Facetten auf. Die Frage ist nur, mit wem wollen Sie das zusammen bauen, diese Stadt der Zukunft, da muss man ja Bündnispartner haben, die das auch mitmachen.
von Borries: Eine Sache, die in dem Buch ganz wichtig ist – wir haben jetzt ja viel über diese Visionen gesprochen, das utopische Potenzial, die Imagination - aber es gibt ja noch zwei andere Teile: einmal eine Beschreibung, was wird heute denn schon gemacht, also Beispiele, die auch Mut machen wie die Skipiste in Kopenhagen, und Handlungsfelder, wo wir heute schon arbeiten und ansetzen können. Die sind sehr vielfältig, und ich glaube, da kann jeder seinen Teil dazu beitragen. Insofern sind wir alle, wir machen Stadt, Stadt wird nicht von oben gemacht, sondern Stadt wird von uns gelebt, wird von uns als Stadtbewohnern gestaltet und mit Leben gefüllt, und in diesem Sinne sind wir alle unsere eigenen Bündnispartner.
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