Architekt: "Passagiere brauchen eher einen netten Empfangsbahnhof"
Der Stararchitekt Frei Otto hält es für möglich, auch über der Erde in Stuttgart einen modernen Kopf- oder Durchgangsbahnhof zu bauen. Die geologische Beschaffenheit des Baugrundstücks sei bis heute nicht ausreichend bekannt.
Marietta Schwarz: Seit Monaten hält sich nun schon der Protest gegen "Stuttgart 21", und auch die Schlichtung, die scheint nicht so richtig voranzukommen. Die Fronten sind verhärtet, es geht eigentlich nur noch um pro oder contra, um Abriss oder Erhalt des alten Bonatz-Baus, um Durchgangs- oder Kopfbahnhof. Über den architektonischen und städtebaulichen Entwurf zu diesem Megaprojekt hört man vergleichsweise wenig. Wir wollen darüber mit einem der ganz großen deutschen Nachkriegsarchitekten sprechen, dessen berühmtestes Werk wohl das Münchner Olympiastadion ist, und der als Architekt und Konstrukteur an "Stuttgart 21" beteiligt war. Frei Otto, guten Morgen!
Frei Otto: Ja, guten Morgen!
Marietta Schwarz: Man liest, Sie hätten ein Modell von "Stuttgart 21" bei sich zu Hause stehen. Stimmt das?
Frei Otto: Na ja, wir haben viele Modelle, genau 120 etwa.
Marietta Schwarz: 120 Modelle von "Stuttgart 21"?
Frei Otto: Ja.
Marietta Schwarz: Und die sehen alle anders aus?
Frei Otto: Nun ja, wir haben ja intensiv am Wettbewerb mitgearbeitet, zusammen mit meinem jüngeren Kollegen Christoph Ingenhoven, und ich bin eigentlich sehr zufrieden mit dem Entwurf, der damals prämiert wurde und zur Ausführung bestimmt, ohne Zweifel, und wir beide, Christoph und ich, waren sehr zufrieden.
Marietta Schwarz: Was hat sich im Laufe der Zeit an diesem Entwurf verändert, worüber muss man jetzt noch mehr nachdenken?
Frei Otto: Also es gibt neue Erfahrungen, was die geologische Struktur des Untergrundes anbelangt. Die hatten wir zum Wettbewerb nicht in dieser vollen Ausdehnung. Wir wussten nicht, welchen unglaublich schwierigen Baugrund wir haben. Jetzt wissen wir es langsam, aber auch noch nicht vollkommen, und man muss halt sehr vorsichtig sein. Und das zweite Problem war, dass wir bis heute noch nicht wissen, wie das Projekt geprüft werden soll. Es sieht in der Öffentlichkeit so fertig aus, aber ein ungeprüftes Projekt ist wie ein Auto, das ohne Reifendruck fährt oder keinen TÜV hat; das ist noch genauer.
Marietta Schwarz: Wie kann es denn passieren, dass ein Projekt jetzt schon 13 Jahre alt ist, und nicht ausreichend geprüft ist?
Frei Otto: Wie kann das passieren? Ich habe ja oft genug dazu Stellung genommen, und das sind einige jener Probleme, die das Projekt hat. Ich habe oft genug auch gesagt: Veröffentlicht das Projekt, so wie es jetzt ist, wie es gebaut werden soll! Also veröffentlicht es, zeigt, was wirklich los ist, damit nicht das Publikum draußen meint, es würde immer falsch informiert. Und ich glaube, das Hauptproblem bei dem Projekt ist, dass das Publikum nicht glaubt, richtig informiert zu sein.
Marietta Schwarz: Nun gibt es ja normalerweise ein Planfeststellungsverfahren, bei dem dann schon sehr frühzeitig die Bürger mit einbezogen werden. Ist das bei "Stuttgart 21" nicht passiert?
Frei Otto: Ja, das Planfeststellungsverfahren hat es gegeben, es hatte aber hier seine Tücken. Es wurde nach sehr, sehr vielen Eingaben – praktisch waren auch meine Bedenken dabei – festgestellt, dass wegen der höheren Bedeutung des Bahnhofsprojektes die minder wichtigen Eingaben zurückstellen sollten, praktisch alle. Und so wurde das Projekt genehmigt, obwohl es noch nicht baureif war.
Marietta Schwarz: Herr Otto, Sie halten heutzutage die Realisierung im Wasser und anhydridreichen Untergrund, die Realisierung dieses Projektes einfach für zu gefährlich. Das kann man nachlesen. Würden Sie denn von jedem weiteren Tunnelbau in Stuttgart abraten?
Frei Otto: Nein, um Gottes Willen nicht! Außerdem sind normale Tunnel längst nicht das Gleiche wie mit unserem Bahnhofsprojekt. Der Bahnhof ist ein Riesen-Hohlraum unter der Erde von beinah 100 Metern Breite, 12 Metern Höhe und 420 Metern Länge, nämlich so lang wie der heutige Zug lang ist. Aber dieser Hohlraum muss festgehalten werden, er bekommt einen ungeheuren Druck von mindestens zwei bis drei Tonnen je Quadratmeter, und diese Riesenkräfte müssen gehalten werden.
Marietta Schwarz: Über der Erde ließe sich ja ein Durchgangsbahnhof, um den geht es ja, nicht bauen. Müssen sich die Stuttgarter also letztendlich von diesem Vorhaben verabschieden, oder gibt es noch eine Alternative?
Frei Otto: Aber selbstverständlich ließe sich über der Erde ein entsprechender Bahnhof bauen, nur das war nicht die Aufgabe im Wettbewerb. Im Wettbewerb war bereits die Querung, das heißt, dass die neue Strecke quer zur alten läuft, vorgegeben, und das war die Bedingung, wenn man überhaupt eine Chance im Wettbewerb haben wollte, und dem sind wir gefolgt. Auch der Tiefbahnhof war vorgegeben, die sogenannte Wanne, also eine Betonhöhle oder ein Betonschiff im Boden war bereits geplant von dem entsprechenden Planer, das war Bruno Boll, den wir gut kennen.
Marietta Schwarz: Wäre ein Durchgangsbahnhof über der Erde möglich aus Ihrer Sicht?
Frei Otto: Es ist beides über der Erde möglich, ein völlig moderner, neuer Kopfbahnhof, und ein Durchgangsbahnhof. Es ist aber eine Frage, was sinnvoller ist. Auch diese Frage ist schwer zu klären. Eins ist klar: Passagiere brauchen hier einen netten Empfangsbahnhof, wo sie sich wohlfühlen in der Stadt. Deshalb stellt sich die Frage nach einem Durchgangsbahnhof gar nicht so sehr, sondern eher nach einem guten empfangenden Bahnhof.
Marietta Schwarz: Das heißt, Sie, wenn ich das richtig verstehe, sind eigentlich gegen den Durchgangsbahnhof und würden den Kopfbahnhof vorziehen?
Frei Otto: Ich bin nicht gegen irgendetwas, auch nicht für etwas. Ich gehöre also weder in das Team der Gegner oder Befürworter. Ich habe eine Lösung abgegeben, diese Lösung hat aufgrund der Umstände Schwierigkeiten gehabt, und habe auch intern nach Auswegen gesucht. Aber alle Alternativen, die sich ergeben, wurden nicht intensiv untersucht, dass man sie miteinander vergleichen kann. Das tut mir leid, da geht sicher noch sehr viel Zeit drauf.
Marietta Schwarz: Der Architekt Frei Otto war das, seinerzeit mitbeteiligt an den Planungen für Stuttgart 21, Herr Otto, herzlichen Dank für das Gespräch!
Frei Otto: Gut!
Frei Otto: Ja, guten Morgen!
Marietta Schwarz: Man liest, Sie hätten ein Modell von "Stuttgart 21" bei sich zu Hause stehen. Stimmt das?
Frei Otto: Na ja, wir haben viele Modelle, genau 120 etwa.
Marietta Schwarz: 120 Modelle von "Stuttgart 21"?
Frei Otto: Ja.
Marietta Schwarz: Und die sehen alle anders aus?
Frei Otto: Nun ja, wir haben ja intensiv am Wettbewerb mitgearbeitet, zusammen mit meinem jüngeren Kollegen Christoph Ingenhoven, und ich bin eigentlich sehr zufrieden mit dem Entwurf, der damals prämiert wurde und zur Ausführung bestimmt, ohne Zweifel, und wir beide, Christoph und ich, waren sehr zufrieden.
Marietta Schwarz: Was hat sich im Laufe der Zeit an diesem Entwurf verändert, worüber muss man jetzt noch mehr nachdenken?
Frei Otto: Also es gibt neue Erfahrungen, was die geologische Struktur des Untergrundes anbelangt. Die hatten wir zum Wettbewerb nicht in dieser vollen Ausdehnung. Wir wussten nicht, welchen unglaublich schwierigen Baugrund wir haben. Jetzt wissen wir es langsam, aber auch noch nicht vollkommen, und man muss halt sehr vorsichtig sein. Und das zweite Problem war, dass wir bis heute noch nicht wissen, wie das Projekt geprüft werden soll. Es sieht in der Öffentlichkeit so fertig aus, aber ein ungeprüftes Projekt ist wie ein Auto, das ohne Reifendruck fährt oder keinen TÜV hat; das ist noch genauer.
Marietta Schwarz: Wie kann es denn passieren, dass ein Projekt jetzt schon 13 Jahre alt ist, und nicht ausreichend geprüft ist?
Frei Otto: Wie kann das passieren? Ich habe ja oft genug dazu Stellung genommen, und das sind einige jener Probleme, die das Projekt hat. Ich habe oft genug auch gesagt: Veröffentlicht das Projekt, so wie es jetzt ist, wie es gebaut werden soll! Also veröffentlicht es, zeigt, was wirklich los ist, damit nicht das Publikum draußen meint, es würde immer falsch informiert. Und ich glaube, das Hauptproblem bei dem Projekt ist, dass das Publikum nicht glaubt, richtig informiert zu sein.
Marietta Schwarz: Nun gibt es ja normalerweise ein Planfeststellungsverfahren, bei dem dann schon sehr frühzeitig die Bürger mit einbezogen werden. Ist das bei "Stuttgart 21" nicht passiert?
Frei Otto: Ja, das Planfeststellungsverfahren hat es gegeben, es hatte aber hier seine Tücken. Es wurde nach sehr, sehr vielen Eingaben – praktisch waren auch meine Bedenken dabei – festgestellt, dass wegen der höheren Bedeutung des Bahnhofsprojektes die minder wichtigen Eingaben zurückstellen sollten, praktisch alle. Und so wurde das Projekt genehmigt, obwohl es noch nicht baureif war.
Marietta Schwarz: Herr Otto, Sie halten heutzutage die Realisierung im Wasser und anhydridreichen Untergrund, die Realisierung dieses Projektes einfach für zu gefährlich. Das kann man nachlesen. Würden Sie denn von jedem weiteren Tunnelbau in Stuttgart abraten?
Frei Otto: Nein, um Gottes Willen nicht! Außerdem sind normale Tunnel längst nicht das Gleiche wie mit unserem Bahnhofsprojekt. Der Bahnhof ist ein Riesen-Hohlraum unter der Erde von beinah 100 Metern Breite, 12 Metern Höhe und 420 Metern Länge, nämlich so lang wie der heutige Zug lang ist. Aber dieser Hohlraum muss festgehalten werden, er bekommt einen ungeheuren Druck von mindestens zwei bis drei Tonnen je Quadratmeter, und diese Riesenkräfte müssen gehalten werden.
Marietta Schwarz: Über der Erde ließe sich ja ein Durchgangsbahnhof, um den geht es ja, nicht bauen. Müssen sich die Stuttgarter also letztendlich von diesem Vorhaben verabschieden, oder gibt es noch eine Alternative?
Frei Otto: Aber selbstverständlich ließe sich über der Erde ein entsprechender Bahnhof bauen, nur das war nicht die Aufgabe im Wettbewerb. Im Wettbewerb war bereits die Querung, das heißt, dass die neue Strecke quer zur alten läuft, vorgegeben, und das war die Bedingung, wenn man überhaupt eine Chance im Wettbewerb haben wollte, und dem sind wir gefolgt. Auch der Tiefbahnhof war vorgegeben, die sogenannte Wanne, also eine Betonhöhle oder ein Betonschiff im Boden war bereits geplant von dem entsprechenden Planer, das war Bruno Boll, den wir gut kennen.
Marietta Schwarz: Wäre ein Durchgangsbahnhof über der Erde möglich aus Ihrer Sicht?
Frei Otto: Es ist beides über der Erde möglich, ein völlig moderner, neuer Kopfbahnhof, und ein Durchgangsbahnhof. Es ist aber eine Frage, was sinnvoller ist. Auch diese Frage ist schwer zu klären. Eins ist klar: Passagiere brauchen hier einen netten Empfangsbahnhof, wo sie sich wohlfühlen in der Stadt. Deshalb stellt sich die Frage nach einem Durchgangsbahnhof gar nicht so sehr, sondern eher nach einem guten empfangenden Bahnhof.
Marietta Schwarz: Das heißt, Sie, wenn ich das richtig verstehe, sind eigentlich gegen den Durchgangsbahnhof und würden den Kopfbahnhof vorziehen?
Frei Otto: Ich bin nicht gegen irgendetwas, auch nicht für etwas. Ich gehöre also weder in das Team der Gegner oder Befürworter. Ich habe eine Lösung abgegeben, diese Lösung hat aufgrund der Umstände Schwierigkeiten gehabt, und habe auch intern nach Auswegen gesucht. Aber alle Alternativen, die sich ergeben, wurden nicht intensiv untersucht, dass man sie miteinander vergleichen kann. Das tut mir leid, da geht sicher noch sehr viel Zeit drauf.
Marietta Schwarz: Der Architekt Frei Otto war das, seinerzeit mitbeteiligt an den Planungen für Stuttgart 21, Herr Otto, herzlichen Dank für das Gespräch!
Frei Otto: Gut!