Träume aus Beton
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Ein Gotteshaus aus Beton: Der Architekt Gottfried Böhm hat den Mariendom im Wallfahrtsort Neviges im Stil des Brutalismus errichtet. Nun widmet sich eine Ausstellung in Frankfurt dem Bau – und feiert damit den 100. Geburtstag Böhms.
Am kommenden Donnerstag feiert der Architekt Gottfried Böhm seinen 100. Geburtstag. Das Architekturmuseum in Frankfurt am Main widmet dem Künstler eine Ausstellung, bei der sein berühmtestes Bauwerk im Mittelpunkt steht: der 1968 eingeweihte Mariendom im Wallfahrtsort Neviges zwischen Wuppertal und Essen. Kurator Oliver Elser weiß über Böhm eine Anekdote zu berichten:
"In der zweiten Wettbewerbsrunde hat Gottfried Böhm, wie er das eigentlich immer gemacht hat, ein Modell abgegeben, was aus Plastilin, also aus Knetmasse hergestellt war. Er hat das im Unterschied zu seinen Mitbewerbern, die das von professionellen Modellbauern in Holz oder auch Kunststoff haben ausführen lassen, selber geknetet. Dann wurden dem Erzbischof Frings, der damals schon halb erblindet war, die verschiedenen Entwürfe vorgestellt und er hat das mit den Händen ertastet. Was zuvor Gottfried Böhm mit den Fingern geformt hat, hat der Bischof mit den Händen, den Fingern noch einmal erkannt".
Spott für den Bau
Ob es wirklich so war? Man kann es sich gut vorstellen, wenn man die abenteuerlich gefaltete Dachlandschaft des Mariendoms sieht. Was uns heute als großartige Geste des Betonbrutalismus erscheint, war damals, Ende der 1960er-Jahre, höchst umstritten.
Das Magazin "Der Spiegel" berichtete damals genüsslich, dass die Anwohner einen ähnlichen Betonbau von Böhm in Bensberg als "Affenfelsen" bezeichneten. Jetzt also der "Gottesfelsen".
"Es gibt einen wunderbaren Film über Böhm, wo man einmal eine Überblendung sieht", berichtet Kurator Elser. "Einer seiner Betonkirchen überblendet mit Ruinen, also Kriegsruinen. Bei uns in der Ausstellung hängt ein Bild, wo der Architekt Wolfgang Döring 1970 auch in polemischer Absicht schreibt: Also, diese ganze Betonarchitektur, die hätte ja auch sehr viel von Atlantikwall und Verteidigungsarchitektur. Ob sich da denn nicht was getan hätte. In einer Zeit der Unsicherheit - drohender Atomkrieg, Kubakrise usw. in den 60er-Jahren – haben diese starken ausdrucksvollen Betonbauten sicher auch etwas zu tun mit einem tatsächlichen Schutzbedürfnis".
Die Frankfurter Ausstellung zeigt die Konkurrenzentwürfe – alle geprägt von starkem Ausdruckswillen. Trichterformen, Spiralen, Kreuze. Aber nur Gottfried Böhm hatte den Mariendom als Endpunkt eines ansteigenden Pilgerweges entworfen.
Signalrote Rosenfenster
Das Innere dieser Betonarchitektur ist genau so sensationell wie die äußere Form: eine zerklüftete Landschaft mit vielen Emporen und markanten Lichtwirkungen.
"In Neviges steht man tatsächlich erst mal in einer dunklen Höhle und stellt dann fest, wo das Licht herkommt", sagt Elser. "Dann steht man vor einem fantastischen, poppig roten, signalroten Rosenfenster. Der Tag draußen kann trist sein und grau – wir waren im Winter dort – dieses Fenster leuchtet, es brennt quasi."
Die Zeichnungen, Entwürfe und Fotos der Ausstellung haben einen starken Sehnsuchtseffekt. Man möchte sofort nach Neviges, um endlich am realen Ort zu sein. Eine Ahnung dieses Erlebnisses hat das Architekturmuseum inszeniert, wie Kuratorin Miriam Kremser berichtet:
"Wir haben die Stirnwand des Auditoriums in Neviges gehüllt, man steigt also ab ins Auditorium und läuft auf die Apsis der Wallfahrtskirche in Neviges zu. Wir sehen dort eine illusionistische Raumansicht, eine Collage aus historischen Fotos der Wallfahrtskirche, die kurz vor und nach der Eröffnung entstanden sind und hier aneinander gesetzt wurden. Wir wollen versuchen, an den 5,50 Meter hohen Wänden einen Raumeindruck davon zu geben, was passiert, wenn man in Neviges eintritt", so Kremser.
Wundergläubigkeit stellt sich ein
Derzeit allerdings wird das Dach der Wallfahrtskirche saniert, das schon wenige Jahre nach der Eröffnung immer wieder Wasser durchließ. Eine dünne Schicht aus sogenanntem Textilbeton wird aufgetragen: Spritzbeton mit integrierten Carbonmatten.
Wie in der Bauphase des Doms müssen die Handwerker wahre Kletterkünstler sein. Wenn dieser Dom jemals fertig würde, so hatte ein Polier damals geschworen, werde er zum Katholizismus konvertieren. Das wird von den Besuchern dieser Gottfried-Böhm-Ausstellung nicht verlangt. Aber eine gewisse Wundergläubigkeit, die stellt sich ohne Weiteres ein.