Architektonischer Höhenwahn

Von Christian Gampert |
Im Zürcher Museum für Gestaltung widmet sich die Ausstellung "Hochhaus – Wunsch und Wirklichkeit" der Bedeutung und Geschichte von Wolkenkratzern. Dabei werden Wohnungs- und Prestigeprojekte auf der ganzen Welt verglichen.
Städtebaulich gesehen sind Hochhäuser Medien der Verdichtung: hier können Wohnungen und Büros, ergo: Menschen, platzsparend übereinander gestapelt werden, eine typische Erfindung des Hochkapitalismus mit seiner aufstrebenden Ingenieurskunst. Und nicht erst seit dem 11. September 2001 ist unser Verhältnis zu diesen überdimensionierten Geschäfts- und Wohnmaschinen ambivalent: in den leichten Grusel vor ihrer schieren Höhe, ihrem Macht-Gestus und ihrer Anonymität mischen sich ökologische Bedenken, denn es gibt im Bauwesen kaum größere Energieschlucker als diese Skyscraper.

All das ficht Finanzinvestoren natürlich nicht an: etwa die Hälfte aller Hochhäuser weltweit wurden in den letzten zehn Jahren gebaut, die allermeisten von ihnen in Asien und im arabischen Raum. Städte wie Shanghai und Hongkong spielen dann auch eine Hauptrolle in der Züricher Ausstellung, die einige Städte in Europa, Amerika und der Dritten Welt miteinander vergleicht.

In Hongkong beispielsweise findet der gesamte gemeinnützige Wohnungsbau seit den 1950er Jahren ausschließlich im Bautyp des Hochhauses statt.

Kurator Andres Janser: "Das hat auch damit zu tun, dass die Topographie sehr markant ist, Meer und Hügellage, ganz begrenzter Baugrund. Wenn man da bleiben und wachsen wollte, hatte man nur die Möglichkeit, von Meer Land zu gewinnen, das macht man seit Jahren, und in die Höhe zu bauen."

Während in Hongkong, bis 1997 britische Kronkolonie, alles stadtplanerisch streng reglementiert zuging, scheint im chinesischen Shanghai das blanke Chaos zu herrsche.

"In Schanghai ist es so, dass seit etwa 20 Jahren des Immobilienmarkt liberalisiert wurde, dass es eine immense Bevölkerungsbewegung vom Land in die Stadt gibt, und dass man vor der Notwendigkeit stand, nur um Wohnraum zur Verfügung zu stellen, dass man in die Höhe wachsen musste."

Die chinesische Form des Kapitalismus produziert Stadtlandschaften, die in ihrer gigantomanen Grauheit kaum zu schlagen sind. 12.000 Hochhäuser gibt es in Shanghai, ein Viertel davon hat 20 oder mehr Etagen.

In Europa ist man traditionell etwas vorsichtiger: Das Hochhaus ist hier noch immer die Ausnahme. Natürlich nimmt die Ausstellung Zürich selber gern als Beispiel, wo man gerade den stadtprägenden "Prime Tower" baut, einen skulptural auskragenden Glas-Beton-Turm an den beiden wichtigsten Verkehrsachsen der Stadt. Der Architekturkritiker Vittorio Lampugnani hält solche spektakulären Einzelbauten für eitlen Selbstverwirklichungswahn. Ausstellungskurator Andres Janser dagegen spricht von "diskreter Urbanität":

"Das Leitbild der Stadt Zürich sieht vor, dass in dem Bereich mehrere Hochhäuser entstehen sollen und können, sodass, wenn man auf die Stadt dann schauen wird in ein paar Jahren, so eine lose Kette von durchaus einzelnen, aber durchaus auch visuell miteinander verbundenen Hochhäusern da stehen wird."

In London wurden bis 1970 fast keine Hochhäuser gebaut, jetzt dagegen umso mehr in den Finanzzentren der City und im alten Hafenviertel. Nur die Sichtachsen auf St. Paul’s Cathedral und Westminster müssen frei bleiben, ansonsten herrscht Wildwuchs. Das freut die Finanzhaie, die in London mit die besten Renditen erzielen - über der London Bridge Station wird 2012 das höchste Gebäude Europas eröffnet, gebaut von Renzo Piano.

Aber Hochhäuser sind nicht nur als Geschäfts-, sondern auch als Wohnhäuser zunehmend begehrt – von einer gesellschaftlichen Elite, die sich das leisten kann: den Blick von oben auf die Stadt, die ihr untertan ist.

"Ein Blick nach London zeigt, dass der Markt für Wohnungen für sehr hohe Preissegmente gemacht wird. Bis in die 1970er-Jahre gab es eine ganz andere Entwicklung in Deutschland, in Frankreich, in der Schweiz, dass der Mittelstand, der soziale Wohnungsbau in der Form des Hochhauses stattfand. Im Moment gibt es eine Verschiebung, die damit zu tun hat – für die Schweiz kann man das sagen, aber auch für London – dass es ein Interesse einer zahlungskräftigen Kundschaft gibt an Wohnungen im Hochhaus, was ja vor 20, 30 Jahren so nicht gewesen wäre."

Die Ausstellung sieht diese Entwicklungen nicht nur positiv. Sie zeigt, neben den beeindruckenden Architekturfotos, auch fotografische Porträtstudien über das oft armselige Leben im Dritte-Welt-Hochhaus, zusammengestauchte Individualität in Kleinstwohnungen. Sie versucht, architektonische Alternativen aufzuzeigen – wie "The Met" im heißen Bangkok, ein Projekt einheimischer Architekten, die die geschlossene Form des Hochhauses aufbrechen und in vielen Stockwerken Gemeinschaftsplätze und Gärten anlegen. Die offene Form macht die Klimaanlage weitgehend überflüssig.

Schlussendlich werden noch einige der Vorschläge für die neue Bebauung von Ground Zero diskutiert, etwa der solidarische Riegel aus mehreren, mit Brücken stabil miteinander verzahnten Hochhäusern von Richard Meier, Peter Eisenman und anderen. Das wäre ein Statement gewesen; aber es wird nicht gebaut, der Investor hat anderes vor.

So zeigt diese Ausstellung die ganze Ambivalenz des architektonischen Größenwahns, ohne uns zu belehren: das Hochhaus bleibt ein angsteinflößendes Faszinosum.