Architektur als religiöses Gesamtkunstwerk
Er gilt als der bedeutendste deutsche Kirchenbaumeister in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Der Architekt Dominikus Böhm formulierte die Grundsätze des neuen Bauens für die sakrale Architektur. In Köln ist jetzt im Museum für Angewandte Kunst eine Werkschau Böhms zu sehen.
Wer durch den Kölner Vorort Riehl fährt, im Norden der Innenstadt am Rhein gewachsen, als die Stadt im frühen 20. Jahrhundert Industriequartiere brachte, stutzt vielleicht, wenn ein markantes Gebäude an der Peripherie des Blickfelds auftaucht: ein Rundbau mit Kuppel, daneben ein einzeln stehender hoher schlanker Turm. Sollte das eine Moschee sein?
Als die Kirche St. Engelbert 1929 konzipiert wurde, gab es in Deutschland noch keinen Bedarf für Moscheen. Seine orientalische und vermeintlich zu wenig christliche Anmutung wurde aber von vornherein beobachtet und dem Gebäude vielfach zum Vorwurf gemacht.
Es handelt sich um das Meisterwerk des Architekten Dominikus Böhm, seinen wohl prägnantesten und avanciertesten Bau, Ziel- und Höhepunkt auch in der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst. Zentral in der Blickachse bewegt man sich auf die "Zitronenpresse" zu, wie Böhms Bau wegen seiner beherrschenden, in einzelne Segmente gefalteten Kuppel in Köln mit treffendem Spott genannt wird. Am Wege findet der Besucher zahlreiche andere Projekte des Kirchenbaumeisters dokumentiert, unter dem poetischen Titel "Raum ist Sehnsucht".
Wolfgang Voigt: "Das ist ein Zitat aus einem Brief an an einen Pfarrer, in dem Böhm seinen Raum erklärt. Der ganze Satz heißt: "Raum ist Sehnsucht, und die Opferstätte ist die Erfüllung". Der Altar ist der Ort der heiligen Handlung, die das Zentrum der katholischen Messe bildet. Seine kirchliche Raumkunst war Ausformung der liturgischen Reformbewegung."
Kurator Dr. Wolfgang Voigt unterstreicht das Zusammentreffen zweier Tendenzen, die sich wechselseitig beförderten im Kirchenbau von Dominikus Böhm: Das Erscheinungsbild bestimmten Expressionismus und "Neue Sachlichkeit", die ihn künstlerisch prägten und ihren Niederschlag in der Formensprache Böhms fanden, der viele Jahre als Lehrer für Bauzeichnung an verschiedenen Schulen wirkte und schon fast 40 war, als er seine erste Chance als Architekt erhielt.
Konzeptionell ging der gläubige Katholik, der Anhänger und Motor kirchlicher Reformen war, von den Überlegungen zu einer neuen Liturgie aus, die erst mit dem 2. Vatikanischen Konzil in den 60er Jahren allgemein gültig wurden.
Wolfgang Voigt: "Böhm ist unter den Architekten Anfang der 20er Jahre der Allerwichtigste, der neue Dinge vorschlägt und Begriffe vorschlägt, die dann Schule machen, wie zum Beispiel der Einraum, in dem alles passiert, eine Kirche, die nicht mehr aufgesplittert ist, Chor und Kirchenschiff und Seitenkapellen, wo alles einer Sache untergeordnet ist, der zentralen Botschaft."
Das revolutioniert den Kirchenbau - schon in Dreißiger Jahren wird Böhm auch international diskutiert und gewinnt bestimmenden Einfluß in progressiven Kreisen. Besonders beschäftigt er sich mit dem Zentralbau, orientiert auf den Altar mitten unter der Gemeinde. Die romanische Baukunst Italiens, die er besonders bewundert, liefert ihm Inspiration, die er freilich ganz eigenständig neu formuliert.
Böhm gehört zu den ersten, die die Konstruktion unverstellt erscheinen lassen. Auch hierfür ist die schon beschriebene "Zitronenpresse" das beste Beispiel: Das segmentierte Gewölbe über dem Kirchenraum erscheint von außen als gefaltete Kuppel.
Auch in der Wahl seiner Materialien öffnet sich Böhm der neuen Zeit. Er liebt die expressionistischen Ziegelmauern, aber bald experimentiert er auch ausgesprochen kreativ und virtuos mit den Möglichkeiten, die ihm der Schalenguß in Beton bietet.
Überflüssig zu erwähnen, dass es gerade im Bereich des Kirchenbaus mit eher konservativ gestimmten Auftraggebern wohl einer besonderen Überzeugungskraft bedurfte, neue Formen und Baustoffe durchzusetzen. "Gott wohnt auch in Bimsbeton", hieß eine Titelstory, die der Spiegel 1953 über den Architekten machte.
Diese Argumentationskraft, mit der der Baumeister für seine Entwürfe warb, kann der Besucher in der Ausstellung nachvollziehen. Böhm zeichnete nämlich seine Visionen der fertigen Bauwerke, expressiv in schwarzer Kohle, dramatisch inszeniert vor dunkeln Wolkenhimmeln, effektvoll illuminiert, manchmal in mehreren Lichtstimmungen. Diese großformatigen Blätter, die das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt kürzlich erwerben konnte, sind neben vielen detailgenauen Modellen eine große Attraktion der Schau.
Wolfgang Voigt: "Expressiv - Expressionismus, das bezieht sich ja auf Wirkung, und Böhms Zeichnungen und auch seine Bauten sind Stimmungskunst, Wirkungskunst, die soll überwältigen, aber natürlich auf ein höheres Ziel gerichtet, auf die Religion."
Das beginnt im Außenraum, mit Treppenanlagen, mit Portalen, die den Besucher aufzusaugen und in die Höhe zu ziehen schien, das setzt sich im Innenraum fort. Denn Böhm war ein Virtuose der Lichtführung, mit der er den einzelnen Raumteilen spirituelle Bedeutung gab und Blick und Konzentration des Besuchers lenkte.
Kongenial hat diese Wirkung Hugo Schmölz erfasst. In seinen kunstvoll im Licht inszenierten Fotos werden die Intentionen des Architekten ideal sichtbar und die Ausstellung würdigt "ganz nebenbei" noch einen der wichtigsten Architekturfotografen der 20er und 30er Jahre. Böhm strebte übrigens immer nach dem religiösen Gesamtkunstwerk: er gestaltete auch Kruzifixe und Leuchter, Meßgewänder und Kirchenfenster. Ja, komponierte sogar selbst Kirchenmusik.
Interessant ist in Köln, wo Dominik Böhm von 1925 bis zu seinem Tode 1955 gelebt und gearbeitet hat und wo sein Sohn Gottfried und drei seiner Enkel die Familientradition des Architektenberufs inzwischen in der vierten Generation weiterführen, auch das Rahmenprogramm zur Ausstellung. Nicht nur die berühmte "Zitronenpresse", St. Engelbert in Riehl, sondern insgesamt zehn Kirchenbauten von Dominikus Böhm in Köln und Umgebung kann man in den nächsten Wochen unter sachkundiger Führung besuchen.
Service:
"Raum ist Sehnsucht - Der Kirchenbaumeister Dominikus Böhm"
Bis 11. Dezember 2005
Di - So 11- 17
Köln - Museum für Angewandte Kunst
Als die Kirche St. Engelbert 1929 konzipiert wurde, gab es in Deutschland noch keinen Bedarf für Moscheen. Seine orientalische und vermeintlich zu wenig christliche Anmutung wurde aber von vornherein beobachtet und dem Gebäude vielfach zum Vorwurf gemacht.
Es handelt sich um das Meisterwerk des Architekten Dominikus Böhm, seinen wohl prägnantesten und avanciertesten Bau, Ziel- und Höhepunkt auch in der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst. Zentral in der Blickachse bewegt man sich auf die "Zitronenpresse" zu, wie Böhms Bau wegen seiner beherrschenden, in einzelne Segmente gefalteten Kuppel in Köln mit treffendem Spott genannt wird. Am Wege findet der Besucher zahlreiche andere Projekte des Kirchenbaumeisters dokumentiert, unter dem poetischen Titel "Raum ist Sehnsucht".
Wolfgang Voigt: "Das ist ein Zitat aus einem Brief an an einen Pfarrer, in dem Böhm seinen Raum erklärt. Der ganze Satz heißt: "Raum ist Sehnsucht, und die Opferstätte ist die Erfüllung". Der Altar ist der Ort der heiligen Handlung, die das Zentrum der katholischen Messe bildet. Seine kirchliche Raumkunst war Ausformung der liturgischen Reformbewegung."
Kurator Dr. Wolfgang Voigt unterstreicht das Zusammentreffen zweier Tendenzen, die sich wechselseitig beförderten im Kirchenbau von Dominikus Böhm: Das Erscheinungsbild bestimmten Expressionismus und "Neue Sachlichkeit", die ihn künstlerisch prägten und ihren Niederschlag in der Formensprache Böhms fanden, der viele Jahre als Lehrer für Bauzeichnung an verschiedenen Schulen wirkte und schon fast 40 war, als er seine erste Chance als Architekt erhielt.
Konzeptionell ging der gläubige Katholik, der Anhänger und Motor kirchlicher Reformen war, von den Überlegungen zu einer neuen Liturgie aus, die erst mit dem 2. Vatikanischen Konzil in den 60er Jahren allgemein gültig wurden.
Wolfgang Voigt: "Böhm ist unter den Architekten Anfang der 20er Jahre der Allerwichtigste, der neue Dinge vorschlägt und Begriffe vorschlägt, die dann Schule machen, wie zum Beispiel der Einraum, in dem alles passiert, eine Kirche, die nicht mehr aufgesplittert ist, Chor und Kirchenschiff und Seitenkapellen, wo alles einer Sache untergeordnet ist, der zentralen Botschaft."
Das revolutioniert den Kirchenbau - schon in Dreißiger Jahren wird Böhm auch international diskutiert und gewinnt bestimmenden Einfluß in progressiven Kreisen. Besonders beschäftigt er sich mit dem Zentralbau, orientiert auf den Altar mitten unter der Gemeinde. Die romanische Baukunst Italiens, die er besonders bewundert, liefert ihm Inspiration, die er freilich ganz eigenständig neu formuliert.
Böhm gehört zu den ersten, die die Konstruktion unverstellt erscheinen lassen. Auch hierfür ist die schon beschriebene "Zitronenpresse" das beste Beispiel: Das segmentierte Gewölbe über dem Kirchenraum erscheint von außen als gefaltete Kuppel.
Auch in der Wahl seiner Materialien öffnet sich Böhm der neuen Zeit. Er liebt die expressionistischen Ziegelmauern, aber bald experimentiert er auch ausgesprochen kreativ und virtuos mit den Möglichkeiten, die ihm der Schalenguß in Beton bietet.
Überflüssig zu erwähnen, dass es gerade im Bereich des Kirchenbaus mit eher konservativ gestimmten Auftraggebern wohl einer besonderen Überzeugungskraft bedurfte, neue Formen und Baustoffe durchzusetzen. "Gott wohnt auch in Bimsbeton", hieß eine Titelstory, die der Spiegel 1953 über den Architekten machte.
Diese Argumentationskraft, mit der der Baumeister für seine Entwürfe warb, kann der Besucher in der Ausstellung nachvollziehen. Böhm zeichnete nämlich seine Visionen der fertigen Bauwerke, expressiv in schwarzer Kohle, dramatisch inszeniert vor dunkeln Wolkenhimmeln, effektvoll illuminiert, manchmal in mehreren Lichtstimmungen. Diese großformatigen Blätter, die das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt kürzlich erwerben konnte, sind neben vielen detailgenauen Modellen eine große Attraktion der Schau.
Wolfgang Voigt: "Expressiv - Expressionismus, das bezieht sich ja auf Wirkung, und Böhms Zeichnungen und auch seine Bauten sind Stimmungskunst, Wirkungskunst, die soll überwältigen, aber natürlich auf ein höheres Ziel gerichtet, auf die Religion."
Das beginnt im Außenraum, mit Treppenanlagen, mit Portalen, die den Besucher aufzusaugen und in die Höhe zu ziehen schien, das setzt sich im Innenraum fort. Denn Böhm war ein Virtuose der Lichtführung, mit der er den einzelnen Raumteilen spirituelle Bedeutung gab und Blick und Konzentration des Besuchers lenkte.
Kongenial hat diese Wirkung Hugo Schmölz erfasst. In seinen kunstvoll im Licht inszenierten Fotos werden die Intentionen des Architekten ideal sichtbar und die Ausstellung würdigt "ganz nebenbei" noch einen der wichtigsten Architekturfotografen der 20er und 30er Jahre. Böhm strebte übrigens immer nach dem religiösen Gesamtkunstwerk: er gestaltete auch Kruzifixe und Leuchter, Meßgewänder und Kirchenfenster. Ja, komponierte sogar selbst Kirchenmusik.
Interessant ist in Köln, wo Dominik Böhm von 1925 bis zu seinem Tode 1955 gelebt und gearbeitet hat und wo sein Sohn Gottfried und drei seiner Enkel die Familientradition des Architektenberufs inzwischen in der vierten Generation weiterführen, auch das Rahmenprogramm zur Ausstellung. Nicht nur die berühmte "Zitronenpresse", St. Engelbert in Riehl, sondern insgesamt zehn Kirchenbauten von Dominikus Böhm in Köln und Umgebung kann man in den nächsten Wochen unter sachkundiger Führung besuchen.
Service:
"Raum ist Sehnsucht - Der Kirchenbaumeister Dominikus Böhm"
Bis 11. Dezember 2005
Di - So 11- 17
Köln - Museum für Angewandte Kunst