Ausstellung "Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter?" im Aedes Architekturforum Berlin vom 9. Dezember 2017 - 18. Januar 2018.
Wohnen in kleinen Schachteln
Mit vier Personen auf gut 50 Quadratmeter leben? In der Ausstellung "Willst du wirklich wohnen wie deine Mutter?" im Aedes Architekturforum Berlin ist ein 1:1-Modell von Wiener Architekten zu sehen, das von den Mitbewohnern klösterliche Disziplin verlangt.
Wir leben auf großem Fuß. Mehr als 40 Quadratmeter Wohnfläche stehen statistisch inzwischen jedem Deutschen zur Verfügung vor zwei Jahrzehnten reichten noch um die 30 Quadratmeter aus, in den 1950ern waren es um die 15. Längst ist der Platzverbrauch als eines der zentralen Probleme der westeuropäischen Gesellschaften erkannt. Doch wird er immer weiter hochgeschoben durch die Versingelung, größeren Wohlstand und sogar die Digitalisierung, die zur Verlagerung von Arbeitsplätzen in die Wohnungen führt.
Platz für eine Familie oder ein Professorenehepaar
Die Aedes-Galerie in Berlin zeigt jetzt ein radikales Gegenmodell: Eine Wohnung, aufgebaut im Maßstab 1:1 aus Spanplatten, von nur 54 Quadratmetern. Ausreichend ist diese Wohnung, wie die Architektin Anna Popelka aus Wien sagt, um ein Professorenehepaar, aber auch eine ganze Familie mit zwei Kindern aufzunehmen. Ein zentraler Raum dient dem Zusammensein, dem Spielen, Herumsitzen, Essen und den Hausarbeiten. Es ist der einzige polygonale Raum. Rund um ihn herum sind acht rechteckige Kammern angeordnet. Man könnte auch Kabinen sagen. Wobei Schiffskabinen, diese Muster räumlicher Effizienz, im Vergleich fast verschwenderisch groß wirken. Drei Kabinen davon sind funktional festgelegt: Die Küche, sonst doch inzwischen zum Wohnraum geworden, erlebt hier ein Comeback als reiner Funktionsraum, in dem man sich kaum drehen kann, aber kochen soll; das Bad, knapp und effizient, und, viel zu oft vergessen im Stockwerksbau, ein anständiger Abstellraum.
Wohin mit dem Kleinkram?
Die anderen fünf Kammern sind zur freien Verfügung. Da ist ein Schlafzimmer, in dem das Doppelbett gerade so zwischen die Wände passt. Immerhin, ein Flachbildschirm findet noch Platz über der Matratze. Aber um von der einen Bettseite auf die andere zu kommen, muss man durch den Zentralraum gehen. Was, gesetzt den Fall, dort lungern halbwüchsige Gören herum, zu familiären Krisen führen könnte. Aber dann fliehen besagte Gören vielleicht in ihre Kammer, oder in die Arbeitskabine, die wohl nur dank des papierlosen Büros funktionieren kann. Man fragt sich überhaupt schnell, wo hier all der Kram, den man so ansammelt im Lauf eines Lebens, unterkommen soll. Andererseits braucht man den ja auch nur sehr bedingt, und die auf möglichst viele Perspektiven ausgerichteten Fenster entschädigen vielleicht für manches Buch.
Architekten beklagen Normierung des Wohnungsmarkts
Verbunden werden hier die Erfahrungen mit dem Minimalwohnungsbau der 1920er- und 1950er-Jahre mit Kommune-Ideen der 1960er- und 1970er-Jahre und dem Ideal sozialer Egalität, wie er den Wiener kommunalen Wohnungsbau seit der Kaiserzeit geprägt hat. Die Architekten beklagen die Normierung des Wohnungsmarkts in Europa, die Konzentration der Bauherren, Investoren und Architekten auf zweieinhalb, drei und vier Zimmer mit Küche und Bad. Tatsächlich sind neue Wohnmodelle zu suchen in einer zunehmend alternden Gesellschaft. Aber so eng? Willst Du wirklich wohnen wie Deine Mutter, ist der Titel der Ausstellung. Warum eigentlich nicht?
Klösterliche Disziplin gefragt
Letztlich ist dieser Versuch der Zerlegung des Lebens in kleine Schachteln nur für eine freiwillig zusammenziehende Gruppe von Menschen brauchbar, die klösterliche Disziplin in allen Fragen des Lebens wahren will, vom Weckerklingeln und Frühstücksradio am Morgen bis zum Sex in der Nacht. Platzverbrauch und individuelle Freiheit haben nämlich durchaus auch etwas miteinander zu tun.