Stillstand am Bau
Der deutschen Architektur wird zu wenig zugetraut, beklagt der Architekt Friedrich von Borries. Seit dem "großen konservativen Umschwung" der 80er-Jahre hätten immer mehr Bauherren das Vertrauen in die Branche verloren.
Gabi Wuttke: Architektur - sie kann ein gebauter Traum genauso wie ein gebauter Albtraum sein. In welchem Verhältnis beides zueinander steht und wie sich in der Architektur gesellschaftliche und politische Verhältnisse spiegeln, dem will Rem Koolhaas als Kurator der Biennale in Venedig nachspüren, die heute eröffnet wird.
Wieso moderne Architektur in Deutschland weiträumig monoton und im öffentlichen Auftrag entweder rückwärtsgewandt oder mutlos erscheint, darüber möchte ich mit dem Architekten Friedrich von Borries sprechen. 2008 verantwortete er in Venedig den deutschen Pavillon, letztes Jahr war in Berlin seine Weltverbesserungsmaschine zu erleben. Jetzt ist er wieder in Venedig. Einen schönen guten Morgen!
Friedrich von Borries: Guten Morgen!
Wuttke: Ist nur der Laie immer wieder enttäuscht, dass in Deutschland seit Jahrzehnten ästhetisch wenig spannend, dafür umso uniformer gebaut wird?
von Borries: Nee, ich glaube, es gibt auch in der Architektenschaft selber eine gewisse Frustration über eine dort lange anhaltende Stagnation in dem, was Architektur zugetraut wird. Denn es ist ja nicht so, dass das immer nur an den Architekten liegt, weil die keine anderen Ideen haben, weil gebaut wird ja nur das, was ein Bauherr auch zu finanzieren gewillt ist und was Menschen bewohnen oder benutzen wollen. Und da leben wir halt gerade in einer Zeit, wo zumindest in Deutschland, vielleicht sogar in ganz Westeuropa der Architektur relativ wenig zugetraut wird.
Wuttke: Seit wann leben wir denn in dieser Stagnation?
von Borries: Ich glaube, man kann schon sagen, dass mit den 80er-Jahren, mit dem großen konservativen Umschwung, den es ja sowohl in England wie in den USA als auch in Deutschland gegeben hat, so ein bisschen dieses Vertrauen in Architektur als Zukunftsmotor verloren gegangen ist, diese Vorstellung, dass man sich freut, wenn was Neues gebaut wird, wenn man aufgeregt ist, dass da Leute sich was für die Zukunft ausdenken. Dem ist doch eher eine Skepsis in den Vordergrund getreten und, das hat man ja jetzt auch gerade in Berlin gesehen bei der Abstimmung übers Tempelhofer Feld: Keiner glaubt mehr, dass da was Tolles, Neues entstehen kann, worauf man Lust hat, sondern alle haben eher Angst oder halt Vorbehalte, dass das, was da gebaut wird, eher der ganzen Angelegenheit nachträglich als zuträglich ist.
"Es werden keine Experimente mehr gewagt"
Wuttke: Sie sagen, die 80er-Jahre, der Beginn einer Stagnation. Die 80er-Jahre, das war die Ära Kohl. Jetzt sind wir doch eigentlich mindestens zwei Regierungschefs weiter. Warum immer noch Stagnation? Woher kommt das? Nicht nur bei der öffentlichen Hand, sondern auch bei privaten Bauherren?
von Borries: Das ist eine gute Frage. Woher das kommt – ich glaube, das ist so eine gesamtgesellschaftliche Grundstimmung. Misstrauen in Technologie, kein Fortschrittsglaube, was ja auch alles berechtigt ist in vielen Punkten, aber sich halt auch auf Architektur abfärbt, wo keine Experimente mehr gewagt werden. Und, ja, das Tempelhofer Feld hat das jetzt ja auch gezeigt. Wir sagen nicht, wow, da entsteht vielleicht was Neues, sondern wir sagen mehrheitlich nein, wir wollen lieber, dass das so bleibt, wie es ist, weil das, was da gebaut wird, bestimmt schlimmer wird als das, was da jetzt nicht ist. Und diese fast depressive Grundstimmung führt dazu, dass Bauherren sich nicht trauen, eine mutige Architektur zu machen, und Architekten keine Aufträge für mutige Architektur bekommen. Und da gibt es auch noch andere Beispiele. Das Schloss ist ja auch ein wunderbares Beispiel dafür.
Wuttke: Sie sprechen von Depression – ich würde von Langeweile sprechen. Das Ganze ist ja auch noch, wenn es denn die öffentliche Hand in die Hand nimmt, verdammt teuer. Kommt man irgendwann aus diesem Teufelskreis raus?
von Borries: Da braucht es mutige Politiker, da braucht es mutige Bauherren, und es braucht natürlich auch Architekten, die mutige Vorschläge machen. Und das ist ja das Traurige, wenn man sich zum Beispiel das Schloss ansieht. Da gab es ja auch bei dem Wettbewerb durchaus mutige Vorschläge wie der von Kuehn Malvezzi, dass man die Fassade nicht aufbaut, sondern nur so eine Art rohe Struktur lässt. Aber so was hat dann halt heute keine Chance, kriegt dann vielleicht mal einen Sonderpreis, die Fachpresse freut sich drüber, aber gebaut wird was anderes.
"Man braucht mutige Politiker und mutige Bauherren"
Wuttke: Sagen Sie: Wie war denn dann mal in Deutschland so etwas wie das Bauhaus möglich? Was war da auch gesellschaftspolitisch der große Unterschied zu heute?
von Borries: Na gut, ob man das jetzt alles so positiv finden muss, ist ja die andere Frage. Wir haben ja auch das Glück, dass wir mit relativ wenigen gesellschaftlichen Spannungen zu tun haben, und deshalb alle gesamtgesellschaftlich so ein bisschen eingeschläfert, eingebuttert sozusagen, wie die gut gefettete Kuchenform sind. Und das war natürlich in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, mit massiven gesellschaftlichen Konflikten, ganz anders, wo die gesamte gesellschaftliche Stimmung ja geschrien hat nach Veränderung. Und heute sind wir halt so eher so ein bisschen sediert, reden manchmal über Klimawandel, aber sind eigentlich ganz froh, wenn wir nichts ändern müssen oder noch nichts ändern müssen.
Ich bin mir aber auch ziemlich sicher, dass sich das ändern wird, weil auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich ja verändern. Man sieht es ja auch an Südeuropa, wo die ökonomischen Probleme größer sind und wo Architektur dann auch anders in die Pflicht genommen wird als bei uns, wo am Ende kein Hahn danach kräht, wenn so ein Großprojekt wie der Flughafen irgendwie baden geht.
Wuttke: Aber gerade in Portugal und Spanien kann man, was den Wohnungsbau angeht, wirklich erstaunliche Dinge sehen. Was trauen die sich, und warum geht das gerade in einer Zeit, wo es krisengeschüttelter nicht sein kann?
von Borries: Genau. Weil Krisen nun mal Motoren für Kreativität sind. Weil man in der Krise die Notwendigkeit erkennt, nicht zu sagen "Weiter so" sondern: "Es muss anders sein". Und anders heißt erst mal, ausprobieren und experimentieren. Und wir sind hier in einem Modus – das große Merkel'sche Paradigma ist ja "weiter so". Weiter so, weiter so, wird schon werden, Hände verhalten, abwarten. Das hat sie von Kohl gelernt, und das prägt unsere gesamte Gesellschaft.
Wuttke: Sagt im Deutschlandradio Kultur am Eröffnungstag der Architekturbiennale Venedig Friedrich von Borries. Besten Dank und gute Tage in Venedig!
von Borries: Ja, danke, bis dann! Ciao, ciao!
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