Architektur

Qualität statt Quantität, lokal statt global

Architekt Shigeru Ban
Pritzker-Preisträger Shigeru Ban am 13. Juni 2014 bei der Entgegennahme der Auszeichnung in Amsterdam. © dpa / picture alliance / MAXPPP
Von Kerstin Schweighöfer |
Blockhäuser aus Karton, eine Kathedrale aus Pappe, Stadthäuser aus leichtem Metall: Für solch ungewöhnliche Bauten ist der japanische Architekt Shigeru Ban bekannt. Auch dafür ist er in Amsterdam mit dem wichtigsten Preis für Architektur ausgezeichnet worden, dem Pritzker-Preis.
"Ich weiß noch genau, ich hatte zehn Jahre als Architekt gearbeitet, da packte mich der Frust. Ich war enttäuscht über meinen Berufsstand. Rechtsanwälte und Ärzte widmen sich Leuten mit Problemen und helfen ihnen. Wir Architekten hingegen haben in der Regel ausschließlich mit glücklichen Menschen zu tun. Dabei tragen auch wir soziale Verantwortung. Schließlich gibt es genug Menschen in Not, die ein Dach über dem Kopf brauchen. Doch für die haben wir keine Zeit, weil wir ja die ganze Zeit für die Glücklichen und Priviligierten bauen. Irgendwann hat mich das nicht mehr befriedigt."
Stararchitekt Shigeru Ban – klein, freundlich, gut aufgelegt – vor der Preisverleihung heute abend im Amsterdamer Reichsmuseum über die Wende in seinem Leben. Als er anfing, auch für Vertriebene und Obdachlose zu bauen. Für die Opfer von Naturkatastrophen. Notunterkünfte in Ruanda zum Beispiel, auf Haiti oder den Philippinen.
Um Geld und Zeit zu sparen, verwendet der inzwischen 56-Jährige dabei höchst ungewöhnliche Materialien wie etwa Pappkarton. Eines der beeindruckendsten Beispiel: die Kathedrale, die er nach der Erdbebenkatastrophe in Neuseeland 2011 in Christchurch baute. Ihre Tragkonstruktion: 60 Zentimeter dicke und zwei Meter lange Röhren aus Pappkarton.
Sein soziales Engagement und sein kreativer Umgang mit ungewöhnlichen Materialien haben dem 56Jährigen nun den Pritzkerpreis beschert, den Nobelpreis für Architektur. Mit diesem Preis werde nicht nur das Lebenswerk eines Architekten gewürdigt, sondern auch der Beitrag, den er für die Menschlichkeit geleistet habe, betonte Lord Peter Palumbo, eines der Jurymitglieder, die allesamt zur Preisverleihung nach Amsterdam angereist sind:
"Das Wunderbare an Ban ist, dass er sich genug Zeit nimmt für die Menschen, für die er baut, und für ihre Bedürfnisse. Es gibt Architekten, die für Flüchtlinge lieblose Hochbauten entwerfen und sich dann wundern, dass niemand darin wohnen will. Weil sie sich nicht darüber bewusst sind, dass es Kulturen gibt, die nicht vertikal wohnen, sondern nur horizontal. Shigeru Ban würde so etwas nie passieren."
Mit Ban geht der Pritzkerpreis zum zweiten Mal in Folge an einen japanischen Architekten. Nach Toyo Ito im letzten Jahr ist Ban sogar der siebte Japaner, der diese Auszeichnung erhält. Gibt es etwas, das japanische Architekten haben und andere nicht?
Tom Pritzker, der Vorsitzende der nach ihm benannten Stiftung, hat so seine Vermutungen:
"Die Japaner haben eine lange handwerkliche Tradition. Handwerk und Ästhetik sind tief in ihrer Kultur verwurzelt, denken Sie nur an Ikebana, die Kunst des Blumenarrangierens. Auch die Verbundenheit mit der Natur spielt in der japanischen Kultur eine große Rolle. Und die Offenheit für neue Technologien. All diese Elemente können auch zu großartiger Architektur führen."
Ban hat interessiert zugehört, gibt aber dann aber zu bedenken, dass er so richtig japanisch schon lange nicht mehr sei. Er arbeitet überall, mit Büros in Tokio, Paris und New York. Und studiert hat er in den USA. In Japan sei er nur zur Schule gegangen. In Tokio, wo er aufgewachsen ist. Eigentlich wollte er Zimmermann werden. Um mit Holz zu arbeiten, er liebt den Geruch von Holz. Holz gehört noch heute zu seinen Lieblingsmaterialien. Auch unter dem kühn geschwungenen weißen Dach vom Centre Pompidou in Metz verbirgt sich eine spektakuläre Holzkonstruktion.
Das Centre Pompidou in Metz - entworfen von Shigeru Ban und Jean de Gastines
Das Centre Pompidou in Metz - entworfen von Shigeru Ban und Jean de Gastines© picture-alliance / dpa / Thomas Muncke
In Zürich kommen Architekturstudenten aus dem Staunen nicht heraus, wenn sie den neuen Hauptsitz der Schweizer Mediengruppe Tamedia bewundern, denn das siebenstöckige Haus hat ein Innengerüst aus Fichtenholz, das so clever zusammengesteckt wurde, das Schrauben überflüssig waren. Und ebenfalls in der Schweiz, in Biel, wird 2015 der neue Swatch- und Omega-Hauptsitz realisiert, bei dem Ban sein Lieblingsmaterial Holz als weiche biegsame Matrix verwendet, wie ein überdimensionales Korbgeflecht.
Entwerfen tut er nach wie vor ganz altmodisch, mit der Hand, mit dem Bleistift. So wie sein chinesicher Kollege Wang Shu, ebenfalls Jurymitglied, ebenfalls Pritzkerpreisträger. Denn, so bringt es dieser auf den Punkt:
"Der Computer ist mit dem Gehirn verbunden, die Hand hingegen mit dem Herzen."
Neuen Technologien stehen beide offen gegenüber. Aber, so betont Ban: Neue Techniken führten lediglich zu mehr Möglichkeiten, nicht aber zu besserer Architektur. Was es für eine bessere Architektur brauche, sei Zeit. Mehr Zeit. Und die will er sich nehmen:
"Ich bin mir sicher, dass ich nach dieser Preisverleihung viele E-mails mit neuen Aufträgen bekomme. Aber ich will mit meinen Büro nicht größer werden,eher kleiner. Damit ich mir für jedes Projekt mehr Zeit nehmen kann. Erst will ich den Ort kennenlernen, an dem ich sie baue, die lokalen Materialien, die ich dabei verwenden will. Und ich will den Menschen zuhören, den zukünftigen Bewohnern. Weniger statt mehr Projekte, das ist mein Ziel. Es geht um Qualität, nicht um Quantität."
Mehr zum Thema