Dort arbeiten, wo der Chef wohnt
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Das Architekturmagazin Arch+ wagt mit seinen neuen Räumlichkeiten ein besonderes Experiment: Die Redaktion ist zugleich die Wohnung des Herausgebers und seines Lebensgefährten. Wie gestaltet man diese Mischung aus Privat- und Berufsleben?
Arbeiten Sie noch oder wohnen Sie schon? Was wie eine Werbung für ein schwedisches Möbelhaus klingt, ist eine Frage, die sich die beiden Architekten Anh-Linh Ngo und Arno Löbbecke täglich stellen. Ihr Zuhause ist nämlich gleichzeitig ihr Arbeitsplatz. Und nicht nur ihrer: Ihre Wohnung ist seit kurzem Redaktionssitz der Architekturzeitschrift Arch+, deren Mitherausgeber und Mitarbeiter sie sind. Wo die Grenzen zwischen privat und öffentlich verlaufen definieren sie und die zehn Mitarbeiter immer wieder neu.
Vom Home Office zum Office Home
Wohnung und Redaktion finden sich im südlichen Teil der Friedrichstraße, wo sich auch die taz ein neues Haus gebaut hat – eine architektonisch spannende Umgebung, da hier nicht diese typischen, immer gleichen und grauen Steinfassaden hochgezogen wurden, wie sonst in den letzten Jahren in Berlin. Stattdessen kommen unterschiedliche Materialien zum Einsatz, auch die Gebäudehöhe variiert – ein Ort, an dem etwas ausprobiert wird.
In einer Stadt wie Berlin, wo der Wohnraum knapp wird und die Stadtplanung und zahlreiche Architekten händeringend nach neuen Formen des Wohnens und Arbeitens suchen, hat ein Experiment wie das von Arch+ fast schon Prototyp-Charakter. Homeoffice war gestern: Hier wird das Office zum Home.
Entsprechend interessiert beobachtet auch der Berliner Senat dieses Arbeits-Wohn-Experiment. Wenn zahlreiche Wohnungen tagsüber leer stehen, weil Menschen außer Haus auf Arbeit sind, werden solche Verschmelzungen eigentlich getrennter Sphären auch für künftige Herausforderungen der Stadtpolitik interessant. Dass die Architekten sich außerdem selbst zum Gegenstand dieses Experiments machen, statt, wie andere ihrer Berufskollegen, zwar "Tiny Houses" zu entwerfen, selbst aber großzügig bemessene Altbau-Wohnungen vorzuziehen, macht das Experiment zudem besonders spannend.
Auch steuerrechtlich ist diese Art des Wohnens und Arbeitens im Übrigen interessant: Es gibt dafür noch keine steuerliche Form und eigentlich auch keine Kredite. Die jeweiligen Zonen mussten für die Räumlichkeiten genau ausgewiesen werden. Allerdings habe das Finanzamt die Räume auch noch nicht inspiziert, erklären die Zeitschriftenmacher.
"Bei uns ist alles doppelt codiert"
Einmal in den Räumlichkeiten angekommen, fällt eine Trennung zwischen Redaktion und Privatwohnung schwer. Was ist privat? Was öffentlich? Sehr bewusst hat man sich für einen Zwittercharakter entschieden:
"Bei uns ist alles doppelt codiert", erklärt Anh-Linh Ngo. "Diese Schiebetür zum Beispiel schließt nicht nur den Vorraum ab, sondern verdeckt gleichzeitig die Bibliothek, die sich dahinter verbirgt. Das heißt: Hier sitzt auch mal jemand und arbeitet. Mit dem Oberlicht ist das der zentrale Raum. Von dem gehen die meisten Räume ab, der bildet die Schnittstelle. Er ist das Herzstück des Grundrisses. Wir haben das so gestaltet, dass wir die zentralen Räume verbinden können. Wenn man die Möbel beiseite stellt und drei Räume verbindet, hat man Platz für bis zu 80 Personen. Die Arch+ macht viele Veranstaltungen. Das hier ist ein neues Format die Salons."
Die Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Privatsphäre
Allerdings haben Anh-Linh Ngo und sein Lebensgefährte, der Architekt Arno Löbbecke, auch dafür gesorgt, dass man die Wohnung auch in öffentlich und privat teilen kann. Die Grenze verläuft dann rund um den zentralen Patioraum. Hier befindet sich auch die Küche der beiden Bewohner. Die Küchenzeile lässt sich auch über einen Vorhang abtrennen.
Überall in den Räumlichkeiten gibt es Durchgänge, Schiebetüren, Vorhänge und Klappen. Alles ist im Fluss und lässt sich verändern. Das Badezimmer zum Beispiel ist gleichzeitig Flur und zweiter Eingang zur Wohnung, das lässt sich auch durch Klappwände abtrennen und verkleinern. Aus dem Schlafzimmer lässt sich im Handumdrehen ein Musikzimmer machen. Das Bett lässt sich hochklappen.
Repräsentation statt Rückzugsort
Dadurch ergibt sich der Eindruck, dass es in diesen Räumen sehr um Repräsentation geht und weniger um das Bedürfnis nach einem Rückzugsort. Die Redaktions-Wohnung ist sehr ordentlich und aufgeräumt. Sie wirkt wie diese Innenräume in Architekturzeitschriften: Nichts steht rum, keine gebrauchte Tasse, keine Wäschehaufen oder Bücher auf dem Boden, kaum persönliche Gegenstände.
Arno Löbbecke hat diese Wohn-Arbeitswelt quasi entworfen und sagt, er sei schon ordentlicher geworden, seitdem sie dort leben.
Die Mitarbeitern gefällt das Ambiente gut
Aber wie sehen die Mitarbeiter das, wenn ihr Arbeitsplatz in der Wohnung der Chefs liegt? Zunächst gibt es Kernarbeitszeiten, wochentags von 10 bis 19 Uhr – da ist die Redaktion quasi offen. Dann ist es so, dass die Chefs meist eh länger arbeiten als ihre Mitarbeiter, sodass sich das ganz natürlich fügt und kein komisches Gefälle entsteht, falls etwa die Chefs bereits im Feierabend-Modus sind, während nebenan noch Mitarbeiter arbeiten.
Auf Nachfrage gefällt es den Mitarbeitern in jedem Fall gut, dass es unterschiedliche Arbeitssituationen gibt – gemütlichere Räume mit Sofas und Sesseln, aber auch solche mit ganz klassischen Arbeitstischen. Lediglich das Mitbringen von privaten Gegenständen, um den Arbeitsplatz zu individualisieren, ist in einer solchen Arbeitsumgebung nicht ganz so einfach.
(thg)