Architektur

Viele Länder, ein Thema

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Der niederländische Architekt Rem Koolhaas ist Leiter der diesjährigen Biennale. © picture alliance / dpa
Von Carsten Probst |
Dieses Jahr wird alles anders bei der berühmtesten Ausstellung für Gegenwartsarchitektur in Venedig. Biennale-Direktor Rem Koolhaas will, dass die Architekten der Teilnehmerländer ein gemeinsames Thema bearbeiten und sich fragen, was aus ihrer nationalen Architektur geworden ist.
Eigentlich versteht sich die Architektur-Biennale in Venedig als eine Art Leistungsschau für Gegenwartsarchitektur, aber Rem Koolhaas hat sich die offizielle Erlaubnis geholt, es diesmal ganz anders zu machen. Er möchte in die Vergangenheit schauen und in die Zukunft, wie er sagt. Wenn man sich das traditionelle, noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden Konzept der Länderpavillons auf der Biennale von Venedig anschaut, dann liegt das sogar nahe.
Koolhaas möchte, dass die einzelnen Nationen diesmal nicht einfach ihre üblichen, leicht heroisierenden Selbstdarstellungen abliefern, die mitunter auf simple Tourismuswerbung hinauslaufen, sondern dass sie gemeinsam über ihre nationale Architektur nachdenken, und was eigentlich heute daraus geworden ist.
"Vor hundert Jahren hatte jede Nation ihre Nationalarchitektur, mehr oder weniger wiedererkennbar. Heute hingegen produzieren alle Staaten mehr oder weniger dieselbe Architektur, und es gibt eine Vielzahl von Gründen, wie sich die Nationalarchitekturen zu dieser Einheitlichkeit hin entwickelt haben: Was mir während unserer Gespräche mit den Nationen besonders die Augen geöffnet hat, war, wie turbulent all diese Nationalgeschichten besonders im 20. Jahrhundert waren. Wie sie verschwanden, neu gegründet wurden oder sich selbst neu erschufen, wie sie erneut verschwanden, annektiert, verdoppelt oder halbiert wurden - und in all diesen Fällen spielte Architektur eine Rolle, um diese Geschichte wie eine Art Kommentar zu begleiten."
Thematische Vorgabe für Länderpavillons
"Absorbing Modernity" soll dieser Programmteil der Biennale heißen, bei dem diesmal die Länderpavillons ausnahmsweise von Rem Koolhaas als dem Biennale-Leiter eine gemeinsame thematische Vorgabe erhalten und so zu einer eigenen Gesamtausstellung werden.
Der Deutsche Pavillon unter den Kommissaren Alex Lehnerer und Savvas Ciriacidis etwa wird eine imaginäre Vereinigung von Hans Hoffmanns altem Pavillongebäude aus dem Dritten Reich in den Giardini mit dem Kanzlerbungalow in Bonn aus den sechziger Jahren vornehmen. Auf den Gedanken mit dem Generalthema für alle Länderpavillons kam Rem Koolhaas vor zwei Jahren, auf der von David Chipperfield geleiteten Architekturbiennale, die er als Negativbeispiel erlebte.
"Hier habe ich Ihnen einmal die unglaubliche Vielzahl der Themen in den Pavillons der letzten Architekturbiennale 2012 aufgelistet, eine wahre Kakofonie ohne kritisches Gewicht. Ich benötigte die zusätzliche Zeit der Vorbereitung, um mit den Kommissaren der einzelnen Länderpavillons zu sprechen und um sie dazu zu bringen, sich dieses Mal individuell alle demselben Thema zu widmen, nämlich, wie ihre Nationen jeweils mit der Modernisierung der letzten hundert Jahre umgegangen sind. Das soll nur das Oberthema sein, natürlich sagen wir niemandem, wie er das am Ende in seinem Pavillon darzustellen hat."
Und doch ist deutlich, dass Koolhaas mit der Biennale diesmal etwas völlig anderes vorhat, als man es bislang gewohnt ist. Im großen Biennale-Pavillon, dem riesigen, labyrinthischen Gebäude in den Giardini, in dem seit einigen Jahren immer die Thesenausstellungen der jeweiligen Biennale-Leiter stattfinden, wird Koolhaas ein enzyklopädisches Kabinett zu Geschichte aller Einzelelemente von Architektur einrichten, vom Balkon bis zur Toilette.
Erfindung des Balkons veränderte die Welt
"Wie völlig anders wäre die Weltgeschichte verlaufen ohne die Erfindung des Balkons! Wie Sie auf dieser historischen Collage aus Fotografien sehen, fanden die wichtigsten Ansprachen über das Medium des Balkons statt. Eine bestimmte Art von Städten, etwa im mittleren Osten oder in Asien, würde nicht existieren ohne Balkone. Die ganze Stadt ist ein einziger Balkon, ein großes Interface zwischen Innen und Außen. Dubai zum Beispiel ist charakterisiert durch riesige Wände aus lauter Balkonen, einer ungeheuren Vielfalt von Balkonen, aber wenn Sie dort nach Zeichen von Leben suchen, finden sie überall eigentlich immer nur denselben Modus."
Die über 400 Meter langen Hallen der Corderie schließlich, jene mittelalterlichen Seilerwerkstätten im Arsenale von Venedig, will Koolhaas schließlich mit einer besonderen Referenz an das Gastgeberland bespielen: "Monditalia" heißt der Titel einer riesigen Installation, bei der sich eine alte geografische Karte Italiens über die gesamte Länge der Hallen erstrecken wird und bei der die zeitgleich zur Architekturbiennale stattfindenden, Theater, Tanz- Film- und Musikbiennalen Gastbeiträge zur Architekturgeschichte liefern sollen. Das soll aber, laut Koolhaas, nicht nur ein Fest für die Sinne werden, sondern auch eine exemplarische Darstellung für die Funktion der Architektur in der Gegenwart.
"Italien ist eine emblematische Landschaft, es ist wie viele andere Länder, hat eine unglaublich reiche Geschichte und Kultur, gleichzeitig eine Unfähigkeit, von seinen reichen Anlagen ganz und gar zu profitieren. Es geht dabei nicht um Italiens heutige, komplizierte Situation – vielmehr wollen wir am Beispiel Italiens die Bedingungen der Gegenwart in vielen Staaten zeigen."
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