"Sind Mauern überhaupt noch eine physische Angelegenheit?"
Mauern einreißen! Das haben Marianne Birthler und das Berliner Büro Graft, Kuratoren für die Architekturbiennale in Venedig, vor. "Unbuilding Walls" heißt ihr Projekt. Doch dass Ausstellungskonstrukt bröckelt arg, findet Architekturkritiker Nikolaus Bernau.
"Es wird noch einiges an Debattenbedarf geben", sagt Architekturkritiker Nikolaus Bernau über den Vorentwurf der Ausstellung "Unbuilding Walls", dem deutschen Beitrags für die Architekturbiennale in Venedig. Am Beispiel von 28 Projekten wollen die Ausstellungsmacher zeigen, was sich auf dem ehemaligen Grenzstreifen in Berlin und ganz Deutschland seit dem Mauerfall architektonisch entwickelt hat.
Die zentrale Botschaft, dass es länger dauere, Mauern abzureißen, als sie aufzubauen, sei durchaus erkennbar. Doch Bernau moniert, dass Berlin mit 20 von 28 Projekten stark überrepräsentiert sei. Auch werde nicht genügend thematisiert, dass die grundlegende "Mauerphilosophie" im Fall der Berliner Mauer umgekehrt worden sei:
"Der Sinn von Mauern ist immer gewesen, Leute draußen zu halten. Und das ist die Besonderheit der DDR-Grenzsicherung – wie übrigens auch die Grenzsicherung in Tschechien und Bulgarien: Dass sie nämlich Leute drinnen halten sollten."
Chinas digitale Mauern fehlen
Außerdem hinterfragt Bernau, die Charakteristik von Mauern heutzutage:
"Warum fehlen eigentlich die digitalen Mauern? China beispielsweise baut heute nicht die große chinesische Mauer mehr, sondern baut eine große Mauer im digitalen Bereich, damit die Bevölkerung drinnen gar nicht mehr hört, was draußen debattiert wird. Das ist sehr, sehr effizient und sehr erfolgreich. Da ist die Frage: Sind Mauern heute überhaupt noch eine physische Angelegenheit?"
Kuratiert wird die "Unbuilding Walls" vom Berliner Architekturbüro Graft, das mit Entwürfen für Angelina Jolie und Brat Pitt, aber auch mit Nothäusern für New Orleans und anderen Sozialprojekten bekannt geworden ist.
Mit den geschwungenen und sehr dynamischen Formen ist es auch das Büro, das man heute beauftragt, wenn man möglichst schnell kommerziell erfolgreich sein will mit Architektur", sagt Bernau.
Inhaltlichen Input liefert die frühere Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler.
Neben den 28 Post-Mauerfall-Projekten sollen sechs weitere Mauern gezeigt werden, unter anderen der Trump-Wall zwischen den USA und Mexiko, die Mauern zwischen Nord- und Südkorea, die zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten und den Europäischen Sicherheitsanlagen nach Süden.