Architekturmuseum der TU Berlin

Die Magie der ersten Entwürfe

06:17 Minuten
Ein Mann fotografiert auf der Museumsinsel die geschlossene James-Simon-Galerie mit dem angrenzenden Neuen Museum.
Der erste Entwurf der James-Simon-Galerie soll auf einer Serviette entstanden sein. © picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa
Von Christiane Habermalz |
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Seit 1885 sammelt das Architekturmuseum der TU Berlin Zeichnungen, Pläne und Modelle. Einige der Entwürfe wurden nie realisiert wie etwa ein 200 Meter hohes, pyramidenförmiges Hochhaus neben dem Reichstag, ein Entwurf aus dem Jahr 1920.
Am Anfang jeder großen Architektur steht die Idee. Eine hingeworfene Skizze, die die Genialität des späteren Entwurfs schon ahnen lässt.
Alexander Schwarz, leitender Entwurfsarchitekt von David Chipperfield, erzählte einmal, seine erste Zeichnung der James-Simon-Galerie, des neuen Eingangsgebäudes der Berliner Museumsinsel, sei auf einer Papierserviette der Deutschen Bahn entstanden. In ein paar Jahrzehnten wäre diese Serviette sicher ein Paradeausstellungsstück für ein Architekturmuseum.
Doch Hans-Dieter Nägelke, Leiter des Architekturmuseums der TU Berlin hat sich gegenüber grandiosen ersten Gedanken eine gewisse professionelle Zurückhaltung angewöhnt.
So auch bei der wunderschönen, mit schnellem Strich von Johannes Jacobus Pieter Oud 1922 hingeworfenen Zeichnung einer Villa für das Ehepaar Kallenbach im Berliner Grunewald. Das Projekt, für das sich auch Walter Gropius und Alfred Meyer beworben hatten, wurde nie gebaut – doch der Entwurf wurde wegweisend für die Moderne.
"Wenn Oud dazu geschrieben hätte, erster Entwurf. Dann würden wir begeistert sein, und sagen: 'Wow, das was wir immer suchen bei Michelangelo und überall, ja, die erste Skizze zu irgendwas.' Nun bin ich ja ein böser Skeptiker und manchmal auch ein bisschen zynisch. Manchmal entsteht so etwas ja auch hinterher", so Nägelke.

Von Kaffeesatz und Kerzenwachs

Auch in der Architektur wird, wie in allen Künsten, fleißig am Nachruhm gearbeitet. Das kleine Architekturmuseum der TU Berlin bewahrt nicht nur echte oder vermeintliche erste Skizzen berühmter Entwürfe auf. Es gehört zu den ältesten seiner Art, seit seiner Gründung 1885 sammelt das Museum Zeichnungen, Wettbewerbsentwürfe, Modelle, Pläne vornehmlich der preußischen und deutschen Baukultur des 18. Jahrhunderts bis heute.
Einer der jüngsten Zugänge ist der Privatnachlass des 2006 plötzlich verstorbenen Architekten Michael Mussotter. Er ist einer der Favoriten von Claudia Zachariae. Die Sammlungskustodin hat ihn in den 1990er Jahren noch selbst als exzentrischen Professor an der TU erlebt hat – seine Seminare, in denen er mit seinen Studenten ganze Flugzeuge auseinander baute, waren berüchtigt. Genau wie seine Entwürfe.
"Er hat mit Kaffeesatz gemalt, und wenn er sich das abends schön gemacht hat mit Kerzen, dann hat er das Kerzenwachs über seine Zeichnungen gekleckert. Das ist seelisch sehr tief, würde ich sagen, was er gemacht hat", sagt Zachariae.

Der USB-Stick ersetzt das Papier

Lange war es neben Modellen vor allem Papier, das bewahrt wurde, als Rollen, in dicken Folianten gebunden oder in großformatigen Schubladen gelagert. Inzwischen wird vieles auf Datenträgern übergeben. Nicht mehr lange, sagt Hans Dieter Nägelke, und das gesamte Schaffen eines Architektenlebens wird auf einen Stick passen. Gut für die beengten Depots, schlecht für Kaffeesatz, Kerzenwachs und die Aura des Originals.
Die findet man aber noch, wenn man etwa in den colorierten Zeichnungen des Otto Rieth blättert, Mitarbeiter von Paul Wallot beim Bau des Reichstagsgebäudes, der vor allem für seine Entwürfe monumentaler Denkmäler bekannt war.
"Sie sehen diese Nasen hier, diese typischen germanischen Nasen, Masken und so. Also man denkt ans Kyffhäuserdenkmal. Rieth ist zum Teil hocherotisch, er ist so ein Erotomane gewesen, wo immer wieder in merkwürdigsten Kombinationen nackte Menschen, überwiegend Frauen auftauchen, von vorne, von hinten, als überdimensionale Denkmalsfiguren, also es ist wirklich ein spannender Nachlass", so Nägelke.

Ideen, die nie gebaut wurden

Wie alle Architekturarchive beherbergt die Sammlung auch vieles, was nie gebaut wurde. Etwa das gigantische Reichshaus, das Otto Kohtz 1920 neben den Berliner Reichstag setzen wollte – ein 200 Meter hohes, pyramidenförmiges Hochhaus, neben dem das benachbarte Reichstagsgebäude wie Spielzeug ausgesehen hätte.
Oder die kompletten Einreichungen zum Wettbewerb für die Berliner Museumsinsel, an dem sich 1883 zweiundfünfzig der namhaftesten deutschen Architekten beteiligten. Unter anderem auch das Stuttgarter Büro Neckelmann und Schmidt.
"Hier sehen Sie einen Überblick über die gesamte Insel, vor allen Dingen mit dieser, und das ist ja das Besondere an diesem Entwurf, mit dieser gewaltigen Kathedrale für den Pergamonaltar. Und dazu gibt’s dieses schöne Blatt."
Hans Dieter Nägelke zieht eine großformatige Tuschezeichnung aus der Schublade. Sie zeigt eine perspektivische Innenansicht des Altarsaals: Der Pergamonaltar wird von einer riesigen, domartigen Kuppel überwölbt, ein Saal voller historisierender Säulen, Kapitelle und Rundbögen, in dem der antike Fries quasireligiös inszeniert wird.
Realisiert wurde übrigens am Ende keiner der 52 Wettbewerbsentwürfe. Wenige Jahre später vergab Wilhelm II. den Bau des Bodemuseums als Direktvergabe an seinen Hofarchitekten Ernst von Ihne. Und bis 1930 dauerte es, bis Alfred Messels strenger, neoklassizistischer Entwurf für das Pergamonmuseum umgesetzt wurde.
Die ungebaute Museumsinsel von 1883 blieb ein Gedankengebäude – eine vergessene architektonische Vision und ein Spiegel der Ästhetik ihrer Zeit.

Hören Sie auch das Interview mit Eva-Maria Barkhofen über Architektur in Museen:
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