Krieg, Hochwasser, Hacker

Wie sich Archive schützen

06:26 Minuten
Eine nicht explodierte Rakete vor dem durch Beschuss beschädigten Rathaus im Stadtzentrum von Charkiw, Ukraine, am 08. Juni 2022.
Das Rathaus im Stadtzentrum von Charkiw ist inzwischen zerstört - mit den Angriffen auf Verwaltungsgebäude sind auch die Archive in der Ukraine bedroht. © Getty Images / Anadolu Agency / Metin Aktas
Von Maximilian Brose |
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Ob Verwaltungsakten oder Kulturgut - Archivmaterialien in der Ukraine sind derzeit akut bedroht. Aber auch hierzulande drohen Gefahren. Das haben die Hochwasserkatastrophe und ein politisch motivierter Hackerangriff auf eine Gedenkstätte gezeigt.
Warnsirenen vor Luftangriffen. Ein Geräusch, dass seit fast fünf Monaten an vielen Orten in der Ukraine präsent ist.
„Die russische Seite beschießt Städte und die Ziele sind auch sehr oft Verwaltungsgebäude, aber auch kulturelle Institutionen, und deswegen es ist schon zu Zerstörungen gekommen in Archiven“, sagt Natalia Latecka, die Archivleiterin vom Berliner Pilecki-Institut. Ein polnisches Institut, das sich eigentlich um die Geschichte des eigenen Landes kümmert. Gerade in Kriegszeiten hat Natalia Latecka aber auch viel Kontakt zu ukrainischen Organisationen.
Niemand wisse genau, wie es um die Archive des Landes bestellt sei, aber „wir wissen, dass das Archiv des ukrainischen Sicherheitsministeriums zerstört wurde, und dort wurden Akten vernichtet.“

Archivmaterial in Westen evakuiert

Auch andere Archive, gerade im Osten des Landes, seien in Gefahr. Aus dem Donbass wurden und werden Archivmaterialien in den Westen des Landes evakuiert. Das Pilecki-Institut hat früh entschieden, den Archiven in der Ukraine zu helfen.
Akten aus Papier in einem Archiv.
Nicht nur Zerstörung durch Kriege oder Katastrophen wie Hochwasser, auch der Säuregehalt im Papier selbst setzt den Archivmaterialien zu. (Symbolbild)© Getty Images / Graiki (Symbolbild)
„Weil wir wissen, es sind so schwache Stellen, die besonders die Unterstützung brauchen, deswegen auch, weil die Archive die Geschichte eines Staates dokumentieren, die Geschichte von einer Gemeinschaft.“
Darum sammelt das Institut Sachspenden und transportiert sie in die Ukraine. Auch das deutsche Bundesarchiv hat über das Institut bereits aus eigenen Beständen Verpackungsmaterialien in das Land schicken lassen.
„Im Moment haben wir Scanner gekauft, mit der Möglichkeit, in der Ukraine auch aufgestellt und gewartet zu werden, und die werden demnächst in die Ukraine transportiert, um damit dann vor allen Dingen das Nationalarchiv der Ukraine zu unterstützen“, sagt Vizepräsidentin Andrea Hänger.

Schaffung von Notfallkapazitäten

Durch den Krieg gegen die Ukraine sei auch deutschen Archiven bewusster geworden: Externe Katastrophen können die eigene Sammlung stark bedrohen.
„Aber man muss definitiv sagen, dass die Frage des Katastrophenschutzes in den letzten Jahrzehnten eine so untergeordnete Rolle gespielt hat, dass kein deutsches Archiv im Moment auch zum Beispiel über Ausweichmöglichkeiten größeren Stils verfügt, um auch anderen Archiven zu helfen, die ihre Archivalien gegebenenfalls in Sicherheit bringen müssen.“

Historikerinnen und Historiker haben ein Problem: Sie brauchen Quellenmaterial für ihre Forschung. Es werden allerdings immer mehr Dokumente, Aufnahmen und Bilder produziert. Da gilt es auszuwählen, was archiviert werden kann. Das betrifft nicht nur staatliche Archive wie das Bundesarchiv, sondern auch freie Archive, die sich häufig aus sozialen oder kulturellen Bewegungen gegründet haben. Über die Gefahren und mögliche Konsequenzen entstehender Lücken in der Erinnerungslandschaft berichtet Maximilian Brose .

Solche Notfallkapazitäten müssten aber dringend geschaffen werden, sagt Hänger. Das habe auch die Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr offengelegt.
„Wo im Prinzip erst einmal wieder die Erinnerung wachgerufen werden musste, was bei einer solchen Katastrophe eigentlich zu tun ist und teilweise eben auch 30, 40 Jahre altes Gerät erst mal wieder dazu gebracht werden musste, zu funktionieren.“

Gefriertrockner für durchnässtes Papier

Heute sei man aber ein ganzes Stück weiter als vor einem Jahr. Gefriertrockner für durchnässtes Archivgut würden wieder zur Verfügung stehen. Hilfsketten seien erprobt. Doch die Gefahren lauern auch im Archivgut selbst, weiß der Professor für Archivwissenschaften Christian Keitel.
„Da haben wir bei Papier den Fall, dass seit 1840 die meisten Papiere säurehaltig waren. Und diese Papiere werden in den nächsten Jahrzehnten zu einem guten Teil vergehen. Wenn man die denn anfasst, werden die zerbröseln.“
Ein Prozess der sich mit richtiger Lagerung verlangsamen, aber nicht aufhalten lasse, sagt Andrea Hänger vom Bundesarchiv. Man könne hier aber noch auf die Erhaltung des Originals setzen.

Bundesarchiv setzt auf Digitalisierung

„Was bei Ton-Bändern und Filmen überhaupt nicht möglich ist, weil sich das Material unweigerlich und unaufhaltsam zersetzt und auch nicht mehr dann auf Dauer haltbar ist. Und heute setzen wir hier auf die Digitalisierung.“
Damit habe das Bundesarchiv vor acht Jahren begonnen. Mittlerweile hat es 80 Millionen Digitalisate.
„Das ist aber nach wie vor gerade mal ungefähr ein Prozent dessen, was wir hier haben.“
Und einmal digitalisiert ist nicht für die Ewigkeit archiviert, betont Professor Keitel. Die meisten digitalen Datenträger seien nur wenige Jahre haltbar. Doch auch bei beständigeren Alternativen gebe es in Jahrzehnten vielleicht nicht mehr die richtige Hardware, um sie auszulesen.
„Wer hat heute schon noch einen Computer mit Floppy-Disk-Laufwerk zum Beispiel? Da helfen einem die schönsten Floppy-Disks nicht, wenn man kein Laufwerk hat. Das nächste Problem ist, wenn im Digitalen die Dateien in einem bestimmten Dateiformat abgelegt sind, dann kann es sein, dass Computerprogramme ab einen bestimmten Zeitpunkt sagen: Ja, nee, das kennen wir nicht mehr, das können wir nicht mehr verarbeiten.“

Politisch motivierte Hackerangriffe

Ein weiteres Risiko für digitale Daten sind Hackerangriffe. Dass es die auch aus politischer Motivation auf Erinnerungsstätten gibt, zeigt ein Angriff im Jahr 2010 auf die Server der Gedenkstätte Buchenwald. Rechtsradikale hatten damals etwa die Online-Version des Totenbuchs gelöscht, das 38.000 Namen von Opfern des Naziregimes festhielt – das konnte aber dank Sicherungskopie wiederhergestellt werden. Auch die digitalen Originale des Bundesarchivs lagern nicht auf dessen Internetserver – sondern lokal auf Magnetbändern. Auf eine Cloud könne man nicht setzen. Hierfür gebe es für den Bund aus Sicherheitsgründen noch keine Lösung. Was im Internet einsehbar ist, seien lediglich Duplikate der Originale. 
„Unser großer Archivspeicher ist vollständig abgesichert und hat keinen Zugang nach draußen“, sagt Andrea Hänger vom Bundesarchiv.
In den sollen pro Jahr 20 Millionen neue digitalisierte Archivdaten gesichert werden. Wegen des Krieges digitalisieren die ukrainischen Archive aktuell so viel wie möglich, sagt Natalia Latecka vom Pilecki-Institut.
„Das ist das Wichtigste, weil man weiß nicht, was passiert. Man will natürlich die Papierakten sicherstellen, aber am sichersten ist es doch, die Akten zu digitalisieren.“
Doch die digitalen Daten werden nicht nur von Hackerattacken bedroht, sondern auch von Raketenangriffen. Denn die können Server im Land zerstören, auf denen die Daten liegen. Daher dupliziert das internationale Netzwerke SUCHO gerade diese Daten auf ausländischen Servern. Nur ein Schritt um die Überlieferungen der Vergangenheit für die Gefahren unserer Zeit zu rüsten.

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