Wie leicht lassen sich Fake News verbreiten?
Der ARD-Film "Im Netz der Lügen" befasst sich mit dem Kampf gegen Fake News. Wie einfach lassen sich Falschmeldungen im Internet verbreiten und damit Stimmung machen? Diesen und anderen Fragen geht Claus Hanischdörfer in seiner Dokumentation nach.
In Deutschland gibt es keine Gemeinde namens Bad Eulen. Doch die Nachricht, die Gemeinde Bad Eulen finanziere aus Steuergeldern Prostituierte für Flüchtlinge, verbreitete sich im Internet wie ein Lauffeuer. In die Welt gesetzt hatte sie ein Team der Universität Hohenheim, das den Weg von Fake News im Netz erforschen wollte: Wie schnell verbreitet sich die Falschmeldung? Wie häufig wird sie geteilt? Über dieses Experiment berichtet Claus Hanischdörfer in der ARD-Dokumentation "Im Netz der Lügen". Außerdem thematisiert der Film die unübersichtliche Nachrichtenlage im Internet insgesamt und zeigt, wie soziale Netzwerke von Fake News und alternativen Fakten überschwemmt werden. Und er diskutiert, wie Falschmeldungen entlarvt werden können.
Die Dokumentation wird am Montag, dem 31.07., um 23.45 Uhr in der ARD gezeigt. Vorab sprachen wir mit Autor Claus Hanischdörfer über seinen Film.
Hier das Interview zum Nachlesen:
Dieter Kassel: Die Entstehung, die Verbreitung, aber auch die Bekämpfung von sogenannten Fake News, also erfundenen oder zumindest stark verfälschten Nachrichten, das ist das Thema eines Films, der unter dem Titel "Im Netz der Lügen. Der Kampf gegen Fake News" heute Abend im Ersten, im ARD-Fernsehen zu sehen ist. Gemacht hat den Film Claus Hanischdörfer. Schönen guten Morgen, Herr Hanischdörfer!
Claus Hanischdörfer: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Sie haben für diesen Film mit Menschen gesprochen, die Fake News verbreiten, mit Menschen, die an gewisse Fake News glauben, mit Menschen, die sie bekämpfen. Eine große Rolle spielt aber auch ein Wissenschaftler von der Uni Hohenheim, der mit seinem Team selbst eine Falschmeldung in die Welt gesetzt hat, die Meldung, die Gemeinde Bad Eulen finanziere aus Steuergeldern Prostituierte für Flüchtlinge. Als Sie angefangen haben, sich mit dieser Idee zu beschäftigen, mal zu gucken, wie sich so eine Meldung verbreitet, was haben Sie da ursprünglich erwartet? Dass das wirklich funktionieren würde?
Hanischdörfer: Ich war mir wirklich nicht sicher, ob so was funktionieren würde. Ich wusste ja, dass sich Fake News gut im Internet verbreiten und auch ziemlich schnell verbreiten können. Aber ich dachte nicht, dass jetzt so eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern – letztendlich waren das zwei Frauen unter der Führung von Professor Wolfgang Schweiger an der Uni Hohenheim –, dass die innerhalb kürzester Zeit wirklich eine so große Reichweite hinbekommen können.
Fake News kommen oft von Freunden
Kassel: Nun muss man zum Beispiel anmerken, dass es die Gemeinde Bad Eulen in Deutschland nicht gibt, also relativ schnelles Googeln, selbst Google Maps hätte schon gereicht, hätte einen befähigt, das als Fake News zu identifizieren. Aber es gab offenbar genug Menschen, die das glauben wollten.
Hanischdörfer: Genau. Das ist ja das große Problem gerade in den sozialen Netzwerken, dass, wenn man Nachrichten bekommt in seine Timeline, dann kommen die ja oft von Freunden. Und Freunden vertraut man im Grunde, da wird nicht groß hinterfragt, stimmt die Meldung oder stimmt sie nicht. Es ist schon ein hohes Maß an Medienkompetenz vorauszusetzen, wenn da wirklich jemand die [Leitung gestört] sucht und dann noch auf Google oder sonst wo nachforscht, gibt es denn [...], ein Lexikon aufschlägt oder einen Atlas aufschlägt und nachschaut, gibt es denn Bad Eulen. Aber die Wissenschaftler wollten eben auch absichtlich ein [...] bereiten, die man auch wirklich verifizieren kann und rausfinden kann, dass es sich um eine Falschmeldung handelt.
Kassel: Wir haben gerade ein bisschen Schwierigkeiten, überhaupt Meldungen zu verstehen, wir werden die ganze Zeit immer für ein paar Sekunden unterbrochen. Falls Sie, wie die meisten Menschen, ein drahtloses Telefon in der Hand haben, möchte ich Sie bitten, vielleicht es ein bisschen ruhiger zu halten jetzt, sonst können wir nämlich nicht alles verstehen, was Sie sagen.
Hanischdörfer: Ich versuche es schon ruhig zu halten.
Man hält vor allem für wahr, was man glauben will
Kassel: Festnetz Berlin-Stuttgart ist technisch auch immer noch eine große Herausforderung. Herr Hanischdörfer, ernsthaft noch mal zurück zu Ihrem Film. Es gibt da einen Moment, der für mich so ein bisschen erleuchtend war, obwohl er ganz kurz ist. Da ist eine Vorlesung von Professor Schweiger, den Sie schon erwähnt haben, an der Uni Hohenheim. Ich kann immer Menschenmassen schwer abschätzen, so 40, 50 Studentinnen und Studenten sitzen im Saal, er liest Meldungen vor, und dann müssen immer Karten hochgehalten werden, "ich glaub das", "ich glaub das nicht". Und da gibt es diesen Moment, wo es die Meldung gibt, ein Flüchtling habe in einer Sauna vor anderen, vor Mädchen onaniert, und die ganzen Studenten halten hoch "glaube ich nicht". Diese Meldung ist wahr. Da ist mir aufgefallen, was man glauben will, was man glaubt, hängt eigentlich vor allen Dingen stark davon ab, was man glauben will.
Hanischdörfer: Das ist tatsächlich so. Wir Menschen neigen dazu, auch Meldungen zu lesen und genau die Medien zu konsumieren, die unserem Weltbild entsprechen. Und wir wollen eigentlich in unserem Weltbild ständig bestätigt werden. Kognitive Dissonanzen, also Sachen, die unserem Weltbild widersprechen, die wollen wir eigentlich gar nicht hören. Und die Psycholog... psychologischen Forschung hat nachgewiesen erwiesen, dass so was auch wieder verdrängt wird. Deswegen haben oft solche Meldungen gar keine Chance, wirklich bei uns tief ins Bewusstsein einzudringen.
Kassel: Sie haben vieles gemacht für diesen gar nicht so langen Film. Ich habe schon erwähnt, Sie haben einen Mann getroffen, der beschlossen hat, an vieles zu glauben, was gerade auf rechten Seiten zu lesen ist. Sie haben einen NPD-Politiker getroffen, der ein Fake-Bild, wenn man so will, verbreitet hat, und, und, und. Sie haben aber auch mit Menschen gesprochen, die den Kampf aufgenommen haben gegen Fake News, mit mehreren verschiedenen. Haben Sie jetzt am Ende wirklich ein Rezept gefunden gegen Fake News?
Hanischdörfer: [unverständlich]
Jornalisten müssen transparenter arbeiten
Kassel: Ich fürchte – … ich fürchte, wir müssen für unser Gespräch irgendwann mal ein Rezept finden, uns besser miteinander zu verbinden. Versuchen wir es noch einmal, wenn es dann nicht klappt, müssen wir abbrechen. Also das Rezept gegen Fake News gibt es nicht, wollten Sie, glaube ich, gerade sagen.
Hanischdörfer: Genau. Letztendlich liegt es auch an der Medienkompetenz des Konsumenten. Jeder Konsument muss eine gewisse Medienkompetenz haben, muss die Quellen überprüfen der Geschichten, die er liest. Auch wir Journalisten müssen unsere Arbeit transparenter machen. Wir dürfen nicht vom hohen Ross herunter unsere Meldungen wie von der Kanzel verbreiten als die einzige Wahrheit. Wir Journalisten machen nämlich auch Fehler, und die Fehler müssen nachvollziehbar sein, und wir müssen auch offen zu unseren Fehlern stehen. Aber wenn wir seriös mit langem Atem und ernsthaft recherchieren und versuchen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, ich glaube, das ist der beste Weg, um gegen Fake News zu kämpfen. So was wird auch vom Leser und vom Zuschauer respektiert.
Kassel: Klaus Hanischdörfer sagt das per schwieriger Leitung nach Stuttgart, völlig ohne Unterbrechungen, hoffen wir das zumindest, können Sie seinen Film "Im Netz der Lügen" heute Abend um 23:45 im Ersten sehen. Und danach – es ist ein bisschen eine unbequeme Zeit –, danach natürlich auch in der ARD-Mediathek. Herr Hanischdörfer, vielen Dank fürs Gespräch!
Hanischdörfer: Übrigens, die Mediathek können Sie heute schon ab 18 Uhr nutzen.
Kassel: Ah, die Leute sollen gar nicht bis kurz vor Mitternacht warten. Na gut. Ab 18 Uhr der Film im Internet, live im Fernsehen dann erst viertel vor zwölf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.