ARD-Dokumentation "Sklavinnen des IS"

Viele Opfer wünschen sich einen Prozess gegen ihre Peiniger

ARD/SWR DOKUMENTARFILM IM ERSTEN, "Sklavinnen des IS - Suche nach Gerechtigkeit", am Mittwoch (18.07.18) um 22:45 Uhr im ERSTEN. Shirin, Jesidin in Lalish, dem Heiligtum der Jesiden im Nordirak. Shirin ist eine der Hauptprotagonistinnen. Sie ist vom IS gefangen gehalten und missbraucht worden und mit einem Hilfsprogramm des Landes Baden-Württemberg nach Deutschland gekommen. © SWR/Oxford Film, honorarfrei - Verwendung gemäß der AGB im engen inhaltlichen, redaktionellen Zusammenhang mit genannter SWR-Sendung bei Nennung "Bild: SWR/Oxford Film" (S2). SWR-Presse/Bildkommunikation, Baden-Baden, Tel: 07221/929-23876, foto@swr.de
Shirin ist eine der Hauptprotagonistinnen der ARD-Dokumentation "Sklavinnen des IS". © SWR/Oxford Film
Jan Kizilhan im Gespräch mit Dieter Kassel |
Eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen an jesidischen Frauen im Nordirak stehe noch aus, sagt der Trauma-Therapeut Jan Kizilhan. Ihr Schicksal steht im Mittelpunkt der ARD-Dokumentation "Sklavinnen des IS".
Der Islamische Staat hat versucht, die Volksgruppe der Jesiden auszulöschen. Viele Frauen wurden verschleppt und zur Ware erniedrigt. Der in der ARD laufende Dokumentarfilm "Sklavinnen des IS" lässt Gerettete zu Wort kommen, die in Baden-Württemberg Zuflucht fanden. Der Trauma-Therapeut Jan Kizilhan ist nach seinen Angaben im Gespräch mit den Vereinten Nationen, um eine juristische Aufarbeitung von Verbrechen an jesidischen Frauen zu erreichen.

Umgang mit dem Trauma

"Wir wissen aus Studien, dass Menschen, die in Krisengebieten dort bleiben und eine gute Psychotherapie erhalten, diese Konfrontation ihnen gut tut", sagte der Therapeut im Deutschlandfunk Kultur. Er war bei dem ARD-Film beratend tätig. Er sagte, die Frauen würden diese Traumavergangenheit durch einen solchen Prozess psychotherapeutisch verarbeiten können, wenn er vorher und nachher gut vorbereitet werde. Aber nicht für alle Opfer sei das der richtige Weg, selbst vor Gericht auszusagen. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: In der ARD ist heute Abend die Dokumentation "Sklavinnen des IS" zu sehen, und die beiden jesidischen Frauen, die im Mittelpunkt dieser Dokumentation stehen, wurden im Rahmen des baden-württembergischen Rettungsprogramms für IS-Opfer von Jan Kizilhan betreut. Er ist ein deutscher Traumatologe, leitet inzwischen den Studiengang Soziale Arbeit mit psychisch Kranken und Suchtkranken an der Dualen Hochschule Villingen-Schwenningen und hat 2017, also erst im vergangenen Jahr, an der Universität Dohuk im Norden des Irak das Institute for Psychotherapy and Psychotraumatology gegründet. Und mit ihm wollen wir über eine erstaunliche Konsequenz reden, die man allerdings gut versteht, wenn man diesen Film heute Abend wirklich gesehen hat. Aber erst mal schönen guten Morgen, Herr Kizilhan!
Jan Kizilhan: Guten Morgen!
Kassel: Diese Konsequenz, die Sie ja auch fordern, lautet, wir brauchen eine korrekte juristische Aufarbeitung der Verbrechen des sogenannten Islamischen Staats. Es klingt aber ein bisschen komisch, wenn ein Psychologe und Traumatologe das fordert. Warum fordern Sie es?
Kizilhan: Das eine, es geht bei den Jesiden seit 2014, was bis heute eigentlich andauert, um einen Völkermord, das heißt, der IS hat zielgerichtet ab Juli 2014 geplant, diese Volksgruppe von über 800.000 Menschen im Nordirak auszulöschen. Und die Menschen wissen das, weil das historisch bei den Jesiden nicht das erste Mal ist. Das ist der 74. Genozid in den letzten 800 Jahren.
Dieser Genozid ist also ein Teil der Menschen, die sich damit beschäftigen, und somit auch der Opfer, der Überlebenden. Und wenn wir die therapeutisch behandeln wollen, werden wir nicht umhin kommen, auch dieses Thema der Gerechtigkeit zu thematisieren, weil die Menschen nach Gerechtigkeit suchen. Und dies kann tatsächlich im Sinne von Versöhnung, aber auch individueller Therapie sehr förderlich sein, dass die Menschen lernen, damit umzugehen.
Jan Ilhan Kizilhan sitzt mit einer Frau im nordirakischen Dohuk im Büro des baden-württembergischen Sonderkontingents für bis zu 1000 traumatisierte IS-Opfer aus dem Nordirak.
Jan Ilhan Kizilhan sitzt mit einer Frau im nordirakischen Dohuk im Büro des baden-württembergischen Sonderkontingents für bis zu 1000 traumatisierte IS-Opfer aus dem Nordirak.© dpa / picture alliance
Kassel: Aber eine juristische Aufarbeitung nicht mit den großen Fragen der Weltgerechtigkeit, sondern wirklich einzelne Täter wirklich zur Rechenschaft zu ziehen für das, was sie getan haben. Das würde ja im Einzelfall immer wieder bedeuten, dass die Frauen, die vergewaltigt, gefoltert, verkauft wurden von diesen Männern, diesen Männern wieder begegnen müssen in irgendeinem Gericht auf dieser Welt, um gegen sie auszusagen. Ist das denn in der Regel zumutbar?
Kizilhan: Wir würden sie natürlich in diesem Fall vorbereiten. Ich bin sehr eng im Gespräch mit der UN, die einen solchen Plan zumindest erst mal theoretisch hat. Psychotherapeutisch konfrontieren wir in der Regel ja auch die Patienten mit ihrem Traumaereignis, zwar jetzt im Ausland, in der Vorstellung. Wir wissen aus Studien, dass Menschen, die in Krisengebieten dort bleiben und eine gute Psychotherapie erhalten, diese Konfrontation ihnen gut tut. Das heißt, sie würden diese Traumavergangenheit durch einen solchen Prozess aus unserer Sicht psychotherapeutisch verarbeiten. Natürlich müssen wir sie vorher und nachher gut darauf vorbereiten.

Nicht für alle Frauen richtig

Kassel: Ich habe aber einen interessanten Eindruck gehabt von den beiden Jesidinnen, die im Mittelpunkt dieses Films stehen, der heute Abend läuft. Die haben durchaus Vergleichbares, vergleichbar Schreckliches erlebt, aber man sieht sofort, sie reden vollkommen unterschiedlich darüber. Die eine der beiden nimmt zum Beispiel allein schon das Wort Vergewaltigung überhaupt nicht in den Mund. Und die andere redet sehr offen und fast sachlich über all das, was sie erlebt hat. Worauf ich hinaus will, ist denn diese Zumutbarkeit eines solchen Gerichtsprozesses, ist die nicht individuell unterschiedlich? Würden Sie nicht sagen, es gibt auch Frauen, denen kann man das auf keinen Fall zumuten?
Kizilhan: Ja, auf jeden Fall, das müssen wir natürlich respektieren und würden ja in diesem Fall einzeln mit den Frauen sprechen. Es kommen auch nicht alle Frauen in Frage. Wir haben einige Frauen, die konkret Namen kennen, Bilder bei sich auf ihren Smartphones haben. Und dieses Personen sind zurzeit in ihrer – entweder im Gefängnis, oder wir wissen, dass sie sich in Kirkuk oder Mossul aufhalten.
Baba Scheich, religiöses Oberhaupt der Jesiden.
Baba Scheich, religiöses Oberhaupt der Jesiden.© Deutschlandradio / Veronika Wawatschek
Für einige dieser Frauen, und das sind ja einige wie Nadja Morat oder auch Shirin, die ein Buch geschrieben hat und die in diesem Film zu sehen sind. Das sind Frauen, die öffentlich auch auftreten und sagen, unser Trauma ist nicht etwas, was in einem geschlossenen Raum mit einem Psychotherapeuten zu besprechen ist, sondern wir wollen aufstehen, wir wollen aufschreien, und wir wollen diese Ungerechtigkeit der Welt mitteilen, damit so etwas nicht wieder passiert. Und diese Frauen kommen sicherlich eher in Frage.

Es geht um Gerechtigkeit

Kassel: Aber hat so eine juristische Aufarbeitung individuell, also wenn eine Frau, die das erlebt hat, worüber wir sprechen, dabei ist im Gerichtsprozess, am Ende vielleicht wirklich eine Verurteilung, die sie dann auch für angemessen hält, erlebt, hat das auch was mit so einer sagen wir mal rechtsstaatlichen Form von Rache zu tun?
Kizilhan: Es geht um Gerechtigkeit, denn diesen Frauen sind Dinge passiert und ihnen angetan worden, die wir uns im Entferntesten nicht vorstellen können, von Vergewaltigung, von Folter, von Massenexekutionen, die sie beobachten, sehen mussten. Es geht um die Auslöschung einer Volksgruppe, und hier geht es eher um Gerechtigkeit. Die meisten, die ich hier noch betreue und auch spreche, sowohl im Irak als auch hier, sagen, wir wollen Gerechtigkeit im Sinne, dass diese Leute festgenommen werden.
Nur die wenigsten haben diese Rachegefühle, indem sie zum Beispiel sagen, die sollen getötet werden. Das ist ja das, was eigentlich die Regierung macht, um möglicherweise Dinge auch zu verhindern, das sie in der Öffentlichkeit auftreten. Also, wer alles da mitbeteiligt ist an dieser IS-Horror- und Mördergruppe.
Kassel: Der Traumatologe Jan Kizilhan über die Forderung nach einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen des sogenannten Islamischen Staats. Besser verstehen kann man diese Forderung noch, wenn man die Dokumentation, die wir erwähnt haben, auch wirklich sieht. "Sklavinnen des IS" läuft heute Abend um 22:45 Uhr in der ARD und ist dann natürlich auch in der ARD-Mediathek verfügbar. Herr Kizilhan, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die ARD zeigt die Dokumentation "Sklavinnen des IS" am 18. Juli um 22.45 Uhr und anschließend in der Mediathek.

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