Studenten und ihr "Bulimie-Lernen"
Die ARD-Dokumentation "Die Illusion der Chancengleichheit" zeigt den Lebens- und Studienalltag von Studierenden. Dabei ziehen die Autorinnen auch eine kritische Bilanz der Bologna-Reformen.
Einen dramatischen Abenteuerfilm darf man nicht erwarten, wenn es um eine Bestandsaufnahme der Bologna-Reformen geht. Gleichwohl bleibt man als Zuschauer bei dieser Dokumentation am Ball, wenn man sich auf den grundlegenden Gedanken einlässt: Die soziale Ungerechtigkeit ist durch den Bologna-Prozess noch verschärft worden. Auch der Numerus Clausus und die zehntausendfach genutzte Gelegenheit, sich ins Studium einklagen zu können, verstärkt diesen Missstand, denn Nachhilfeunterricht und Anwälte können sich nur Besserverdienende leisten.
Die Dokumentation taucht in den Lebens- und Studienalltag von Studenten ein und zeigt ihre Schwierigkeiten, den Wissensstoff fristgerecht einzuverleiben und punktgenau wieder „auszuspucken". Hier, so die Studenten, finde ein „Bulimie-Lernen" statt, ödes Pauken, keine Wissensvertiefung.
Ergänzt werden diese Erkundungen durch Statements von Bildungspolitikern und Kritikern der Reform, die den Trend bestätigen, dass es nicht gelungen ist, über Jahrzehnte verfestigte Bildungshürden abzubauen. Die finanziellen und kulturellen Hemmschwellen, die Kinder aus Nicht-Akademiker Familien haben, sind nicht beseitigt worden. Nur 9 Prozent Arbeiterkinder studieren; während aus Akademiker-Familien 77 Prozent der Kinder ein Studium aufnehmen, sind es aus Nicht-Akademiker Familien nur 23 Prozent.
Die gelungene Dokumentation zeichnet das Bild einer gehetzten Studenten-Generation, die pragmatisch und desillusioniert an die Aufgaben herangeht, die das Studium vor allem als Job-Qualifikation versteht. Eine umfassende Bildung sähe anders aus.
"Die Illusion der Chancengleichheit - Wie der Geldbeutel über Studium und Karriere entscheidet" wird am 31. August 2015 um 22:45 Uhr ausgestrahlt.