"Die Fiktion geht zu weit"
Die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König bewertet die ARD-Filmreihe über die NSU-Morde kritisch: Die Filme suggerierten bestimmte Antworten - trotz mancher ungeklärter Sachverhalte. So würden auch bestimmte Verschwörungstheorien befördert.
Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linkspartei in Thüringen und Mitglied im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss, hat sich kritisch über die ARD-Fernsehfilmreihe "Mitten in Deutschland: NSU" geäußert.
Vor dem Hintergrund der unaufgeklärten Sachverhalte zu den NSU-Morden halte sie es für schwierig, darüber einen Spielfilm zu machen, sagte sie im Deutschlandradio Kultur. Der Film vermittele den Zuschauern trotz allem eine gewisse Realität:
"Vor allem, wenn es diese Vermischung von Fiktion und Realität gibt. Wer kann denn von den Zuschauern, die sich jetzt nicht detaillierter mit den Prozessergebnissen, mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses befassen, wer kann denn unterscheiden: Was ist Realität? Und was ist Fiktion?"
"Vor allem, wenn es diese Vermischung von Fiktion und Realität gibt. Wer kann denn von den Zuschauern, die sich jetzt nicht detaillierter mit den Prozessergebnissen, mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses befassen, wer kann denn unterscheiden: Was ist Realität? Und was ist Fiktion?"
Der Film missachtet Ergebnisse der Untersuchungsausschüsse
Vielen Zuschauern sei allerdings bekannt, dass es im Umfeld der NSU-Aufklärung einen im Auto verbrannten Menschen gegeben habe, äußerte König. Die Darstellung des Films erzeuge jedoch einen gewissen Eindruck:
"Im Sinne von: Dieser NSU-Komplex kann nie aufgeklärt werden, weil im Zweifelsfall sogar Zeugen ermordet werden durch mutmaßlich den Verfassungsschutz. Das suggeriert ja der Film. Und da sage ich: 'Da geht Fiktion zu weit.' Wenn sie Realität benutzt, um sozusagen in einem noch nicht aufgeklärten Fall Antworten zu geben oder Antworten zu suggerieren."
Der gestern Abend ausgestrahlte dritte Teil "Die Ermittler" der Fernsehfilmreihe vermische viele Dinge und gehe zu sehr in die Richtung bestimmter Verschwörungstheorien, kritisierte König. Der Film missachte in gewisser Weise auch die Ergebnisse des Thüringer Untersuchungsausschusses und der detaillierten Aufarbeitung in den anderen Ausschüssen. Dort habe man versucht, den Verschwörungstheorien gegenzuhalten:
"Er (der Film) befördert mit der Endszene (…) einen Teil dieser Verschwörungstheorien. Und da bin ich alles andere als glücklich darüber gewesen, dass das gestern so gelaufen ist."
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Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Gestern Abend lief im ARD-Fernsehen der dritte und letzte Teil der Fernsehfilmreihe "Mitten in Deutschland. NSU". Ging es im ersten Teil um die Perspektive der Täter und im zweiten um die der Opfer, standen gestern die Ermittler im Mittelpunkt. Wir haben schon die ersten beiden Teile von Gastkritikern beurteilen lassen, die sich im echten Leben mit dem jeweiligen Thema beschäftigen, und wir tun das auch diesmal, und zwar mit Katharina König. Sie ist Landtagsabgeordnete der Linkspartei in Thüringen und Mitglied im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Frau König!
Katharina König: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Was hatten Sie für einen Eindruck von diesem Film?
König: Ich fand ihn im ersten Teil sozusagen des Films gestern fand ich ihn sehr dicht an dem, was in den 90 er-Jahren passiert ist, insbesondere die nicht erfolgte Zusammenarbeit oder fast die Gegenspieler der Ermittler vom Landeskriminalamt, also von der Polizei und der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Das war schon sehr nah an dem, was wir im Untersuchungsausschuss herausgearbeitet haben, war natürlich in Teilen überspitzt, aber im weitesten Sinne traf das zu auf das, was wir herausgearbeitet hatten.
Kassel: Sie haben jetzt sehr bewusst gesagt, ich fand es im ersten Teil, dann kam was relativ Positives. Das heißt, der zweite Teil war für Sie schwächer?
König: Ich fand ihn zum Ende hin, also insbesondere, wenn es um den vierten November 2011 geht in Eisenach, das ist sozusagen die Enttarnung, das Auffliegen des NSU. Da vermischt er zu viel, und vor allem, da geht er auch zu sehr in Richtung von bestimmten Verschwörungstheorien und missachtet in einem gewissen Sinne das, was bisher über den Thüringer Untersuchungsausschuss herausgearbeitet wurde. Und das finde ich schwierig.
Und dann fand ich insbesondere schwierig die Vermischung von verschiedenen Personen in einer Schauspielerfigur, nämlich in der des V-Mannes, der sozusagen am Ende aussagen will und in einem Auto verbrennt. Das erzeugt aus meiner Perspektive beim Zuschauer, der jetzt die ganzen Details gar nicht kennt, letztlich die Ansicht, dass der Verfassungsschutz komplett alles verhindert bis dahin, dass er heute noch Menschen umbringt, die versuchen, im NSU-Komplex aufzuklären und damit dem Verfassungsschutz möglicherweise schaden würden oder, oder, oder.
Und das finde ich angesichts dessen, dass wir das im Untersuchungsausschuss in Thüringen, aber auch im sächsischen Untersuchungsausschuss bis hin zum Bundesuntersuchungsausschuss genau versuchen, das detailliert aufzuarbeiten, dem ja auch ein Stück weit entgegenzuhalten, was sozusagen die Verschwörungstheorien anbelangt, finde ich das sehr schwierig. Weil er befördert mit der Endszene zumindest einen Teil dieser Verschwörungstheorien. Und da bin ich alles andere als glücklich darüber gewesen, dass das so gestern gelaufen ist.
Systemische Fehler der Thüringer Polizei
Kassel: Ich kann gut verstehen, was Sie sagen, aber ein bisschen – ich verstehe auch, dass Sie so einen Unterschied machen zwischen dem ersten und dem zweiten Teil sozusagen – zur Erklärung, wir reden hier immer noch über einen Film, 90-Minutenfilm, der gestern Abend lief –, aber mir ging es fast ein bisschen schon am Anfang so. Fanden Sie nicht auch, dass am Anfang das fast ein bisschen zu sehr schwarz-weiß war, und zwar gleich doppelt: Zum einen der Verfassungsschutz, der Böse, die Polizei, das sind die Guten. Und zum anderen wurde da ja auch sehr, sehr stark so ein Ost-West-Dilemma aufgemacht. Zumindest in dem Film saßen beim thüringischen Verfassungsschutz böse ausgelagerte Wessis, die immer alles viel besser machen wollten.
König: Na ja, gut, die Schwarzweißmalerei zog sich komplett durch den Film hindurch. Und da wird sozusagen komplett ausgelassen, welche systemischen Fehler bei der Thüringer Polizei damals stattgefunden haben in den Ermittlungen, sei es bei der Garagendurchsuchung '98 oder dann auch beim späteren – bei der Fahndung nach den Dreien.
Genauso werden ausgelassen die systemischen Fehler bei der Suche nach demjenigen, der die Menschen ermordet, der die Ceska verwendet. Das blendet der Film aus und behandelt es, wenn überhaupt, nur mal in einem Nebensatz. Insofern ja, die Schwarzweißmalerei war am Anfang. Wenn man allerdings die Hauptdarsteller zuordnen kann, dann ist das zwar überspitzt und überzeichnet, aber ist schon in weiten Teilen so, dass insbesondere die Zielplaner des Landeskriminalamtes in Thüringen sehr lange versucht haben, sehr intensiv versucht haben herauszuarbeiten und herauszufinden, wo sind denn die drei, und dass die auch damals schon der Überzeugung waren, dass der Verfassungsschutz mit drin hängt und da ja auch einen entsprechenden Vermerk dann zu Protokoll, zu den Akten gegeben hat. Wie gesagt, überzeichnet, allerdings in weiten Teilen ist das schon zutreffend.
Und wenn man sich gleichzeitig den Thüringer Verfassungsschutz der 90er-Jahre anschaut, das ist, ich sage es mal so: Es gab keinen Karneval im Thüringer Landesamt, aber es gab entsprechende Aktivitäten des Herrn Röber, wo er eben auch mit einer Pickelhaube aufgetreten ist. Es gab die Vorfälle, dass er mit mehreren leicht bekleideten Damen bei sich im Amt sitzt. Es gab, dass er ja zu Rotweinsausen eingeladen hat, dass er einen eher laxen Umgang mit Akten pflegte und so weiter, und so fort. Und gleichzeitig diese selbstüberhöhte Wahrnehmung, dass nur er allein derjenige wäre, der das Ganze im Griff behalten könne. Insofern, schwarzweiß gemalt ja, aber es gibt eben den Realitätsbezug.
Neo-Nazi Szene in Jena
Kassel: Zur Erklärung für Menschen, die es vielleicht nicht gesehen haben. Gestern in dem Film gab es eine Karnevalsfeier im Landesamt für Verfassungsschutz, die ja doch ziemlich skurril war und wo auch gesungen wurde vom Leiter des Amtes.
Frau König, was ich gar nicht gut beurteilen kann, sie besser – was ich mich gestern gefragt habe: Eine der Stärken eines Spielfilms, das kann ein Spielfilm vielleicht sogar sehr viel besser als eine Dokumentation, ist ja, eine gewisse Atmosphäre wiederzugeben. Und das lief ja im ersten Teil so ab, es begann mit einem Banküberfall und dann dem Selbstmord der beiden männlichen NSU-Mitglieder, und dann blicken die Polizisten eine ganze Weile im Wesentlichen zurück, saßen im Auto, in Gesprächen auf die 90er-Jahre, und man sah dann diese Atmosphäre damals in Thüringen, die rechtsradikale Szene und wie damit umgegangen wurde. Von der Grundatmosphäre – war das korrekt wiedergegeben? Fühlten auch Sie sich realistisch zurückversetzt in diese Zeit?
König: Ich habe eine sehr dichte Atmosphäre gespürt und habe da, zumindest, was Jena anbelangte – ja, das war so, inklusive der herrschenden Macht sozusagen, die durch Neonazis auf den Straßen und in den Stadtteilen, manchmal auch in ganzen Städten unterwegs war. Was nicht zutrifft, das ist dieser Übergriff auf den Polizeibeamten, den es ja laut Film gegeben haben soll. Aber ansonsten doch, das traf schon so. Das war sehr dicht.
Kassel: Es stellt sich ja die Frage, wenn man über etwas, was noch nicht so lange her ist –– aber das ist vielleicht nicht das große Problem, sondern über etwas, was nicht komplett aufgearbeitet ist –, die Untersuchungsausschüsse tagen noch, der Prozess in München läuft noch, wenn man also über etwas einen Spielfilm macht, ob man nicht doch, Sie haben das ja schon angesprochen beim zweiten Teil, Dinge unterstellt, die so nicht waren oder die noch nicht feststehen. Deshalb die Grundfrage: Kann man das über die NSU-Affäre jetzt schon, einen oder insgesamt ja drei Spielfilme machen?
Vermischung von Fiktion und Realität
König: Ich finde es schwierig in Bezug auf die noch nicht aufgeklärten Teile, da einen Spielfilm zu machen, weil er ja Zuschauern eine gewisse Realität trotz allem vermittelt, vor allem, wenn es diese Vermischung von Fiktion und Realität gibt. Wer kann denn von den Zuschauern, die sich jetzt nicht detaillierter mit den Prozessergebnissen, mit den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses befassen, wer kann denn unterscheiden, was ist Realität und was ist Fiktion.
Viele wissen aber, dass es zum Beispiel im Umfeld der NSU-Aufklärung einen Menschen gegeben hat, der im Auto verbrannt ist. Wenn das jetzt so dargestellt wird, dann wird damit natürlich ein gewisser Eindruck erzeugt und damit auch ein gewisser Abschluss gegeben im Sinne von: Dieser NSU-Komplex kann nie aufgeklärt werden, weil im Zweifelsfall sogar Zeugen ermordet werden durch mutmaßlich den Verfassungsschutz. Das suggeriert ja der Film, und das finde ich, da sage ich, da geht Fiktion zu weit, wenn sie Realität benutzt, um sozusagen in einem noch nicht aufgeklärten Fall Antworten zu geben oder Antworten zu suggerieren. Das finde ich wirklich sehr, sehr schwierig, bei allem Respekt vor dem guten Spielfilm, bei allem Respekt vor dem Versuch, das Ganze filmisch umzusetzen.
Kassel: Katharina König, Landtagsabgeordnete der Linkspartei in Thüringen und auch Mitglied im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss über den Film "Mitten in Deutschland. NSU – Die Ermittler", der dritte Teil, gestern lief er im Fernsehen. Frau König, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
König: Ich danke Ihnen auch, Ihnen auch!
Kassel: Tschüs. Gestern, wie gesagt, lief das Ganze im Fernsehen, und ab jetzt ist es auch in der ARD-Mediathek nachzusehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.