Dokumentarfilm "Die nervöse Republik", Mittwoch, 19. April 2017, 22:45 Uhr in der ARD
"Tiefe Verunsicherung der politischen Klasse"
Für seinen Dokumentarfilm "Die nervöse Republik" hat Stephan Lamby Politiker und Journalisten beobachtet. In der Zeit fiel die Entscheidung zum Brexit, wurde Donald Trump US-Präsident und feierte die AfD Erfolge. Lamby meint: Noch keiner habe darauf bisher eine Antwort gefunden.
Dieter Kassel: Was haben Thomas de Maizière, Heiko Maas, Frauke Petry sowie die Generalsekretärin der SPD, Katarina Barley, und der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber, gemeinsam? Die Antwort ist im Moment recht einfach: Sie alle hat Stephan Lamby beobachtet für seinen Film "Die nervöse Republik", der heute Abend ab 22:45 Uhr in der ARD zu sehen ist. Journalisten in den Redaktionen von "Spiegel Online" und "Bild" ebenfalls, und herausgekommen ist ein ungefähr 90-minütiges Werk, über das wir jetzt ungefähr fünf Minuten mit Stephan Lamby reden wollen. Schönen guten Morgen, Herr Lamby!
Stephan Lamby: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Internet, soziale Medien, ständige Beschimpfung durch Wähler und auch manchmal durch Journalisten – sind Politiker das nicht inzwischen langsam gewöhnt, macht sie das wirklich immer noch nervös?
Lamby: Na ja, wenn Sie sich anschauen, was im vergangenen Jahr alles passiert ist beziehungsweise auch in den letzten Monaten, eine richtige Antwort haben sie da nicht drauf gefunden. Also während des Beobachtungszeitraums haben die Briten entschieden, aus der EU auszutreten, Donald Trump wurde gewählt, die AfD kam in elf Landesparlamente. Das hat, nach meiner Beobachtung, zu einer tiefen Verunsicherung der politischen Klasse in Berlin geführt, zu der ja auch eine Menge Journalisten zählen.
Kassel: Was mir sofort durch den Kopf ging bei den Politikern: Das sind ja auch Politiker unterschiedlichen Alters, die Sie da beobachtet haben. Mal jenseits der Parteienzugehörigkeit: Macht das was aus, was den Umgang mit dieser Nervosität angeht und vor allen Dingen, wenn, wie?
Lamby: Ja, da gibt es schon einen Unterschied. Also Thomas de Maizière habe ich ja beobachtet, der ist, soviel ich weiß, privat weder auf Facebook noch auf Twitter, während die Jüngeren fleißig twittern und auch auf Facebook sind und sich auch ganz offensichtlich freuen, dass sie den Filter, also uns Journalisten, umgehen können, indem sie dann direkt mit Lesern, Zuschauern kommunizieren können. Also da gibt es einen Unterschied. Ich glaube, das hat schon mit der Generationszugehörigkeit zu tun.
"Alle beklagen eine Verrohung der Sprache"
Kassel: Und wie sehr treibt denn das Internettreiben, gerade die sozialen Medien, uns Journalisten, wie Sie gerade gesagt haben, oder die Journalisten, die Sie beobachtet haben, vor sich her?
Lamby: Alle, die ich da gesprochen habe, egal ob alt, jung, links oder rechts, beklagen eine Verrohung der Sprache, die sie da im Internet zu lesen und zu hören bekommen, und teilweise auch sehr persönlich. Da ist ja sehr häufig von Hassmails und von Drohungen die Rede. Das war schon immer so, allerdings bislang anonym, und seit einigen Jahren – so erzählen mir das die Gesprächspartner – bekommen sie diese Mails auch unter Klarnamen. Das heißt, da schreiben Menschen, die das Gefühl haben, sie sind nicht alleine in ihrer Meinung und Teil einer Bewegung, fühlen sich also sicher und glauben deshalb, auch ruhig unter Klarnamen Hassmails schreiben zu können. Das ist, glaube ich, eine neue Entwicklung für alle, Politiker wie Journalisten.
Kassel: Es gibt ja auch diesen Effekt … Also mich nervt das, ehrlich gesagt, manchmal, ich trau mich bloß nicht, es abzuschalten: Es macht Ping auf dem Handy, es kommt irgendeine Eilmeldung, die manchmal relativ Banales … aber das wird einem erst ein paar Stunden später klar. Wie sehr lassen sich Politiker und auch andere Journalisten davon unter Druck setzen? Also ist es so, dass wirklich viele das Gefühl haben, wenn – jetzt ist es 8:21 Uhr –, wenn um 8:21 Uhr irgendeine Meldung kommt, muss ich da bis 8:30 Uhr drauf reagiert haben?
Lamby: Ich habe das mal nachgemessen: Am 19. Dezember letzten Jahres, der Tag, an dem ein Lastwagen auf den Breitscheidplatz in Berlin raste: 75 Minuten später hat ein AfD-Politiker schon getwittert: "Merkels Tote". Also da war noch völlig unklar, war es ein Unfall oder ein Attentat, was steckt überhaupt dahinter, und schon am nächsten Morgen hat dann Horst Seehofer twittern lassen, die gesamte Flüchtlingspolitik müsste neu justiert werden. Auch da war noch völlig unklar, was überhaupt dahintersteckte. Also da gibt es schon so einen Wettbewerb um die Deutungshoheit.
"Frauke Petry braucht uns Journalisten als Feindbild"
Kassel: Jetzt haben Sie die AfD erwähnt: Frauke Petry ist ja eine der Personen, die Sie da beobachtet haben für den Film. Das überrascht mich ein bisschen. War die einfach dazu bereit? Ich meine, aus deren Sicht sind Sie doch wahrscheinlich Teil der Lügenpresse, oder?
Lamby: Ja, das muss man so sehen. In dem Film kommt sie sehr früh vor und sagt, bei dem Parteitag letzten Jahres in Stuttgart, sie würde Schmerzen empfinden, wenn sie mit Journalisten spricht. Also ich habe diese Schmerzen jedenfalls im Umgang mit mir nicht gespürt. Das war ein ziemlich professionelles Verhältnis, was sich auch nicht wesentlich von dem Verhältnis zu den anderen Protagonisten des Films unterschied. Also ich habe Fragen gestellt, Frau Petry hat geantwortet. Das war eigentlich ganz normal. Ich habe das auch ein bisschen als Spiel empfunden, dass die AfD, auch Frauke Petry, uns Journalisten als Feindbild braucht, sich an uns abarbeitet. Auf der anderen Seite, ich glaube, sie wären schon schrecklich enttäuscht, wenn wir der AfD den Rücken zukehren würden.
Kassel: Die ganz große Frage, die sich mir übrigens nicht erst seit Internet und Facebook und allem stellt, auch schon vorher, als Politiker immer so stolz drauf waren, dass sie um 6:00 Uhr morgens sieben Tageszeitungen gelesen haben und den letzten Termin um 22:30 Uhr im Ortsverein. Welche Erfahrungen haben Sie jetzt gemacht bei der Arbeit an dem Film? Nehmen die sich überhaupt noch die Zeit, mal alles abzuschalten, vom Internet bis zum persönlichen Referenten, und wirklich in Ruhe zu denken?
Lamby: Heiko Maas habe ich dazu befragt, und er sagt, er hat die so genannten Pushmeldungen auf seinem Handy abgestellt, weil wenn irgendwas Wichtiges passiert, dann erfährt er das sowieso. Also da scheint es, zumindest in Teilen der politischen Klasse, inzwischen auch eine Gegenbewegung zu geben.
Kassel: Ob er dann wirklich denkt, das, würde ich mal sagen, überlassen wir den Zuschauern, nachdem sie den Film heute Abend gesehen haben. Herzlichen Dank! Stephan Lamby war das über seinen Film "Die nervöse Republik", der heute ab 22:45 Uhr im Ersten zu sehen ist im Fernsehen, und wem das zu spät ist, der kann den Film dann natürlich auch in der Mediathek sehen. Herr Lamby, vielen Dank fürs Gespräch!
Lamby: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.