"Sie hat Geschichte geschrieben und ist dann vergessen worden"
Dass die Gleichberechtigung als Verfassungsgrundsatz aufgenommen wurde, haben wir vor allem den SPD-Politikerinnen Elisabeth Selbert und Friederike Nadig zu verdanken. An ihre Arbeit erinnert heute der Film "Sternstunde ihres Lebens".
Matthias Hanselmann: Christian Bernd über den Film "Sternstunde ihres Lebens". Ich spreche mit der Regisseurin dieses Films, Erica von Moeller. Guten Tag!
Erica von Moeller: Guten Tag, hallo!
Hanselmann: Frau von Moeller, wir haben es eben gehört: Waschkörbe voller Zuschriften von Frauen aus dem ganzen Land haben Selberts Kampf unterstützt. Wer aber waren damals die größten Widersacher von Frau Selbert?
von Moeller: Ja, man muss sich vielleicht erst mal noch mal die Zeit vor Augen rufen: Also Deutschland liegt in Trümmern, alle sind moralisch und auch politisch völlig unsicher, und in der Zeit eben ein Grundgesetz zu erarbeiten, ist natürlich eine wahnsinnige Herausforderung. Sie hatten nur ganz wenig Zeit, nämlich eigentlich nur ein halbes Jahr, dann hat es ein Dreivierteljahr gedauert, aber in der Kürze der Zeit wirklich eine verlässliche, juristische Grundlage zu schaffen, ist enorm, und dass es geschafft ist, ist natürlich ein großes sozusagen Geschenk, dass sie das auch so umfassend getan haben.
Gleichstellung der Frau ist zu spezifisch
Und in der Zeit – natürlich hatten alle das Bedürfnis nach Sicherheit und Stabilität. Die Konservativen im parlamentarischen Rat sahen das natürlich noch viel massiver, das heißt, die CDU, die ja auch bei uns mit Fink ihre Speerspitze hat, also mit der Figur des Finks, den es tatsächlich so gab – er sah vielleicht nicht ganz so sympathisch aus wie Walter Sittler, aber es gab ihn –, … und er war also wirklich der Kontrahent zu Elisabeth Selbert, aber nicht nur er. Man muss wirklich sagen, dass am Anfang … Der parlamentarische Rat war ja sehr um Konsens bemüht, aber trotzdem: Sie hatten das Gefühl, dass die Gleichstellung der Frau … das ist was zu Spezifisches, und selbst Carlo Schmid, muss man sagen, am Anfang war der noch nicht so ganz an der Seite von Elisabeth Selbert, weil er das Gefühl hatte eben, wir müssen hier so viel durchkriegen und wir müssen irgendwie gucken, dass die Familie geschützt bleibt, dass die in einer Sicherheit ist, und wenn wir jetzt die ganzen Frauen an die Werkbänke stellen, was machen wir dann mit den Kindern?
Also es war wirklich ein großes Problem, und nur Elisabeth Selbert hat das so visionär gesehen: Das wird sich ja irgendwann normalisieren und man wird irgendeine Grundlage schaffen müssen, die eine viel längere Halbwertszeit als jetzt sozusagen diese schlimmen Nachkriegsjahre. Und da müssen wir einfach nur sagen, da zieht man den Hut vor ihr, was sie da alles schon gesehen hat, was wichtig ist, dass es eben in unserem erstgeordneten Recht, nämlich dem Grundgesetz, auch verankert ist.
Hanselmann: Man muss sich das mal vorstellen: 61 Männer und nur 4 Frauen waren ja in diesem parlamentarischen Rat. Wie haben denn die drei anderen Frauen Elisabeth Selbert unterstützt?
CDU hat massiv Stimmung gemacht gegen Elisabeth Selbert
von Moeller: Ja, auch genau bei den drei anderen Frauen … Die Frieda Nadig war ja auch in der SPD, also da muss man sagen, die war sehr an Elisabeth Selberts Seite. Das zeigen wir ja auch. Also da herrschte schon ein Konsens. Aber die beiden anderen waren eben aus anderen Parteien, Helene Weber und Helene Wessel, Zentrum und CDU, und die waren natürlich auch an den Fraktionszwang ihrer Fraktion gebunden. Und die CDU hat wirklich massiv Stimmung gemacht gegen Elisabeth Selbert, also das, was wir auch zeigen, sozusagen die konspirativen Treffen, die haben stattgefunden, da haben wir Belege für, das war wirklich ein massiver Gegenwind – auch aus diesen berechtigten Gründen, die ich ja genannt habe.
Darum war auch uns so wichtig sozusagen, den Antipart nicht irgendwie so zu machen, dass man auch als Zuschauer denkt, na ja, die sind eben ewig gestrig, sondern wirklich auch die Argumente zuzulassen und die auch aussprechen zu lassen. Es gibt ja mehrere Stellen, wo auch selbst Helene Wessel sagt: Da entsteht ja ein totales Rechtschaos. Also die Neuformulierung des Grundgesetzes bedarf oder bedurfte eben, dass das ganze DGB umgeschrieben wurde. Das stimmt auch. Das sagt sogar Frieda Nadig am Anfang. Also das war dann ein langer Prozess, der da in Gang gesetzt wurde, und die hatten einfach Angst, da entsteht ein rechtsfreier Raum und keiner weiß mehr, wie man das in den Griff kriegt. Und dass es da Probleme mit rechtsfreien Räumen gab, hatte man ja gerade erlebt.
Hanselmann: Wir haben es eben gehört in unserem kleinen Beitrag über den Film: Als Elisabeth Selbert zwischendurch das Gefühl hatte, das wird nichts mehr, hat sie eine regelrechte Kampagne gestartet, um diesen Verfassungsgrundsatz im deutschen Grundgesetz zu verankern. Wie sah diese Kampagne genauer aus, die sie damals gestartet hat?
"Es war wirklich aussichtslos"
von Moeller: Ja, also das ist natürlich ganz ungewöhnlich, dass Elisabeth Selbert nicht nur die Idee hatte, wir müssen das umformulieren, sondern als eigentlich alle Weichen so gestellt waren, dass das aussichtslos war, dass sie da irgendwie noch Erfolg hat, dann hat sie ja noch mal ganz groß Anlauf genommen. Das ist auch historisch verbürgt, sie hatte wirklich diesen Nervenzusammenbruch – und dann danach noch mal alle Kräfte zu sammeln, muss man sich mal vorstellen, das ist ja auch selbst heutzutage irgendwie ganz schwierig. Aber dann hatte sie das Gefühl, ich muss mit den Frauen draußen sprechen, und hat eine große Reise gemacht eben, ist durch viele deutsche Städte gefahren, hat diese Rundfunkansprachen gehalten. Das hat wirklich alles stattgefunden, und es hat auch wirklich – das ist auch verbürgt – … der waschkörbeweise Zuschriften, das haben wir in den Protokollen gefunden, dass da wirklich viele Zuschriften kamen und dass dann auf einmal auch alle Politiker nicht mehr sagen konnten, mit dem Thema beschäftigen wir uns nicht, das ist zu spezifisch, sondern man merkte, da ist ein ganz unglaublicher Bedarf, ein großes Interesse, da kann man nicht mehr wegschauen.
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", ich spreche mit Erica von Moeller, der Regisseurin des Films "Sternstunde ihres Lebens", der heute Abend in der ARD gezeigt wird. Frau von Moeller, Elisabeth Selbert ist zu ihren Lebzeiten nicht die Anerkennung zuteil geworden, die man ihr eigentlich hätte zuteil werden lassen. Sie ist 1986 gestorben. Warum war das so? Sie müsste doch eigentlich nicht nur bundesweit eine Berühmtheit sein.
von Moeller: Ja, Sie haben Recht. Also das ist wirklich auch so ein bisschen die bittere Seite dieser Elisabeth Selbert, hat sie auch als sehr bitter empfunden. Sie wollte gerne Verfassungsrichterin werden, sie hatte alle Qualifikationen dazu. So ein bisschen muss man schon sagen: Elisabeth Selbert war ein Querkopf und die ist schon auch angeeckt und eben auch das, dass sie da eine außerparlamentarische Initiative gestartet hat, ganz in ihrem Sinne natürlich, aber das war auch der SPD nicht so ganz geheuer. Also da war jemand eben nicht so parteikonform, sondern hat seine Erkenntnisse auch versucht, über eine Öffentlichkeit durchzusetzen. Und dann muss man schon sagen, sie hatte weiterhin ein Mandat, aber sie hat eigentlich nicht die großen Ehren bekommen, die sie hätte bekommen sollen, das stimmt.
Hanselmann: Das heißt, Sie sorgen jetzt mit Ihrem Film auch dafür, dass Frau Selbert doch postum jetzt eine große Anerkennung erfährt. Hat Sie das besonders motiviert bei Ihrer Arbeit?
Kampf nachträglich gewürdigt
von Moeller: Ja, ich muss schon sagen, also das ist natürlich für jemanden, der Gleichberechtigung sowieso wichtig findet, auch in der heutigen Zeit, da ist diese Biografie so symptomatisch oder so beispielhaft. Also da sieht man, dass jemand wirklich Geschichte geschrieben hat und dann in Vergessenheit geraten ist. Das ist natürlich großartig, wenn man dann noch mal den Anlauf nehmen kann und sagen kann, man guckt sich so eine Biografie noch mal an, man zeigt eben diesen Kampf und man würdigt auch diesen Kampf, der so bis, ja, ein Kampf bis zum Umfallen, also Kampf bis zur kompletten persönlichen Erschöpfung … So was muss man einfach erzählen, fanden wir.
Hanselmann: Frau von Moeller, haben Sie ganz herzlichen Dank, Erica von Moeller war das, Regisseurin des Films „Sternstunde ihres Lebens“, der heute Abend in der ARD gezeigt wird, und ich wünsche Ihnen ganz viel Erfolg und eine riesige Einschaltquote. Danke schön!
von Moeller: Ja, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.