In seiner Heimat ist Papst Franziskus umstritten
Ein politisch denkender Mensch aus Südamerika: Vor fünf Jahren wurde Jorge Mario Bergoglio zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt. Papst Franziskus bewegt die Menschen aber nicht nur, er spaltet sie auch – besonders in seiner Heimat Argentinien.
"Ich weiß, dass ihr auf dem Platz versammelt seid, danke für eure Gebete."
19. März 2013, im Morgengrauen vor der Kathedrale von Buenos Aires. Es ist der Tag der Amtseinführung des argentinischen Papstes in Rom. Eine Menge vor allem junger Menschen hat die ganze Nacht im Freien ausgeharrt, überall stehen Großleinwände. Und plötzlich ruft Jorge Bergoglio an, per Lautsprecher schallt seine Stimme über den Platz.
"Ich will euch um einen Gefallen bitten. Lasst uns alle Seite an Seite gehen. Lasst uns aufeinander aufpassen. Lasst uns nicht hassen, nicht streiten."
Viele Argentinier platzten fast vor Stolz
Die Gesichter der Gläubigen spiegeln Andacht und Freude wider. Ganz Argentinien steht in jenen Tagen Kopf. Messi, Königin Maxima und jetzt auch noch der Papst – viele Argentinier platzen fast vor Stolz auf so viele berühmte Landsleute.
"Es ist unglaublich, wie der Papst sich selbst ins Bein schießt! Vielleicht begeht er seine Fehler unter dem Einfluss der unheilvollen Gestalten hier in Argentinien, die ihm nahestehen."
... wetterte ein argentinischer TV-Moderator unlängst in seiner Talkshow. Fünf Jahre, nachdem Kardinal Bergoglio zum Konklave nach Rom flog und nicht mehr wiederkam, ist Franziskus-Bashing heute in Argentinien salonfähig. In einer politisch tief gespaltenen Gesellschaft wie der argentinischen spaltet auch der Papst – trotz seiner damaligen Versöhnungsappelle.
Warum wird der Papst gerade vom konservativen Lager kritisiert? Etwa, weil er umstrittenen Sozialaktivistinnen solidarische Briefe und einen Rosenkranz schickte, oder weil er den wirtschaftsliberalen Präsidenten Mauricio Macri kühl abfertigte, nachdem er dessen Vorgängerin, die Linksperonistin Cristina Kirchner, ganze sieben Mal getroffen hatte.
Irritierende Angriffe auf das Kirchenoberhaupt
Die Angriffe auf das Kirchenoberhaupt irritieren besonders Kleriker, etwa Patricio Etchepareborda. Er wurde vor sechs Jahren von Kardinal Bergoglio in das Priesteramt eingeführt:
"Es gibt in unserem Land wirklich viel Kritik an Franziskus, das gefällt mir nicht. Mir scheint, wir Argentinier sind sehr egoistisch. Wir sind gut darin, das Team auf dem Spielfeld zu kritisieren, während wir selbst auf der Tribüne sitzen. Ich vertraue in die guten Absichten des Papstes. Natürlich kann auch er mal Fehler machen, er ist ja auch nur ein Mensch!"
Es gibt in Argentinien nicht nur Kritik am Papst, sondern auch die Absicht, ihn politisch zu instrumentalisieren. Alle Seiten hätten das versucht, erklärt der auf Kirchenthemen spezialisierte Journalist Sergio Rubin. Tatsächlich pilgerten gerade in den ersten Jahren nach Franziskus' Wahl zum Papst unzählige Politiker, Gewerkschafter, Sozial- und Menschenrechtler nach Rom – jeder wollte ein Foto mit dem berühmten Landsmann im Vatikan:
"Meiner Ansicht nach ist das Pontifikat von Franziskus hier in Argentinien in geradezu brutaler Weise auf Politik und Ideologie reduziert worden. Und dass der Papst alle möglichen Landsleute empfangen hat, hat dem jeweils anderen politischen Lager missfallen."
Ein politisch denkender Papst
Tatsache ist: Der Papst ist nicht nur eine religiöse Autorität, sondern auch ein politisch denkender Mensch. Und wenn man sich anschaut, wer heute in Argentinien seine Sympathien genießt, sind das vor allem Vertreter der nationalpopulistischen Bewegung des Peronismus, die nach ihrem Gründer, dem ehemaligen Präsidenten Argentiniens Juan Domingo Perón benannt ist und immer noch viele Anhänger hat.
Im Dunstkreis des Peronismus bewegt sich auch der als Papstfreund bekannte Sozialaktivist Juan Grabois. Er führt eine Organisation von Straßenverkäufern, Abfall-Recyclern und anderen Arbeitern des informellen Sektors an – von Menschen also, die sich irgendwie durchschlagen. Franziskus und Grabois treffen sich regelmäßig, zuletzt in Chile, beim Papstbesuch im Januar.
Solche Kontakte stehen im Einklang mit Bergoglios Engagement für die Armen, stören aber viele Konservative. Nicht wenige sehen Franziskus selbst als Peronisten. Der Papst habe zumindest eine Affinität zu dieser Ideologie, meint der Theologe Gustavo Irrazabal:
"Das theologisch pastorale Denken, das Bergoglio repräsentiert, steht dem Peronismus traditionell nahe. Man könnte sagen, dass der Peronismus in Argentinien das politische und soziale Gesicht einer Strömung ist, die ihre religiöse Dimension im katholischen Glauben hat."
Warten auf den Besuch in der Heimat
Zugleich gibt es im argentinischen Katholizismus aber auch ausgeprägt anti-peronistische Kreise. Der Chefredakteur des katholischen Monatsmagazins "Criterio", José María Poirier:
"Der größte Widerstand gegen den Papst kommt von konservativen Katholiken, von denen viele den Peronismus ablehnen. Die große Mehrheit der Argentinier aber hat ein positives Bild vom Papst und interessiert sich nicht für solche Debatten."
Viele Argentinier fragen sich aber auch, warum Franziskus noch immer keinen Besuch in seiner Heimat plant, nachdem er schon fast ganz Lateinamerika bereist hat. In den Medien wird viel spekuliert: Es liege an der politischen Spaltung. Oder auch: Es liege an Präsident Macri, der dem Papst politisch nicht zusage.
Der argentinische Priester Roberto Daniel Baez mahnt zur Gelassenheit:
"Natürlich wollen wir, dass er kommt und warten auf ihn. Aber unsere Gesellschaft ist sehr ungeduldig. Der Papst wird wissen, wann der richtige Moment für einen Besuch gekommen ist. Der Papst hat doch gesagt, er wolle die Botschaft Jesu in die Randgebiete bringen. Und es gibt Länder, die mehr als wir eine Botschaft der Hoffnung brauchen."
Ein großer Teil des argentinischen Klerus identifiziert sich heute mit Franziskus, besonders die junge Generation. Der Seminarschüler Joaquín Pousadela bewundert ihn besonders für:
"Seine Nähe zu den Menschen, sein Mut, über alle Themen zu reden und nicht wegzuschauen. Er traut sich, in einer Sprache über Gott und das Evangelium zu sprechen, die die ganze Welt versteht."