"Argument dafür, dass die Situation rechtlich zu regeln ist"
Der Leiter der Rettungsstelle des Vivantes-Klinikums in Berlin-Kreuzberg, Michael de Ridder, hat sich für eine rechtliche Grundlage der Patientenverfügung ausgesprochen. Es sei so, dass "30 Prozent der Ärzteschaft die sogenannte ganz klar rechtlich zulässige indirekte Sterbehilfe für rechtswidrig halten", sagte Ridder vor der Bundestagsanhörung zu Patientenverfügungen.
Dieter Kassel: Die Patientenverfügung soll bald weniger verwirrend sein, weil es ein Gesetz geben soll, und damit dieses Gesetz möglichst bald verabschiedet werden kann, findet heute Mittag um zwölf Uhr eine Expertenanhörung im Deutschen Bundestag statt. Neben sechs Experten aus anderen Bereichen sind drei Mediziner geladen, und einer davon ist Michael de Ridder, er ist der Leiter der Rettungsstelle des Vivantes-Klinikums am Urban in Berlin-Kreuzberg, und er ist jetzt, bevor er dann in den Bundestag weiterfährt, bei mir im Studio zu Gast. Schönen guten Morgen, Herr de Ridder.
Michael de Ridder: Schönen guten Morgen!
Kassel: Nehmen wir so einen Fall, wie er als Beispiel gerade zu hören war. Wie hätten Sie gehandelt?
de Ridder: Ich hätte ganz anders gehandelt. Dieser Arzt hat eindeutig rechtswidrig gehandelt. Wenn eine Patientenverfügung vorliegt oder hier in diesem Falle von der Ehefrau beigebracht wird, die auf die Situation zutrifft, dann ist der Arzt gebunden an diese Verfügung und muss sie umsetzen. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Zum Zweiten wird hier an diesem Fall deutlich, wie groß die Rechtsunsicherheit ist, denn es handelt sich hier in keinem Fall um aktive Sterbehilfe, sondern es handelt sich um einen Behandlungsabbruch, der durch den Wunsch beziehungsweise Willen des Patienten gedeckt ist und im Übrigen auch plausibel erscheint, und es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum dieser Arzt hier dem Patientenwunsch nicht gefolgt ist.
Man kann nur sagen, hier haben wir ein schlagendes Argument dafür, dass die Situation rechtlich zu regeln ist. Vielleicht darf ich ergänzen, dass 30 Prozent der Ärzteschaft die sogenannte ganz klar rechtlich zulässige indirekte Sterbehilfe für rechtswidrig halten, und dass 60 Prozent aller Ärzte glauben, dass, wenn sie einen Behandlungsabbruch vollführen, der auch vom Patienten abgedeckt ist, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen könnten.
Kassel: Aber ist das nicht total verwirrend, weil auf der anderen Seite manche Ärzte, die auch nicht ganz unbegründete Angst haben, wenn sie es aber nicht tun, wenn sie der Patientenverfügung nicht nachkommen, aus Angst vor dem, was sie gerade beschrieben haben, dann kann es nachher wiederum sein, dass sie wegen Körperverletzung angezeigt werden. Das heißt, der Arzt muss ja immer damit rechnen, nachher Ärger zu bekommen.
de Ridder: Warum sollte er angezeigt werden? Ich meine, es ist ganz klar: Fürsorgepflicht und Patientenwille stehen nicht auf einer Ebene, sondern die Fürsorgepflicht findet ihre natürliche Grenze in der Selbstbestimmung des Patienten beziehungsweise seinem Willen. Und ich bin auch der Auffassung, dass eine gute Fürsorge, ein guter Lebensendeprozess, wenn Sie so wollen, zur Voraussetzung hat, dass der Patientenwille akzeptiert ist. Nur auf diesem Fundament kann Arzt, kann Pflege etwas für den Patienten tun, was letztlich zu einem guten und friedlichen Sterben führt.
Kassel: Nun sind wir, glaube ich, davon ausgegangen – als ich Sie gefragt habe, wie hätten Sie reagiert, und als Sie eindeutig geantwortet haben – dass es, so wurde es ja auch beschrieben, dass es eine halbwegs ordentliche Patientenverfügung gibt, in schriftlicher Form, relativ deutlich formuliert. Was ist jetzt wirklich, wenn Sie eine alte Dame haben, die hat tatsächlich diesen berühmten kleinen Zettel am Ausweis, auf dem handschriftlich steht, keine Schläuche, Datum, Unterschrift. Schlauch ist medizinisch jetzt nicht so eine genaue Definierung, also muss man nicht doch irgendwie festlegen, was das ist, eine Patientenverfügung? Muss die nicht doch irgendeiner Form Genüge tun?
de Ridder: Aus meiner Sicht: Nein. Es ist allerdings wichtig, dass der Arzt sich alle erdenkliche Mühe gibt, mit den Personen, die um diese Sterbende oder um diese Schwerstkranke, um diesen schwerstkranken Patienten herum sind, sich alle Mühe gibt, den Patientenwillen deutlich zu machen. Und es gibt viele, viele Möglichkeiten, das heißt: Eine Patientin, die aus einem Heim kommt beispielsweise, die ohne Anhang ist, wie es so oft in den Unterlagen heißt, da muss dann herausgefunden werden: Was hat das Heim zu Beispiel zu sagen? Was haben die Pflegepersonen zu sagen? Wie haben die diese alte Dame erlebt? Hatte sie Lebensmut, hatte sie keinen? Es ist ein Mosaik zu erarbeiten, was letztlich dazu führt, dass der mutmaßliche Wille auch verantwortlich umgesetzt werden kann, wenn wir die Hinweise dafür haben, dass ein Patient sich geäußert hat, um doch seinen Willen kundzutun.
Kassel: Wenn Sie sagen, dass das mit solcher Sorgfalt geschehen muss, Herr de Ridder, dann sind wir ja fast bei dem dritten Gesetzentwurf, der wird oft in der Reihenfolge genannt, das sogenannte Bosbach-Papier. Da heißt es nun aber, dass tatsächlich in fast allen Fällen, auch wenn so eine Patientenverfügung vorliegt, trotzdem ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden muss. Das wäre natürlich die sauberste Lösung.
de Ridder: Nein, keinesfalls. Es muss schon das Vertrauen da sein in die Aussagen derer, die hier als Betreuer oder als nahestehende Personen einen sterbenden Menschen umgeben, das Vertrauen muss da sein, dass hier der Wille des Patienten auch tatsächlich ermittelt wird, und es kann nicht wahr sein, dass man von vornherein mit großem Misstrauen den Ärzten und den Angehörigen oder anderen Personen, die Auskunft geben, begegnet. Das ist aus meiner Sicht dann wirklich nur … Ein Vormundschaftsgericht ist wirklich nur erforderlich, wenn eine Grundkonstellation vorliegt, wo wirklich ganz divergierende Ansichten geäußert werden über das, was der Patient wollte.
Dann ist das in Ordnung, so wie es in den anderen Entwürfen vorgesehen ist. Aber grundsätzlich davon auszugehen, dass beim Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen wie auch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens ein Vormundschaftsgericht einzuschalten ist, halte ich für völlig überzogen und unangemessen.
Kassel: Nun werden Sie zusammen mit acht anderen Experten heute den Bundestag beraten, was ein Gesetz angeht. Die Bundesärztekammer sagt aber ja erstaunlicherweise immer noch, sie glaubt gar nicht, dass ein Gesetz notwendig ist, die Lage ist gut, so wie sie ist und das ist alles ausreichend. Wie kommen die nun darauf, wenn Sie ja selber sagen, teilweise schätzen fast ein Drittel der Ärzte die Rechtslage falsch ein?
de Ridder: Die Bundesärztekammer und vor allen Dingen auch der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Hoppe, beziehen sich darauf – und da haben sie ja recht –, dass in vielen Einzelentscheidungen des Bundesgerichtshofs entschieden worden ist, dass der Patientenwille Gültigkeit hat und durchzusetzen ist. Das Selbstbestimmungsrecht ist in allen diesen Urteilen sehr hoch angesetzt worden.
Das heißt: Wir brauchen ein Gesetz eigentlich, um festzuschreiben, dass die unterschiedlichen Interpretationen, die durch die Gerichte möglich sind – denn hier wird Richterrecht gesprochen und deswegen kann jeder Richter sozusagen seine eigene Entscheidung treffen und ist nicht gebunden an andere Gerichtsurteile … Und deswegen ist ein Gesetz nötig, was hier Klarheit schafft, dass auch die Richterschaft, vor allen Dingen die Ebene der Vormundschaftsrichter, eindeutig gebunden ist und unter bestimmten Voraussetzungen eben bestimmte Urteile auch sprechen muss.
Kassel: Heute um zwölf, also jetzt in nicht mal mehr drei Stunden, werden Sie beraten zusammen mit den anderen, eigentlich haben die Politiker auch angedeutet, sie wollen es dann relativ schnell hinkriegen mit dem Gesetz. Glauben Sie daran, dass es ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode geben wird?
de Ridder: Da kenne ich mich zu wenig in den parlamentarischen Abläufen aus. ich würde meinen, vor der Sommerpause sollte das möglich sein.
Kassel: Bleiben wir optimistisch. Ich danke Ihnen, wünsche Ihnen ein erfolgreiches Gespräch heute um zwölf Uhr. Michael de Ridder war das, der Leiter der Rettungsstelle des Vivantis-Klinikums am Urban in Berlin-Kreuzberg, er ist einer von insgesamt neun Experten, die heute vor dem Bundestag Auskunft geben darüber, wie in ihren Augen ein Gesetz zur Patientenverfügung aussehen sollte.
Michael de Ridder: Schönen guten Morgen!
Kassel: Nehmen wir so einen Fall, wie er als Beispiel gerade zu hören war. Wie hätten Sie gehandelt?
de Ridder: Ich hätte ganz anders gehandelt. Dieser Arzt hat eindeutig rechtswidrig gehandelt. Wenn eine Patientenverfügung vorliegt oder hier in diesem Falle von der Ehefrau beigebracht wird, die auf die Situation zutrifft, dann ist der Arzt gebunden an diese Verfügung und muss sie umsetzen. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel. Zum Zweiten wird hier an diesem Fall deutlich, wie groß die Rechtsunsicherheit ist, denn es handelt sich hier in keinem Fall um aktive Sterbehilfe, sondern es handelt sich um einen Behandlungsabbruch, der durch den Wunsch beziehungsweise Willen des Patienten gedeckt ist und im Übrigen auch plausibel erscheint, und es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum dieser Arzt hier dem Patientenwunsch nicht gefolgt ist.
Man kann nur sagen, hier haben wir ein schlagendes Argument dafür, dass die Situation rechtlich zu regeln ist. Vielleicht darf ich ergänzen, dass 30 Prozent der Ärzteschaft die sogenannte ganz klar rechtlich zulässige indirekte Sterbehilfe für rechtswidrig halten, und dass 60 Prozent aller Ärzte glauben, dass, wenn sie einen Behandlungsabbruch vollführen, der auch vom Patienten abgedeckt ist, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt kommen könnten.
Kassel: Aber ist das nicht total verwirrend, weil auf der anderen Seite manche Ärzte, die auch nicht ganz unbegründete Angst haben, wenn sie es aber nicht tun, wenn sie der Patientenverfügung nicht nachkommen, aus Angst vor dem, was sie gerade beschrieben haben, dann kann es nachher wiederum sein, dass sie wegen Körperverletzung angezeigt werden. Das heißt, der Arzt muss ja immer damit rechnen, nachher Ärger zu bekommen.
de Ridder: Warum sollte er angezeigt werden? Ich meine, es ist ganz klar: Fürsorgepflicht und Patientenwille stehen nicht auf einer Ebene, sondern die Fürsorgepflicht findet ihre natürliche Grenze in der Selbstbestimmung des Patienten beziehungsweise seinem Willen. Und ich bin auch der Auffassung, dass eine gute Fürsorge, ein guter Lebensendeprozess, wenn Sie so wollen, zur Voraussetzung hat, dass der Patientenwille akzeptiert ist. Nur auf diesem Fundament kann Arzt, kann Pflege etwas für den Patienten tun, was letztlich zu einem guten und friedlichen Sterben führt.
Kassel: Nun sind wir, glaube ich, davon ausgegangen – als ich Sie gefragt habe, wie hätten Sie reagiert, und als Sie eindeutig geantwortet haben – dass es, so wurde es ja auch beschrieben, dass es eine halbwegs ordentliche Patientenverfügung gibt, in schriftlicher Form, relativ deutlich formuliert. Was ist jetzt wirklich, wenn Sie eine alte Dame haben, die hat tatsächlich diesen berühmten kleinen Zettel am Ausweis, auf dem handschriftlich steht, keine Schläuche, Datum, Unterschrift. Schlauch ist medizinisch jetzt nicht so eine genaue Definierung, also muss man nicht doch irgendwie festlegen, was das ist, eine Patientenverfügung? Muss die nicht doch irgendeiner Form Genüge tun?
de Ridder: Aus meiner Sicht: Nein. Es ist allerdings wichtig, dass der Arzt sich alle erdenkliche Mühe gibt, mit den Personen, die um diese Sterbende oder um diese Schwerstkranke, um diesen schwerstkranken Patienten herum sind, sich alle Mühe gibt, den Patientenwillen deutlich zu machen. Und es gibt viele, viele Möglichkeiten, das heißt: Eine Patientin, die aus einem Heim kommt beispielsweise, die ohne Anhang ist, wie es so oft in den Unterlagen heißt, da muss dann herausgefunden werden: Was hat das Heim zu Beispiel zu sagen? Was haben die Pflegepersonen zu sagen? Wie haben die diese alte Dame erlebt? Hatte sie Lebensmut, hatte sie keinen? Es ist ein Mosaik zu erarbeiten, was letztlich dazu führt, dass der mutmaßliche Wille auch verantwortlich umgesetzt werden kann, wenn wir die Hinweise dafür haben, dass ein Patient sich geäußert hat, um doch seinen Willen kundzutun.
Kassel: Wenn Sie sagen, dass das mit solcher Sorgfalt geschehen muss, Herr de Ridder, dann sind wir ja fast bei dem dritten Gesetzentwurf, der wird oft in der Reihenfolge genannt, das sogenannte Bosbach-Papier. Da heißt es nun aber, dass tatsächlich in fast allen Fällen, auch wenn so eine Patientenverfügung vorliegt, trotzdem ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden muss. Das wäre natürlich die sauberste Lösung.
de Ridder: Nein, keinesfalls. Es muss schon das Vertrauen da sein in die Aussagen derer, die hier als Betreuer oder als nahestehende Personen einen sterbenden Menschen umgeben, das Vertrauen muss da sein, dass hier der Wille des Patienten auch tatsächlich ermittelt wird, und es kann nicht wahr sein, dass man von vornherein mit großem Misstrauen den Ärzten und den Angehörigen oder anderen Personen, die Auskunft geben, begegnet. Das ist aus meiner Sicht dann wirklich nur … Ein Vormundschaftsgericht ist wirklich nur erforderlich, wenn eine Grundkonstellation vorliegt, wo wirklich ganz divergierende Ansichten geäußert werden über das, was der Patient wollte.
Dann ist das in Ordnung, so wie es in den anderen Entwürfen vorgesehen ist. Aber grundsätzlich davon auszugehen, dass beim Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen wie auch bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens ein Vormundschaftsgericht einzuschalten ist, halte ich für völlig überzogen und unangemessen.
Kassel: Nun werden Sie zusammen mit acht anderen Experten heute den Bundestag beraten, was ein Gesetz angeht. Die Bundesärztekammer sagt aber ja erstaunlicherweise immer noch, sie glaubt gar nicht, dass ein Gesetz notwendig ist, die Lage ist gut, so wie sie ist und das ist alles ausreichend. Wie kommen die nun darauf, wenn Sie ja selber sagen, teilweise schätzen fast ein Drittel der Ärzte die Rechtslage falsch ein?
de Ridder: Die Bundesärztekammer und vor allen Dingen auch der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Hoppe, beziehen sich darauf – und da haben sie ja recht –, dass in vielen Einzelentscheidungen des Bundesgerichtshofs entschieden worden ist, dass der Patientenwille Gültigkeit hat und durchzusetzen ist. Das Selbstbestimmungsrecht ist in allen diesen Urteilen sehr hoch angesetzt worden.
Das heißt: Wir brauchen ein Gesetz eigentlich, um festzuschreiben, dass die unterschiedlichen Interpretationen, die durch die Gerichte möglich sind – denn hier wird Richterrecht gesprochen und deswegen kann jeder Richter sozusagen seine eigene Entscheidung treffen und ist nicht gebunden an andere Gerichtsurteile … Und deswegen ist ein Gesetz nötig, was hier Klarheit schafft, dass auch die Richterschaft, vor allen Dingen die Ebene der Vormundschaftsrichter, eindeutig gebunden ist und unter bestimmten Voraussetzungen eben bestimmte Urteile auch sprechen muss.
Kassel: Heute um zwölf, also jetzt in nicht mal mehr drei Stunden, werden Sie beraten zusammen mit den anderen, eigentlich haben die Politiker auch angedeutet, sie wollen es dann relativ schnell hinkriegen mit dem Gesetz. Glauben Sie daran, dass es ein solches Gesetz noch in dieser Legislaturperiode geben wird?
de Ridder: Da kenne ich mich zu wenig in den parlamentarischen Abläufen aus. ich würde meinen, vor der Sommerpause sollte das möglich sein.
Kassel: Bleiben wir optimistisch. Ich danke Ihnen, wünsche Ihnen ein erfolgreiches Gespräch heute um zwölf Uhr. Michael de Ridder war das, der Leiter der Rettungsstelle des Vivantis-Klinikums am Urban in Berlin-Kreuzberg, er ist einer von insgesamt neun Experten, die heute vor dem Bundestag Auskunft geben darüber, wie in ihren Augen ein Gesetz zur Patientenverfügung aussehen sollte.