Argumente im Nahostkonflikt

Raus aus dem Kreisverkehr

04:08 Minuten
Ein Hinweisschild für einen Kreisverkehr, das mit Aufklebern verfremdet wurde.
Es gibt Möglichkeiten, den endlosen Konfliktkreislauf in Nahost aufzubrechen, meint Ofer Waldman. © Unsplash / Sarah Mutter
Ein Einwurf von Ofer Waldman · 02.06.2021
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Im israelisch-palästinensischen Konflikt ruhen die Waffen. Man spricht wieder, zumindest erst mal. Reden ist immer besser, findet auch der Journalist und Autor Ofer Waldman: Man müsse aber aufpassen, dass man sich dabei nicht ständig im Kreis dreht.
Die Angriffe der radikalislamischen Hamas, die aus der Deckung der eigenen Zivilbevölkerung im Gazastreifen auf die israelische Zivilbevölkerung Raketen schießt, sind ein Verbrechen.
Dies kann man nicht entschuldigen. Gleichzeitig gilt aber, dass das Vorgehen Israels in Ost-Jerusalem, auf dem Tempelberg und im Gazastreifen äußerst aggressiv ist. Und solange die Besatzung Palästinas durch Israel andauert, wird es immer wieder zu solchen Ausbrüchen von Gewalt kommen.

Deutsche Juden tragen keine Verantwortung im Nahostkonflikt

Dies kann man nicht entschuldigen. Gleichzeitig gilt aber, dass - auch wenn die Wut der Palästinenser weltweit verständlich ist - die Demonstrationen gegen jüdische Einrichtungen in Deutschland an die falsche Adresse gerichtet sind und teilweise einen antisemitischen Charakter tragen. Die Jüdinnen und Juden in Deutschland sind deutsche Bürger und tragen keine Verantwortung für das Geschehen im Nahen Osten. Dies kann man nicht entschuldigen.
Gleichzeitig gilt aber, dass die Tendenz, den Kampf gegen Antisemitismus auf Bekämpfung von Kritik an Israel zu reduzieren dazu führte, dass für viele inzwischen alles Jüdische mit Israel verbunden ist. "Jude" ist verheerenderweise zum Synonym zu "Israel" geworden. Dies kann man nicht entschuldigen.

Missbrauch der Israel-bezogenen Diskussion

Gleichzeitig gilt aber, dass einige politische Akteure in Deutschland die Antisemitismus-Debatte bewusst auf die Israel-bezogene Diskussion reduzieren. Um die eigene fremdenfeindliche Haltung zu kaschieren, profilieren sie sich öffentlichkeitswirksam als Freunde Israels und der Juden. Gleichzeitig stellen sie ganze Bevölkerungsgruppen unter den Generalverdacht des Antisemitismus, um diese als "integrationsunfähig" zu brandmarken. Dies kann man nicht entschuldigen.
Gleichzeitig gilt aber, dass es vollkommen klar ist, dass Deutschland eine besondere Verantwortung sowohl dem jüdischen Volk als auch Israel gegenüber trägt. Deshalb ist auch die Israel-bezogene Diskussion in Deutschland so entzündet. Es ist sogar so weit gekommen, dass in Deutschland noch der Stellvertreterkrieg tobt, während im Nahen Osten bereits erste Versuche der Beruhigung stattfinden.
Doch neben der absoluten Verpflichtung dem jüdischen Volk gegenüber, mahnt die deutsche Geschichte ja auch zum entschlossenen Einsatz für die Menschenrechte. Und die gelten auch für die Menschen im Gazastreifen. In jeder Richtung eingesperrt, tragen sie das Hauptleid der endlosen Gewaltrunden, und sind von der Weltgemeinschaft aufgegeben und vergessen. Dies kann man nicht entschuldigen.

Endlich den Kreis durchbrechen

Gleichzeitig gilt aber, dass die Angriffe der radikalislamischen Hamas, die aus der Deckung der eigenen Zivilbevölkerung im Gazastreifen… Moment mal, da waren wir schon, oder?
Man kann sich das Leben einfach machen, und sich an diesem oder jenem Punkt in diesem Kreis in der Gewissheit absoluten Rechts sonnen. So wird sich aber dieser Kreis niemals durchbrechen lassen. Oder man wagt es, diesen Kreis in seiner Ganzheit wahrzunehmen, um sich endlich seinem Zwang zu widersetzen und einen Ausweg zu finden:
Gewaltlos protestieren. Sich für ein Ende der Besatzung einsetzen. Juden nicht mit Israel verwechseln. Dem Antisemitismus keinen Platz geben. Das Gespräch mit den Gegenüberstehenden suchen. Der Kampf gegen Antisemitismus nicht missbrauchen, um Fremdenfeindlichkeit zu kaschieren. Das Leid der Zivilbevölkerung auf allen Seiten empathisch wahrnehmen.
Menschenrechte achten. Mensch sein.

Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, ist freier Autor und Journalist. Er war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland spielte der diplomierte Orchestermusiker u.a. beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. Er wurde an der Hebräischen Universität Jerusalem und der FU Berlin in Germanistik und Geschichtswissenschaft promoviert. Waldman beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.

Porträt des Autoren und Journalisten Ofer Waldman
© Tal Alon
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