Aribert Reimann

Komponieren als Traumatherapie

Der Komponist, Pianist und Musikwissenschaftler Aribert Reimann in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg (fotografiert am 26.02.2016).
Seine Kindheit war vom Krieg überschattet: der Komponist, Pianist und Musikwissenschaftler Aribert Reimann. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Aribert Reimann im Gespräch mit Britta Bürger |
Aribert Reimann gilt als einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten. Viele seiner Stücke beschäftigen sich mit dem Tod. Kein Wunder: Er musste als Kind die Bombenangriffe auf Berlin und Potsdam miterleben.
Die Musik war und ist für Aribert Reimann bis heute eine wichtige Möglichkeit, Erlebnisse zu verarbeiten. Schon mit zehn Jahren begann er, erste Stücke zu komponieren. Reimann, Jahrgang 1936, ist Sohn einer Musikerfamilie: der Vater war Leiter des Staats- und Domchors in Berlin, die Mutter Sängerin und Gesangsprofessorin.
Seine Kindheit war vom Krieg überschattet: Er erlebte die Bombenangriffe auf Berlin; die Familie musste fliehen, zu Fuß mit einem Handkarren. Durch einen Bombenangriff auf ein Krankenhaus im März 1944 verlor er seinen fünf Jahre älteren Bruder, der dort wegen einer Scharlach-Erkrankung lag – einen Tag vor dessen Entlassung. Ein schwerer Verlust.

Der Lärm der Kettenbomben

Die Bombardierung Potsdams am 14. April 1945 ist ihm noch heute in Erinnerung: "Das war eine apokalyptische Nacht, die kann ich gar nicht beschreiben. Die ganze Stadt brannte – und dieser Lärm der Kettenbomben, das kann man sich gar nicht vorstellen." Diese frühe Erfahrung hat ihn geprägt – auch in der Wahl seiner Stoffe: "Da habe ich dann festgestellt: Jetzt endet das schon wieder mit einem Brand, wie 'Medea' oder 'Troades'. Aber das ist ganz unbewusst geschehen, ohne, dass ich das gewollt habe."
"Vom Komponieren kannst du die ersten 20 Jahre nicht leben" – diesen Rat seiner Mutter nahm sich Aribert Reimann früh zu Herzen. Lange begleitete er als erfolgreicher Pianist Gesangsgrößen wie Dietrich Fischer-Dieskau und Elisabeth Grümmer. Daneben komponierte er eigene Werke und konzentrierte sich dabei auf literarische Vorlagen, darunter Strindbergs "Ein Traumspiel" und Shakespeares "Lear".

"Ich bin ganz still – innerlich singe ich"

Was muss Literatur haben, damit Aribert Reimann sie vertont? "Es muss eine Initialzündung bei mir oder in mir stattfinden. Und dann muss ich sehen: Braucht dieser Stoff überhaupt Musik? Das ist die erste Frage, die man sich stellt. Die zweite ist: Wo ist der Schlüssel für Musik? Drittens: Lässt sich diese Sprache vertonen – und höre ich etwas?"
Und wie komponiert er? Immer in Ruhe, ohne Klavier: "Ich höre absolut und ich kann mir den Klang genau vorstellen. Ich bin ganz still – innerlich singe ich."
Zuletzt hat er sich in seiner lyrischen Trilogie "L’Invisible" erneut mit dem Tod auseinandergesetzt. Am 3. November wird dem 82-Jährigen der Deutsche Theaterpreis "Der Faust" für sein Lebenswerk verliehen.
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