Arien unter Wasser

Von Anke Schaefer |
Die Berliner Künstlerin Claudia Herr ist nicht nur leidenschaftliche Schwimmerin, sondern auch ausgebildete Sängerin, spezialisiert auf zeitgenössische Musik. Die 40-jährige Mezzosopranistin hat ein ungewöhnliches Projekt geschaffen: die Unterwasseroper "AquAria_PALAOA".
Tauchen. Das ist die jüngste der drei Leidenschaften, die ihr Leben bestimmen.

"Es gibt einen bewussten Moment, wo ich das erste Mal getaucht bin, dass ich unter Wasser auf einmal atmen konnte. Ich konnte auf einmal lange in diesem Element mich bewegen und tiefer tauchen und tiefer kommen und konnte Luft atmen, das fand ich verrückt. Ganz irre!" (lacht)

Claudia Herr steht vor einer steinernen Bank am Beckenrand des Jugendstilbads im Berliner Stadtteil Neukölln. Gerade kommt sie aus dem Wasser, ist noch barfuß in der Jeans. Sie packt ihre Tasche. Schwimmen ist ihre zweite Leidenschaft. Claudia Herr schwimmt, seit sie vier ist. Damals wurde sie ins Wasser gestoßen.

"Bei mir war der Effekt: Ich bin quasi durchgeschwommen, 50 Meter sogar. Mit 4 Jahren. Und hab gemerkt: Boah, wie schnell ich schwimmen kann! Das ist ein irres Erlebnis gewesen für mich."

Und zum Schwimmen kam – als dritte Leidenschaft - das Singen.

"Auch mit 4 Jahren (lacht) also ganz früh. Das war ganz früh klar, dass ich Sängerin werde. Da musste ich gar nicht lange drüber nachdenken, da habe ich immer schon gesungen, immer zum Leidwesen meiner Nachbarn, aber da mussten die durch."

"Dieses Singen, das war eigentlich für mich existenziell. Ich musste Singen. Das ist mir wichtig, dieses Atmen, Singen, auch dieses Empfinden beim Singen, auch das Fühlen nach dem Singen, - man fühlt sich gut."

Ums Glück geht es dieser großen, sympathischen Frau, um die Suche nach dem Glück. Woher hat sie diese Faszination für das Atmen und Singen unter Wasser? Für das Luftholen, dort, wo man eigentlich Gefahr läuft, zu ersticken? Hat das etwas mit ihrer Kindheit in der DDR zu tun?

"Das hat auch damit zu tun – klar, das ist eine starke Prägung, die super-einengend war - da bliebt einem schon die Luft weg, klar."

Claudia Herr ist 1970 in Dresden geboren. Vier Jahre lang, von 14 bis zum Abitur, war sie auf der Musikspezialschule in Hoyerswerda. Während sie sich nach ihren Schuhen umguckt, erinnert sie sich: Das war nicht unbedingt ein Raum für Experimente:

"Das war schwierig so – in diesem Internat zu wohnen, mit Stacheldrahtzaun und mit Wachhund und Ausgangszeiten - hat mir in meiner Jugend schon zugesetzt. Zumindest ist da auch der Wunsch entstanden – irgendwann lach ich drüber."

Was sie heute tut?

"Na klar, schon längst!" (lacht)

Claudia Herr lacht in der Tat oft. Ein Lachen, das – fast möchte man sagen: - aus der Tiefe kommt. - Sie hat ihre Diplome für Solokonzert-Gesang und Vokalpädagogik an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock gemacht und sich auf die Musik der Gegenwart spezialisiert. Arbeitet als Musikpädagogin und möchte Kindern und Jugendlichen den Zauber gerade der zeitgenössischen Musik vermitteln.

Claudia Herr lebt für ihre Projekte, hat selbst keine Kinder, ihr Freund unterstützt sie sehr. Und seit zwölf Jahren schon experimentiert sie bereits in ihrer Reihe Aquaria in Schwimmbädern mit Musik und insbesondere mit Gesang unter Wasser.

Die Idee dazu hatte die heute 41-Jährige, als sie zum ersten Mal hierher kam, ins Jugendstilbad in Berlin-Neukölln: Sportschwimmen kann man hier nicht; dafür aber flankieren zwei Wasser speiende Seelöwen die Treppe ins Wasser, Mosaike verzieren die Wände und majestätische Säulen säumen das Becken. Sie setzt sich auf die Bank, zieht ihre Schuhe an und deutet auf das Wasser:

"Diese Bäder, das ist einfach wirklich Oper. Das ganze Ambiente, die Ausstrahlung, die Säulen, das ist eine Bühne. 'Ne Bühne, die bis zum Parkett mit Wasser gefüllt ist."

Auch wenn das Wasser arg kalt und die Akustik in der Schwimmhalle nicht unbedingt geeignet ist für Theater, hat Claudia Herr für ihr Ensemble 25 Mitglieder gewinnen können. Profis und Laien. Sie singt die Hauptrolle im türkisen Nixenkleid und ist die einzige im Ensemble, die tatsächlich unter Wasser singt. Wenn sie ihre gelbe Sauerstoffflasche auf den Rücken schnallt und untertaucht, dann übertragen Hydrophone, also Unterwassermikrofone, ihre Stimme in die Schwimmhalle. Worte versteht man nicht.

Im Sich-Sinken-Lassen, im Fließen mag das Glück liegen ... jenseits der rationalen Gedanken. Claudia Herrs Oper aber erschöpft sich nicht im puren Klang. Sie hat auch Lust und den Anspruch, Wissen zu vermitteln. Und so heißt die Oper "AquAria_PALAOA" – nach der Palaoa-Horchstation des Alfred Wegner Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Antarktis. Zu den Forschern dort hat die Sopranistin Kontakt aufgenommen und dafür gesorgt, dass die Gesänge der Wedellrobben mit in die Partitur eingeflossen sind.

Die Wedellrobben tauchen bis zu 700 Meter tief und sind in der Lage, in jeder Lebenssituation, egal wie hoch der Wasserdruck über ihnen sein mag, mit einer ganz bestimmten Frequenz zu singen. Unmöglich für jeden Menschen, auch für Claudia Herr, die jetzt ihre große Tasche schultert, die schwere Sauerstoffflasche greift – lächelt, auf den Ausgang zusteuert und im Gehen noch sagt:

"Dieses Glück ist etwas, was diese Uraltwesen wie Robben – ich denke mal, das beschäftigt die gar nicht. Die leben einfach. Dieses einfach leben, das können wir anscheinend gar nicht mehr."