Aris Fioretos: "Mary"

Universelle Prinzipien der Gewalt

Ein heruntergekommener Keller in der Ukraine, der als Folterkammer diente.
Folterkeller: das schreckliche Leid und die Verzweifelung sind immer gleich © Koalition von Hilfsorganisationen "Recht auf Frieden im Donbass"
Von Dorothea Westphal |
Aris Fioretos' neuer Roman handelt vom Schicksal einer schwangeren Frau in den Folterkellern einer Militärjunta. Der schwedische Schriftsteller erzählt uns mit "Mary" eindringlich und erschütternd ein hoch aktuelle und politische Geschichte.
Mary studiert Anfang der 1970er Jahre Architektur in einem Land, das von einer Militärjunta regiert wird. Ihr Freund führt die Studentenproteste gegen das Regime an. Als Universitätsgebäude besetzt werden, schlägt die Armee den Protest gewaltsam nieder. Mary, die an diesem Tag erfahren hat, dass sie schwanger ist, wird verhaftet, verhört, gefoltert und schließlich auf eine der berüchtigten Gefängnisinseln gebracht.
Doch Mary schweigt, gibt keine Namen preis, nicht mal ihren eigenen, obwohl sie aus einer regimetreuen Familie kommt, von der sie sich aber losgesagt hat. Zwar wird Griechenland nie explizit erwähnt, doch die Bezüge zu den Studentenprotesten von 1973 und 1974, die letztlich der Auslöser für das Ende der Militärjunta dort waren, sind deutlich.

Solidarität, Widerstand und Würde

Wirklich relevant sind sie aber nicht, denn Fioretos interessiert sich nicht für die männlichen Akteure, sondern für die Frauen - und wie es ihnen gelingt, sich im Gefängnis mittels Solidarität und kleiner Handlungen des Widerstands ihre Würde zu bewahren.
Das gilt vor allem für Mary, die ihre Leidensgeschichte aus der Ich-Perspektive erzählt und in die sich Fioretos einfühlsam hineinversetzt hat.
So grausam ihr Schicksal ist, so tröstlich ist es, dass es dieser jungen Frau gelingt, alle Stärke und Kraft so in sich zu bündeln, dass sie sich durch die männliche Gewalt nicht brechen lässt, sondern ihre innere Freiheit bewahren kann - selbst als sie brutal erpresst wird. Denn als ihre Schwangerschaft sichtbar wird, gerät sie in einen furchtbaren Konflikt.
Doch der Preis für ihre Unbeugsamkeit ist hoch: Aus der inneren Isolation wird es für sie wohl keinen Ausweg mehr geben, egal, was mit ihr geschieht.

Hart und nüchtern, aber auch poetisch

Hart, nüchtern, fast sachlich, dann wieder sehr poetisch erzählt Fioretos. Dem Grau, das Marys Welt ausmacht und das Fioretos in allen Schattierungen schildert, steht die innere Welt von Mary gegenüber, das, was ihre innere Freiheit ausmacht, aber auch das, was in ihrem Körper geschieht – die wachsende Leibesfrucht, die je nach Stadium als Aprikose, Mandarine und immer leuchtend wie eine Sonne beschrieben wird.
Am Ende, als Mary weiß, dass sie ihr Geheimnis mit niemandem wird teilen können, selbst mit dem Menschen nicht, den sie liebt, erlöschen die Farben, stirbt etwas in ihr - Alaska heißt das letzte Kapitel.
Diese Passionsgeschichte ist nicht nur großartig erzählt, sondern zudem höchst politisch und aktuell. Weil sie zeigt, was Gefängnis und Folter anrichten können. Das grausame Fazit: Dass es die Mary, die sie einmal war, nicht mehr gibt, da die Beschädigungen einfach zu groß sind.
Nicht umsonst wird Griechenland nie explizit genannt, auch wenn die Umstände passen. Denn die Prinzipien der Gewalt sind universell und auf alle Unrechtsregime anwendbar. Was sich in den Folterkellern dieser Welt abspielt, wird hier auf eine stille Weise geschildert, die deshalb umso eindringlicher und erschütternder ist.

Aris Fioretos: "Mary"
Hanser Verlag, München 2016
352 Seiten, 24 Euro

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