Arme helfen Prominenten

Was wäre Weihnachten ohne Wohltätigkeit? Wenn sich die Neidgesellschaft zur Mitleidsgemeinschaft wandelt und unsere Stars aus Film, Funk und Fernsehen medienwirksam den Armen sich zuwenden, dann ist Advent.
Alle Jahre wieder kommt der Glamour in diesen Wochen auf die Obdachlosen, Kranken und Aussätzigen hernieder und ein Schelm, wer bei den Worten Leise rieselt der Schnee nicht an Bratapfel und Carepakete mit warmen Socken gegen die soziale Kälte denkt.

Damen der ehrenwerten Gesellschaft sind das ganze Jahr über als wandelnder Wohlfahrtsausschuss unterwegs, helfen mit Vorliebe Kindern, die unter Armut, Trauma und Krankheit leiden, aber zur Weihnachtszeit stürzen alle in die Asyle, Journalisten und Kameras im Tross. Unübertroffen war hier Rudolf Mooshammer, Kunstprodukt der Münchner Bussi-Gesellschaft, selbst ernannter Modezar und Freund der lokalen Obdachlosen, der mit Schosshündchen Daisy, Chauffeur und Rolls Royce den Wohltäter gab.

Vermutlich ist es kein Zufall, dass gerade in einer Stadt wie München die Symbiose von Schickeria und Armut so perfekt inszeniert wird. Die Armen als herzerwärmendes Lametta für die Reichen, das ist der wahre Luxus. Man holt sich einen vorweihnachtlichen Penner und genießt den doppelten Schauder des Ergötzens am Elend der Welt und der eigenen Großherzigkeit.

Die objektive Verlogenheit dieser Art des Mitleidens brachte ein Obdachloser auf den Punkt, der im Angesicht einer von seinen Lebensbedingungen zutiefst betroffenen Dame aus den besseren Kreisen mitfühlend meinte: Soll ich Sie trösten?

Nun könnte man natürlich argumentieren, dass jeder Euro, der in der Vorweihnachtszeit nicht bei Gucci oder Versace landet, gut angelegt ist. Lieber eine abzugsfähige Spende für das Sozialprojekt, als noch einen Glitzerfummel unterm Christbaum. Auch Unternehmen haben den Wert solcher Projekte erkannt. Nach dem Motto: Tue Gutes und rede darüber lässt sich das Image aufpolieren und die Heuschrecke mutiert vorübergehend zum Goldhamster. Doch ändert das wohltätige Verhalten nichts an den Verhältnissen.

Die sind nach wie vor so, dass der Nachschub an Armen und Benachteiligten für die Feiertage nicht ausgeht. Die typische Karriere der Armen ist durch die Ökonomie geprägt. Freigesetzte Mitarbeiter, die den Sprung auf das Karussell des Arbeitsmarkts nicht mehr schaffen und von den Zentrifugalkräften der Warengesellschaft an den Rand geschleudert werden, landen auf der Straße, wo sie von ihren früheren Arbeitgebern zu Weihnachten werbewirksam mit milden Gaben beschenkt werden.

Ursprünglich war die Wohltätigkeit gegenüber dem Bettler aus wohl verstandenem christlichem Eigeninteresse entstanden. Möglicherweise war es ja der Herr Jesus selbst, der da in Lumpen gekleidet an die Türe klopfte und ein Almosen forderte. Die Krumen vom Tisch der Reichen waren als Investition in einen sicheren Platz im Jenseits gut angelegt. Später dann mit der Industrialisierung kam das doppelte Motiv der Befriedung und Disziplinierung hinzu.

Almosen bekamen die so genannten "Deserving Poor", jene also, die nachweisen konnten, dass sie hart gearbeitet, aber nicht genug verdient hatten. Die anderen gingen leer aus – man musste sich die Mildtätigkeit schon verdienen. Heute hat der fürsorgliche Überwachungsstaat den Tod durch Armut enteignet. Herzzerreißende Leserbriefe kommentieren jeden erfrorenen Alkoholiker, der es in der kalten Jahreszeit nicht bis zum nächsten Obdachlosenasyl geschafft hat.

Es ist eine eigentümliche Dialektik von fürsorglicher Belagerung und Ablehnung. Man lässt Armut geschehen, hält sie das Jahr über auf Distanz – bloß keine Penner in der Innenstadt – und öffnet mit gespieltem Schrecken zu Weihnachten das Herz. Schließlich wollen wir den Ärmsten unserer Gesellschaft doch helfen. Wenn der karitative Rummel vorbei ist, dürfen sie sich wieder unter die Brücken oder in die Randbezirke verziehen, bis zum nächsten Jahr. Schließlich wäre es auch niemandem zuzumuten, wenn das ganze Jahr über der Christbaum im Wohnzimmer steht und man jeden Abend bei weihnachtlicher Musik Geschenke auspacken müsste.


Dr. Reinhard Kreissl, geb. 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist".