Arme reiche Stadt

Von: Werner Nording · 22.03.2006
Hamburg macht ernst mit dem Großverkauf landeseigener Immobilien in bester Lage. Finanzsenator Peiner (CDU) wird das Gebäude seiner Behörde und von vier weiteren Landesministerien der Hansestadt verkaufen. Dies ist bereits beschlossene und notariell bekundete Sache.
Der Gänsemarkt ist ein vielbefahrener Platz mitten in der Hamburger Innenstadt. Drei Straßen kreuzen sich hier, aus der U-Bahn hasten Passanten einem fünfstöckigen Gebäude entgegen, das den Platz beherrscht. Das auffällige Bürohaus in der typischen Hamburger Klinkerbauweise ist die Finanzbehörde, die hier seit 1926 ihren Sitz hat, wie der Verwaltungsleiter Peter Becker sagt.

"Diese Architektur geht zurück auf den Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher, der einen sehr eigenständigen Stil entwickelt hat, insofern kann man das nicht mit Bauhaus oder etwas Ähnlichem vergleichen. Es ist klassische norddeutsche Architektur mit dem dunkelroten Klinker. Die Verzierungen stammen aus der entsprechenden Zeit und sind für Schumacher, der in Hamburg ja sehr intensiv gewirkt hat, typisch."

Die Finanzbehörde ist eines von 39 Innenstadtobjekten, die Hamburg gerade ins Ausland verkauft hat. Zu den verkauften städtischen Immobilien gehören das Ohnsorg Theater, die Justizbehörde, das Staatsarchiv oder die Innenbehörde, sagt Andreas Reuss von der Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsverwaltung (HGV).

"Das sind Premium-Objekte der Stadt, Behördengebäude, im wesentlichen die Alte Post, wo die Bürgerschaft und die Senatskanzlei drin walten, die Finanzbehörde am Gänsemarkt, die Wirtschaftsbehörde am Alten Steinweg und schließlich eine Reihe von Finanzämtern in der Steinstraße."

Das Marktumfeld sei im Moment besonders günstig, sagt HGV-Geschäftsführer Heino Greve. Wegen der niedrigen Zinsen seien Immobilien stark gefragt. Die Nachfrage sei größer als das Angebot. Dabei seien die Finanzinvestoren aus dem In- und Ausland weniger an der Immobilie selbst interessiert, sondern vielmehr an der Frage, wer die Mietzahlung über welchen Zeitraum garantiert. Je länger die vereinbarte Mietzahlung umso höher sei der Kaufpreis.

"Der Käufer ist ein luxemburgischer Immobilienfonds, der betreut wird von einer Gesellschaft, die zur französischen Sparkassengruppe gehört. Dieser Fonds hat bereits früher schon einige Immobilien in Deutschland erworben und der Kaufpreis ist, das ist auch kein Geheimnis, 815,5 Millionen Euro."

Eine stolze Summe, die Hamburg mit diesem größten Immobilienverkauf seit Jahrzehnten erlöst hat. Die Stadt kann das Geld gut gebrauchen, schließlich schiebt die Freie und Hansestadt einen Schuldenberg von 25 Milliarden Euro vor sich her. Nach Berlin ist Hamburg damit bundesweit das Land mit den meisten Schulden. Zu den 25 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten kommen noch einmal 20 Milliarden hinzu, die der Stadtstaat für seine Beamten an Pensionen vorhalten muss. Angesichts von Schulden in Höhe von 45 Milliarden Euro hat sich der Hamburger CDU-Finanzsenator Wolfgang Peiner entschlossen, das städtische Tafelsilber zu verkaufen.

"Wir wollen einmal vermeiden, dass wir die Neuverschuldung erhöhen. Und wir wollen einen Teil des Erlöses auch dazu nutzen, in andere Zukunftsprojekte der Stadt zu investieren. Das ist ja unsere Grundbotschaft, indem wir sagen, wir wollen aus altem Vermögen neues Vermögen schaffen. Und insofern gehört Umschichtung zum Teil unseres Finanzierungskonzeptes. Und ich denke in einer Zeit, wo nahezu alle Länder und der Bund verfassungswidrige Haushalte vorlegen, ist es ein Signal, wenn wir aus Hamburger Sicht sagen, wir sind in der Lage aufgrund unserer Finanzpolitik verfassungskonforme Haushalte vorzulegen und die Nettoneuverschuldung zu senken."

Mit dem Geldsegen will Hamburg seine Neuverschuldung um 50 Millionen Euro senken und in diesem Jahr seit langem wieder einen ausgeglichenen Betriebshaushalt vorlegen. Mit dem Verkauf hat der Finanzsenator eine neue Taktik eingeschlagen: Erst verkaufen dann zurückmieten. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass mit den Immobilien erhebliches Kapital gebunden ist, das die Stadt bisher nicht für Investitionen nutzen kann. Dafür muss sich Hamburg Geld zu hohen Zinsen auf dem Finanzmarkt leihen. Das soll durch den Verkauf der Immobilien so weit wie möglich vermieden werden. Die Rechnung ist einfach: Lieber eine relativ geringe Miete bezahlen, das frei werdende Geld investieren und unter dem Strich trotz Mietzahlungen Geld sparen. Heino Greve sieht die Stadt mit dieser Verkaufstaktik besser aufgestellt.

"Als Mieter trägt man keine Immobilienrisiken, ist nicht für den Zustand des Gebäudes verantwortlich. Für Probleme, die sich ergeben, für Modernisierungen, ist man nicht verantwortlich. Und man kann natürlich die Marktsituation sich zunutze machen, indem man in Gebiete umsiedelt, in denen die Mieten günstiger sind, als in den Objekten, die jetzt genutzt werden."

Der Finanzsenator ist so überzeugt von dem eingeschlagenen Weg, dass er auch nicht davor zurückschreckt, seine eigene Finanzbehörde zu verkaufen. Bislang war die Behörde mit ihren 500 Mitarbeitern am Gänsemarkt schon im Besitz einer städtischen Immobiliengesellschaft. Wenn das Gebäude jetzt an einen privaten Investor geht, ändert sich für die Beschäftigten nichts. Diese Mitarbeiter, die gerade in die Mittagspause gehen, stören sich nicht daran, dass ihr Arbeitsplatz verkauft worden ist.

"Nö, weil es uns ohnehin nicht mehr gehört ... es ändert sich nichts. Macht doch nix, keine weiteren Emotionen dazu ... alles beim Alten, ist doch so, dass die Stadt von ihren Schulden runterkommt, das ist doch das wichtige, deswegen, wem irgendwelche Gebäude gehören, ist nicht so wichtig, Kirchen oder Rathaus, das wär etwas anderes, aber sonst ist das doch egal."

Das Rathaus als Hamburger Wahrzeichen stand nicht zur Disposition, beeilt sich der Sprecher der Finanzbehörde, Sebastian Panknin, zu betonen. Und auch der Leuchtturm der Nordseeinsel Neuwerk, der in der Elbemündung gelegen zu Hamburg gehört, sei unverkäuflich.

"Das Rathaus hat einen anderen symbolischen Wert für die Freie und Hansestadt Hamburg als die Finanzbehörde. Es ist ein herausragendes Mietobjekt und insofern auch für einen Investor lukrativer dieses Gebäude zu erwerben samt der Stadt als Mieter, weil städtischer Mieter steht immer für Solvenz und ist bei jedem herzlich willkommen. Ein Rathaus bietet da ganz andere Nutzungsperspektiven beziehungsweise geringe Nutzungsperspektiven für einen Investor. Aber auch solche Sachen, wie auch der Leuchtturm von Neuwerk, sind von vornherein ausgeschlossen, weil die sozusagen immobilienspezifisch für Hamburg über allem stehen. Das sind herausragende Objekte, die von vornherein nicht zur Diskussion standen im Rahmen einer Veräußerung."

Schaut man sich die Finanzbehörde von innen an, strahlt das Gebäude noch immer den Charme der 20er Jahre aus. Ein Paternoster versieht seien Dienst wie vor 80 Jahren, die frühere Kassenhalle ist komplett erhalten. Hier haben die Hamburger Bürger jahrzehntelang ihre Steuern bar eingezahlt.

Bei den Bürgern kommt der Plan des Finanzsenators nicht gut an, wichtige Gebäude aus der Hand zu geben und an ausländische private Investoren zu veräußern. Auf die Frage, was sie davon halten, dass die Stadt ihr Tafelsilber verkauft, sind die Antworten eindeutig:

"Nicht viel, ich denke, dass man sagen sollte, solche Sachen sollte man in Stadthand lassen und dort auch entsprechend verwalten, das sind gewisse Aufgaben, die die Stadt übernehmen sollte und auch bei sich behalten sollte."

"Nicht viel halt ich davon, da werden Werte weggeben, Hamburg will wahrscheinlich seinen Haushalt verbessern, oder?"

"Bei manchen Gebäuden finde ich es schade, wenn die in privaten Besitz kämen, weil man nicht weiß, was mit ihnen passiert und ob sie dann noch gepflegt werden, weil sie halt schön fürs Stadtbild sind, und bei manchen Gebäuden ist es vielleicht richtig, wenn da Geld in die Kasse kommt."

Diese Sorgen der Bürger nimmt die Opposition in der Stadt zum Anlass, um auf Schwachstellen des Immobilienverkaufs hinzuweisen. Der Sprecher der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft, Christoph Holstein, hält das Geschäft für problematisch.

"Langfristig riskieren wir Entwicklungen, die wir jetzt nicht einschätzen können. Das sieht man auch daran, dass Einnahmeverluste drohen. Bisher war es so, dass die Mieten in eine städtische Holding reingeflossen sind, dieses Geld, 35 Millionen jedes Jahr, das geht in Zukunft an Private, dieses Geld ist weg. Und die zweite Geschichte ist, dass es eine Zusicherung der Stadt an die Investoren gibt, diese Gebäude langfristig anzumieten und auch da gibt man die Möglichkeiten, die man hat, aus der Hand. Wir wissen nicht, wie sich die Immobilienpreise und Mieten entwickeln, das ist ein Geschäft mit einem relativ großen Risiko."

Der Haushaltspolitiker der Grün-Alternativen Liste (GAL), Wilfried Maier, kritisiert, dass zum Beispiel die von dem berühmten Hamburger Baumeister errichtete Finanzbehörde nicht hätten auf die Verkaufsliste gesetzt werden dürfen.

"Es sind Gebäude darauf, deren symbolischer Wert für die Stadt sehr hoch ist, zum Beispiel die Finanzbehörde, weil sie ein einmaliges kulturelles Erbe darstellt, ein alter Schumacher-Bau, der sehr eigentümlich ist, wie man ihn in dieser Art in einer deutschen Großstadt kaum findet. Oder aber, was viele Bezirkspolitiker beklagen, ein Rathaus wie das in Wandsbek für die dortige Bezirksversammlung, das ist zwar kein besonders herausragendes Gebäude, aber es bildet in dem Stadtbezirk eine herausragende Bedeutung wegen er Identifizierung. Und dass das jetzt verkauft wird, ärgert die dortigen Bezirkspolitiker mit einigem Recht."

Dennoch bahnt sich in dem Verkauf der Hamburger Immobilien eine seltene schwarz-grüne Übereinstimmung an. Prinzipiell hält es der Grünen-Politiker Maier für richtig, was der CDU-Politiker Peiner in dieser Frage entschieden hat.

"Grundsätzlich halte ich es für denkbar, dass Gebäude, die für einfache Bürotätigkeiten genutzt werden, von der Stadt gemietet werden, so wie andere Bürobetreiber auch ihre Immobilien mieten, wenn man gleichzeitig sicherstellen kann, dass das Geld, dass dabei hereinkommt, für vernünftige neue Investitionen verwendet wird, also nicht etwa die Stadt deinvestiert, sondern das Vermögen nur umschichtet, das halte ich für vernünftig."

Der Hamburger Finanzsenator Peiner verweist darauf, dass er für seine eigene Behörde und für die anderen Gebäude eine durchschnittliche Mietzeit von 18 Jahren vereinbart hat, bei einem ortsüblichen Quadratmeterpreis von neun bis zehn Euro. Peiner sagt auch, in welche Projekte er das neue Geld investieren will.

"Das sind Investitionen im Hafen, das ist aber auch ganz konkret die Hafencity-Universität, die Universität für Architektur, das sind auch Maßnahmen im Bereich Schule und Hochschule insgesamt. Im Kern geht’s darum, Zukunftsinvestitionen zu finanzieren, die wir mit dem normalen Haushalt - in Anführungsstrichen - nicht finanzieren könnten."

Und was ist, wenn der private Investor nach 18 Jahren sagt, er will aus dem Bürogebäude ein schickes Kaufhaus machen, weil er damit eine bessere Rendite erwirtschaften kann? Kein Problem, meint der Senator.

"Ein Kaufhaus ein Hotel, das ist auch völlig richtig, aber das zeigt auch den Wandel der Stadt, das ist nahe liegend. Was dann bleiben wird, wird letztlich der Denkmalschutz sein, das heißt die Fassadenstruktur, bestimmte Stilelemente, der Lippmann Saal. Das alles werden dann Dinge sein, die erhalten bleiben, aber das man eine Büronutzung umwidmet in eine Hotelnutzung oder Einzelhandelsnutzung, das ist permanent der Fall."

Fragt man bei der Stadt nach, wie groß das städtische Vermögen denn eigentlich in Hamburg ist, bekommt man zur Antwort, dass sich Schulden und Besitz in etwa die Waage halten. Den 45 Milliarden Euro Schulden, die auf Hamburg lasten, stehen 45 Milliarden Euro an Werten gegenüber. Der riesige Hafen gehört der Stadt und ist zu sehr preisgünstigen Mietverträgen an die dortigen Nutzer verpachtet. Mehr als die Hälfte des Hamburger Vermögens besteht aus Immobilien, zu denen ja auch die Grundstücke gehören. Volker Wiedemann ist gerade dabei, die städtischen Vermögenswerte für eine Bilanz zusammenzustellen, die im Herbst vorgestellt werden soll. Der Projektleiter nennt einige Beispiele.

"Das Rathaus, und zwar nach Abschreibung, der heutige Zeitwert beträgt zum Beispiel 40 Millionen Euro. Wenn man andere prominente Bauten in Hamburg nimmt, die Köhlbrandbrücke, Wert ungefähr 69 Millionen Euro. Wenn ich in den Bereich Infrastruktur gehe, Straßen, würde ich jetzt mal den Jungfernstieg nehmen, rund 18 Millionen Euro. Oder den Volkspark haben wir mit 100 Million Euro in der Bilanz."

Bis Ende dieses Jahres sollen etwa 180 städtische Gebäude in Hamburg verkauft sein und gut eine Milliarde Euro in die Stadtkasse spülen. Da Hamburg eine reiche Hansestadt ist, bleibt auch nach diesen Verkäufen genügend Tafelsilber übrig. Wohl deshalb könnte es sich Bürgermeister Ole von Beust auch leisten, anders als in Dresden, zum Beispiel die 135.000 städtischen Mietwohnungen in Hamburg von den Verkaufsplänen auszunehmen. Dieses Versprechen soll zumindest bis zum nächsten Wahltermin in zwei Jahren gelten. Ob der Bürgermeister sich daran hält? Der SPD-Fraktionssprecher Christoph Holstein hat da seine Zweifel.

"Wir haben beim Verkauf der Hamburger Krankenhäuser gesehen, dass man dem Wort des Bürgermeisters nicht in jeder Hinsicht trauen kann. Er hat gesagt, er würde einen Volksentscheid, der sich gegen den Verkauf der Hamburger Krankenhäuser ausgesprochen hat, respektieren. Er hat das nicht gemacht. Und wenn er jetzt sagt, er will an die städtischen Wohnungen nicht ran, dann nehmen wir das zur Kenntnis, wissen aber immer erst genau, was passiert, wenn die Sachen wirklich auf dem Tisch liegen. Also ein uneingeschränktes Vertrauen haben wir in diesen Bürgermeister nicht."