Rolf Hosfeld (Hg.): Johannes Lepsius ‒ Eine deutsche Ausnahme. Der Völkermord an den Armeniern, Humanitarismus und Menschenrechte
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
281 Seiten, 29,90 Euro
Einsamer Kampf gegen einen Genozid
Der charismatische Theologe Johannes Lepsius setzte sich für die christlichen Armenier ein, prangerte ihre Vertreibung und Ermordung durch die Türken an. Dieser "deutschen Ausnahme" ist ein informativer Tagungsband gewidmet.
Mancher Tagungsband kann ‒ ob der vielen Details ‒ das breite Publikum schnell langweilen. Dazu gehört dieses Buch nicht. Der wissenschaftliche Leiter des Potsdamer Lepsius-Hauses, Rolf Hosfeld, selbst Autor eines preisgekrönten Buches über den Völkermord an den Armeniern, hat diesen Band nach einer Tagung an der Potsdamer Universität herausgegeben. Historiker, Soziologen, Theologen haben sich mit Johannes Lepsius (1858-1926) befasst.
Das Buch beschreibt die vielen Facetten dieses Theologen und Menschenrechtlers, eines ungewöhnlichen Mannes, der stark genug war, für seine Überzeugungen dauerhaft in einer Minderheitenposition zu leben. Lepsius hat sich zeitlebens für das armenische Volk eingesetzt, das seit Ende des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich als christliche Minderheit verfolgt wurde. Als Mitbegründer der "Deutschen Orient-Mission" war Lepsius schon 1896, getarnt als Teppichfabrikant, in die Massakergebiete gereist und hatte danach mit seinem Tatsachenbericht "Armenien und Europa. Eine Anklageschrift" die Öffentlichkeit aufgerüttelt.
Gleich mehrere Tagungsbeiträge beschreiben ihn als überaus konsequenten Menschen, charismatisch und sprachbegabt. Als ihm die Unterstützung für seine armenische Sache von der evangelischen Landeskirche verweigert wurde, nahm Lepsius sogar den Bruch mit seiner Kirche in Kauf, kündigte und legte seine Pfarrstelle nieder. Von da an leitete er das "Armenische Hilfswerk" – eine NGO, Nichtregierungsorganisation, wie wir heute sagen würden.
Doch anders als vielen Mitkämpfern genügte es Lepsius nicht, Hilfsgüter zu sammeln und Spenden einzuwerben. Er lenkte mit seiner Arbeit und seinen Veröffentlichungen immer wieder den Blick auf die Wurzel des Übels, den Versuch, die christlichen Armenier zu vertreiben und zu vernichten. Das war ein Politikum, und damit, so der Theologe Axel Meissner, auch eine Anklage gegen Machthaber in der Türkei und die europäisch-christlichen Großmächte.
Legendenbildung eines Schriftstellers
Dass Lepsius tatsächlich eine "deutsche Ausnahme" war, wird auch in dem Beitrag der amerikanischen Historikerin Margaret Lavinia Anderson deutlich, die mit einigen Legenden über angebliche Kämpfer für die armenische Sache aufräumt. So habe der Schriftsteller Armin T. Wegner, in unserer heutigen Erinnerung oft der Zeuge für den Völkermord an den Armeniern 1915/16, seine Leistung nachträglich erhöht. Vieles, so Anderson, was heute als Wegners Leistung gilt, sei in Wirklichkeit von Lepsius und dessen Armenischem Hilfswerk gekommen: Dokumente, Informationen und Geld. Selbst für Wegners vermeintliche Bittbriefe an die amerikanische Regierung fand sich in den Archiven des State Department "keine Spur".
Noch deutlicher wird Anderson, wenn es um die Rolle der damaligen Botschafter Deutschlands und der USA in Ankara, von Wangenheim und Morgenthau, geht. Beide haben gewusst, dass die jungtürkische Regierung 1915/16 einen Völkermord beging. Beide haben sich – wider besseres Wissen ‒ für ein Handeln in diplomatischen Gepflogenheiten entschieden. Ihre Kenntnis von dem Genozid, die ethischen Zweifel am eigenen Handeln blieben weitgehend ihren Tagebüchern vorbehalten.
Lepsius blieb die Ausnahme: der mit seinem Netzwerk Waisenhäuser aufbaute, Werkstätten errichten ließ, um den Überlebenden, meist Frauen und Kindern, "Hilfe zur Selbsthilfe" zu bieten und den Keim für die Wiedergeburt des armenischen Volkes zu legen. Und der unter größten Mühen und mit Hilfe von Kontakten zum Auswärtigen Amt Aktenstücke zusammentrug, um zu belegen, wie Deutschland seinem Verbündeten, der Türkei, nicht in den Arme gefallen ist, um die Armenier zu retten.