Zwischen Kirche, Russland und der EU
Armenien ist das erste christliche Land der Welt – 94 Prozent gehören der armenisch-apostolischen Kirche an. Die Bindung an Russland ist immer noch stark, doch junge Armenier orientieren sich immer stärker am Westen.
Nelly Hakobyan steht in den Ruinen einer Kathedrale – und singt. Es ist eine Kirche in ihrem Heimatort Thalin, circa 60 Kilometer nordwestlich der armenischen Hauptstadt Eriwan. Die Kuppel des imposanten Baus aus dem 7. Jahrhundert ist bei einem Erdbeben eingestürzt. Das Geld reiche nicht, um sie zu restaurieren, hatte Nelly erklärt. Unter dem Kuppelrund, das den Blick in den strahlend blauen Himmel freigibt, legt sie den Kopf in den Nacken.
"Das ist unsere Kirche, wenn man hier steht und nach oben schaut hat man das Gefühl, man fliegt."
Nelly Hakobyan ist 24 – und legt in ihre Aussagen gern ein gewisses Pathos. Sie trägt ein eng anliegendes weißes Oberteil, ihre Haare sind blond gefärbt – an einer Kette um ihren Hals hängt ein großes silbernes Kreuz. Der Glaube gehöre zu ihrer Familie, sagt sie. Ihre Eltern nahmen sie schon als Vierjährige mit in die Kirche, inzwischen singt sie jeden Sonntag im Chor. Nur 100 Meter weiter steht eine wesentlich kleinere Kirche, ebenfalls aus dem 7. Jahrhundert. Sie ist restauriert, und ihre Mauern aus Tuffstein leuchten in einem warmen Rot-Braun. Das grobporige Vulkangestein ist typisch für viele Gebäude in Armenien. Sie komme jede Woche mindestens einmal hierher, sagt Nelly und lächelt.
"Der Glaube ist das Wichtigste in meinem Leben"
"Ich komme und singe. Es gibt mir ein Gefühl von Wärme und Ruhe. Es macht mich glücklich. Glaube ist das Wichtigste in meinem Leben. Wenn ein Mensch keinen Glauben hat, hat er nichts. Man lebt einfach nur vor sich hin, aber wenn man glaubt, ist es ein andere Welt. Wenn ich versuche zu beschreiben, was Glaube ist, ist das zu schwierig, weil es alles ist. Es gibt kein Wort, um zu beschreiben, was Glaube ist."
Nelly ist stolz auf die uralte christliche Tradition ihres Landes. Bereits im Jahr 301 hat Armenien das Christentum als Staatsreligion angenommen und gilt somit als ältestes christliches Land der Welt."
"Alles, was mit dem Christentum zu tun hat, ist sehr wichtig für uns und heilig. Unser Land ist sehr klein, aber dank unserer Religion sind wir, dank unserer Kultur sind wir. Wir wahren die Kultur, die Sprache und die Religion, und deswegen sind wir. Vielleicht sind wir klein und die Armenier sind über die ganze Welt verteilt, aber sogar in Deutschland und anderen Ländern haben wir Kirchen. Das bedeutet, wir bewahren unsere Religion. Wo auch immer wir sind, das Christentum steht für uns an erster Stelle, unsere Religion."
Jahrhundertelang kämpften hier christliche und islamische Mächte um die Vorherrschaft. Heute ist Armenien neben dem benachbarten Georgien das einzige christliche Land in der Region. Außerdem ist die geopolitische Lage des kleinen Staates schwierig. Im Osten grenzt Armenien an Aserbaidschan, mit dem der Konflikt um die Region Bergkarabach noch immer ungelöst ist. Zuletzt eskalierte die Gewalt im April 2016, Dutzende Menschen kamen ums Leben. Auch die Grenze zur Türkei im Westen ist geschlossen, und die Beziehungen sind schwer belastet: Die Türkei weist bis heute den Vorwurf des Völkermords an 1,5 Millionen Armeniern Anfang des vergangenen Jahrhunderts zurück.
Nelly führt durch die Kleinstadt, die heute knapp 4.000 Einwohner zählt, noch vor sechs Jahren waren es 5.000. Am Rand eines kleinen Parks weist sie mit weit ausholendem Arm auf bunte Klettergerüste und neue, kugelförmige Straßenlaternen. Der französische Park werde er genannt, erklärt sie, denn finanziert hat die Sanierung die französische Partnerstadt Thalins. Nelly hat in Eriwan studiert, ihren B.A. in Englischer Sprachwissenschaft, ihren Master in Bildungsmanagement gemacht.
Armenien steckt zwischen Tradition und Moderne
"Ich war in der Schule sehr gut. Alle Lehrer haben zu meiner Familie gesagt, diese junge Frau hat die Chance, eine sehr gute Übersetzerin zu werden. Meine Englischlehrerin war sehr gut, sie hat mir geholfen zu verstehen, dass ich eine Chance habe, Sprachen zu lernen und professionelle Übersetzerin zu werden und meinem Land zu helfen. Für meine Familie war es sehr schwer, mich als junge Frau nach Eriwan zu lassen. Denn wir sind eine traditionell orientierte Familie. Aber ich bin sehr froh, dass sie so offen waren, nicht für mich zu entscheiden, sondern mir die Chance gegeben haben, für mich selbst zu entscheiden."
Armenien ist ein Land, das feststeckt zwischen Tradition und Moderne. Das merkt man vor allem an jungen Armeniern wie Nelly – und hier auf dem Land, wo die patriarchalen Strukturen besonders präsent sind. Nelly ist noch nicht verheiratet - allein das sorgt für Aufsehen. Seit sie 21 ist, werde sie immer wieder von den Nachbarn darauf angesprochen, ob sie sich nicht einen Mann suchen wolle. Auch sie will eine Familie – aber eben den Zeitpunkt selbst bestimmen.
In einem der Gärten am Straßenrand scharren ein paar Hühner im Stroh. Nach ihrem Abschluss bekam Nelly zahlreiche Jobangebote in Eriwan, auch beim Bildungsministerium - doch sie packte ihre Sachen und zog zurück in ihre Heimatstadt, zurück in das Haus ihrer Großmutter, in dem auch ihre Mutter wohnt. Hier werde sie gebraucht, hier könne sie etwas für ihr Land tun, sagt sie und arbeitet nun bei einer Baufirma als Übersetzerin. Viele junge Armenier würden erst ihre Heimatstadt verlassen und dann das Land, sagt Nelly und schüttelt den Kopf. Besonders schlecht war die wirtschaftliche Lage nach dem Ende der Sowjetunion in den 90er Jahren, aber noch immer leben nach internationalen Angaben mehr als die Hälfte der Armenier unterhalb der Armutsgrenze. Seit 1991 sind Schätzungen zufolge eine Million Armenier ausgewandert. Nelly umfasst das Kreuz vor ihrer Brust mit einer Hand. Für sie komme das nicht in Frage.
Der Weg von Thalin nach Eriwan führt vorbei an kargen Wiesen. Vereinzelt treiben Männer auf Pferden ihre Kuhherden über das steppenartige Grün: die Gesichter wettergegerbt, die Beine baumelnd, anstelle eines Sattels haben sie Decken über den Rücken ihrer Pferde geworfen. Armenien ist in etwa so groß wie Brandenburg, von den rund drei Millionen Einwohnern wohnt gut ein Drittel in der Hauptstadt. Im Treppenhaus der Staatlichen Universität in Eriwan herrscht Trubel – Unterrichtspause. Junge Frauen lehnen in Grüppchen an den Fensterbänken, unterhalten sich, kontrollieren per Blick in ihr Smartphone den Lippenstift. Das "schwarze Haus" wird das alte Uni-Gebäude genannt, denn der Tuffstein der Fassaden ist hier dunkelgrau bis schwarz.
Yulia Antonyan gehört mit Mitte Vierzig zu einer Generation vor Nelly. Sie ist Dozentin an der Fakultät für Geschichte, Abteilung Kulturwissenschaften. Ihr Büro im dritten Stock teilt sie sich mit ihrem Chef und weiteren Kolleginnen. Deswegen führt sie in einen der Unterrichtsräume. Die Fenster sind weit geöffnet, von draußen dringt der Lärm der Hauptstraße herein. Sie zwängt sich auf eine der hölzernen Schulbänke und glättet mit beiden Händen ihr blumenbedrucktes Kleid. An der Stirnseite des Raums hängt eine Kreidetafel. Yulia Antonyan ist Kulturanthropologin und wirft als solche den Blick von oben auf die armenische Gesellschaft. Ihr Spezialgebiet: die Rolle der Kirche.
"Es ist sehr wichtig, zu verstehen, was die Armenische Apostolische Kirche für die Armenier früher bedeutete, um die Rolle heute besser zu verstehen. Vor der Sowjetherrschaft, war Armenien geteilt zwischen dem russischen und dem osmanischen Reich. Vor allem unter osmanischer Herrschaft lebten die Armenier als religiöse Gemeinschaft, nicht als ethnische oder soziale oder irgendeine andere. Das war der Hauptgrund, warum die Armenier sich immer mit ihrer Religion identifiziert haben. Christlichen Glaubens im Sinne der Armenischen Apostolischen Kirche zu sein, bedeutet Armenisch zu sein."
Man kann nicht Armenier sein, ohne auch Christ zu sein
Yulia Antonyan redet schnell, so schnell, als wolle sie die jahrhundertealte Geschichte Armeniens in nur einem Atemzug rekapitulieren. Der christliche Glaube sei so eng mit der Identität der Armenier verbunden, sagt sie, dass man praktisch nicht Armenier sein könne, ohne auch Christ zu sein. In der religionsfeindlichen Sowjetunion war der Handlungsspielraum der Kirche als Institution stark eingeschränkt, aber mit der Unabhängigkeit erlebte sie einen rasanten Wiederaufstieg, sagt Yulia Antonyan. Sie bekam ihre Kirchen, Klöster, Grundstücke zurück. Viel Geld floss von der auf der ganzen Welt verstreuten Diaspora in den Wiederaufbau von Kirchen und die Wiederbelebung von Gemeinden.
"In der Verfassung hat die armenische Kirche eine prioritäre Stellung eingeräumt bekommen. Außerdem genießt sie verschiedene Privilegien wie die Befreiung von Steuern. Wenn die Kirche als Institution eine Kirche baut, ist der ganze Prozess von Steuern befreit. Auch wenn die Kirche religiöse Güter produziert wie Kerzen etc. ist sie von Steuern befreit."
In der Verfassung heißt es seit 2005: "Die Republik Armenien bestätigt die Armenische Apostolische Kirche als Nationalkirche mit exklusiver Mission im geistigen Leben der Nation, in der Entwicklung nationaler Kultur und Bewahrung nationaler Identität." Die Wissenschaftlerin schubst die Brille auf ihrer Nase zurecht und richtet sich auf. Schnell wird deutlich, dass ihr Blick auf die Kirche ein kritischer ist.
Immer engere Allianz zwischen Kirche und Politik
Die nationale Wiedergeburt des Landes nach dem Ende der Sowjetunion sei von den Eliten eng verknüpft worden mit einer religiösen Wiedergeburt. Religion wurde politisch – oder eben politisiert. Diese Entwicklung ginge nun weiter, so die Wissenschaftlerin. Es gebe inzwischen eine immer enger werdende Allianz zwischen Kirche und Politik, aber auch mit der Wirtschaft. So sei es beispielsweise derzeit für Politiker und Oligarchen äußerst populär, die Patenschaft für eine Kirche zu übernehmen.
"Das ist eine gewählte Position, das heißt diese Kirche oder die Kirche als Institution fragt jemanden, ob er Pate werden möchte. Gleichzeitig ist es eine sehr prestigeträchtige Position. Also wenn jemand Pate einer Kirche wird, steigt sein Ansehen in der Stadt oder in dem Dorf enorm. So ist zum Beispiel häufig zu beobachten, dass ein Bürgermeister von Jahr zu Jahr immer wieder Pate der lokalen Kirche wird. Aber was bedeutet es, Pate zu sein? Es heißt, dass diese Person Geld für die Kirche ausgibt. Er renoviert sie, er bezahlt religiöse Feiern oder Veranstaltungen. Wenn der Pate sehr reich ist, kann er sogar die Gehälter der Priester bezahlen. Das heißt, das Verhältnis beruht auf Gegenseitigkeit."
Yulia Antonyan steht auf, um die alten Holzfenster zu schließen. Das Gebäude sei Anfang des vergangenen Jahrhunderts gebaut worden, als es noch längst nicht so viel Verkehr in Eriwan gab. Heute hätte man diesen Ort der Wissensvermittlung wohl an einem ruhigeren Ort errichtet. Nachdem sie sich wieder gesetzt hat, streicht sie nachdenklich über ihr Kleid – und greift ihren Gedanken von eben noch einmal auf.
"Ich denke, die Grundlage für diese Beziehung ist rein wirtschaftlich. Alle Seiten können auf diesem Weg Geld verdienen und bekommen gleichzeitig garantiert, dass sie nicht am nächsten Tag dafür bestraft werden. Es ist eine rationale Verbindung, nicht religiös, nicht spirituell."
Dabei seien Anzeichen dieser Verflechtung durchaus für alle sichtbar. Vor kurzem habe es zum Beispiel eine breite Diskussion um einen Bentley gegeben, den ein Oligarch einem Erzbischof geschenkt hatte. Sie diskutiere häufig mit ihren Studenten über diese Themen, ziehe Parallelen zur Geschichte des Christentums in Europa, spreche über die Trennung von Staat und Kirche und die Reformation. Gleichzeitig – und hier wird sie ernst: respektiert sie jedermanns Glauben. Auch Nelly hatte von den Diskussionen um teure Autos und zweifelhafte Geldausgaben von Kirchenoberen gehört. Aber beim Gespräch darüber schüttelte sie den Kopf: Sie interessiere sich nicht dafür, wer welche Autos fährt, sondern für das, was in ihrer Gemeinde passiere. Hier sei ihr noch nie ein Luxusauto aufgefallen, sondern vor allem die Freizeitangebote, die die Kirche für Kinder und Jugendliche anbietet.
Mamikon Hovsepyan trifft sich mit Besuchern beim ersten Mal immer an einer Straßenkreuzung, denn die Büroadresse seiner NGO Pink Armenia steht ganz bewusst nicht auf der Homepage. Die Menschen, die zu ihnen kommen, sollen sich hier sicher fühlen, sagt er. Pink Armenia setzt sich für die Rechte von homosexuellen und transidenten Menschen in Armenien ein. Durch die Einfahrt führt Mamikon in einen Innenhof, das Büro liegt in einem normalen Wohnhaus. Der 35-Jährige trägt gepflegten Vollbart, die Haare im Undercut und kurze Hosen. Er hat Pink Armenia vor rund zehn Jahren zusammen mit anderen Aktivisten gegründet, jetzt ist er der Geschäftsführer.
"Die Gesellschaft ist mehrheitlich homophob"
"Es ist nicht so einfach, öffentlich über LGBT-Themen zu reden, besonders wenn wir über Schutz sprechen. Denn die Gesellschaft ist mehrheitlich homophob und wann immer wir über gleiche Rechte und den Schutz von Menschen sprechen, fangen sie an, uns zu hassen. Denn es herrscht immer noch diese alte Mentalität, dass diejenigen, die nicht in den stereotypen Rahmen passen, ignoriert werden sollten, oder sogar getötet, ich weiß nicht."
Das Hauptproblem seien die Vorurteile, die in den Familien, in der Schule und in den Medien immer weitergegeben werden. Auch die Kirche sieht Mamikon kritisch. Denn sie predige weiterhin ein patriarchales Familienbild, in das weder emanzipierte Frauen noch Homosexuelle passen. Mit diesem Sexismus schüre sie am Ende auch Homophobie. Die heftigsten Diskussionen finden inzwischen in den sozialen Medien wie Facebook und Co statt.
"Bei Diskussionen und Debatten zu LGBT-Themen – meist in den sozialen Medien – sehen wir, dass viele konservative Armenier versuchen, die nationale Identität zu schützen – wie sie es nennen. Wenn man sie fragt, was diese nationale Identität oder die traditionellen Werte sind, können sie darauf nicht antworten. Aber es gibt diese Ideologie – ich möchte es sogar Gehirnwäsche nennen – die von unserer Regierung gefördert wird - und auch von der russischen Regierung -, und die Menschen wiederholen diese Sätze, ohne sie zu verstehen. Warum ich die russische Regierung erwähnt habe: Obwohl Armenien seit mehr als 25 Jahre unabhängig ist, fühlen wir diese Unabhängigkeit nicht. Es gibt immer noch großen Einfluss von Seiten Russlands und für unsere Politiker ist das ok, weil sie ihr Business in Russland haben und ihr Geld nicht verlieren wollen."
In der Küche holt einer der Mitarbeiter Kaffeetassen aus dem Schrank, füllt Zucker und Kaffee nach. Als Mamikon bemerkte, dass er anders ist, war er 14 Jahre alt. Reden konnte er mit niemandem darüber. Seine Rettung war das Studium, sagt er heute: Er zog mit 17 nach Eriwan und vertraute sich einem Kommilitonen an, bei dem er das Gefühl hatte, dass er ähnlich tickt wie er. Nach seinem Studium wollte er dann noch weiter weg: Mit der finanziellen Unterstützung seiner Eltern zog er in die USA, arbeitete dort in der Gastronomie.
Um etwas zu verändern kam er zurück in die Heimat
"Ich hatte damals alles, was ich wollte: Freiheit, ein gutes Leben. Aber dann habe ich realisiert, dass ich nichts dafür getan hatte, um dieses Leben führen zu können. Denn meine Eltern hatten mein Ticket und alles bezahlt, und ich ging in ein Land, wo ich nichts dafür tun musste, um ein gutes Leben zu führen. Deswegen habe ich entschieden, wieder zurückzukommen und hier etwas zu tun. Denn wenn ich Veränderung will, sollte ich meinen kleinen Beitrag leisten. Deswegen kam ich zurück und habe angefangen, an Aktionen teilzunehmen und später haben wir diese Organisation gegründet."
Mamikon führt in einen weiteren Raum: Zwei Sessel, dazwischen ein niedriger Tisch.
"Hier ist unser Beratungsraum. Wir haben vier Psychologen, einen Sozialarbeiter und zwei Anwälte, sie unterstützen unsere Klienten bei ganz unterschiedlichen Themen."
Mamikon kennt viele in der Community, denen gekündigt wurde, als herauskam, dass sie homosexuell sind. Häufiges Argument von Arbeitgebern im Dienstleistungsbereich: Wenn unsere Kunden merken, dass Du schwul bist, kommen sie nicht mehr zu uns. Manchmal könnten die Anwälte in solchen Fällen helfen, aber auch die psychologische Beratung sei enorm wichtig, in einem Land, in dem das Outing gleichbedeutend sein kann mit sozialer Ächtung. Auch Mamikon zögerte lang, offen schwul zu leben.
"Die größte Hürde für mich war meine Familie, weil meine Eltern immer im Schatten leben wollten. Sie wollten nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, sie wollten nicht anders sein. Ich wusste, nach meinem coming out, würden Verwandte und Freunde Fragen stellen. Aber ich sagte mir und ihnen, es ist auch mein Leben und ihr müsst mich akzeptieren und verstehen. Wenn wir dieses gegenseitige Verständnis haben, können wir eine stärkere Familie sein. Das ist besser, als in Stille zu leben, das macht weder Euch noch mich glücklich."
Genau wie die gläubige Christin Nelly hat Mamikon sich entschieden, in Armenien zu bleiben, um hier etwas zu ändern. Doch oft hat er das Gefühl, dass sein kleines Land von äußeren Einflüssen zerrissen werde.
Das Wichtigste ist die Unabhängigkeit des Landes
"Für mich ist es sehr wichtig, dass Armenien unabhängig bleibt. Als Land kann es natürlich jeder Vereinigung beitreten, wirtschaftlicher oder politischer Natur. Aber wir sollten unsere Unabhängigkeit wahren. Wenn wir einer Union beitreten, und sie hat negativen Einfluss auf unser Land, will ich uns dort definitiv nicht sehen. Wenn Russland und die Europäische Union zur Auswahl stehen, sehe ich, dass Menschen in der EU besser geschützt werden. Natürlich ist auch die EU nicht perfekt, aber wenn ich vergleiche, sehe ich, dass die Menschenrechte besser geschützt werden in der Europäischen Union als in Russland. Aber definitiv das Wichtigste ist die Unabhängigkeit des Landes."
Die ersten Infos, die er als Jugendlicher damals über das Thema Homosexualität fand, waren auf Russisch. Inzwischen sind die meisten Bücher, die bei ihnen im Regal stehen auf Englisch. Eines der nächsten Projekte von Pink Armenia ist, mehr Literatur über Homosexualität auf Armenisch herauszugeben.