Armenier in Frankreich

Die Kindeskinder der Überlebenden

Gedenkstätte an den Völkermord an den Armeniern in Jerewan, Hauptstadt von Armenien
Einsame Flamme: Völkermord-Gedenkstätte in der armenischen Hauptstadt Jerewan © picture alliance / dpa / Foto: Abaca 106804
Von Suzanne Krause · 23.04.2015
Auf den 24.04.1915 wird der Beginn der Massaker datiert, denen bis zu 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen. Frankreich nahm ehemals viele Flüchtlinge und Vertriebene auf. Über ihre Kindeskinder berichtet Suzanne Krause.
Sechs junge Frauen im schwarzen Sportdress folgen aufmerksam den Anweisungen ihres Choreographen: Im Vereinshaus der "armenischen Jugend in Frankreich" proben sie traditionelle Volkstänze aus der Heimat ihrer Ahnen. Das Kulturzentrum liegt nahe des Pariser Republik-Platzes: Rundherum siedelten sich vor knapp einhundert Jahren Überlebende der Massaker in Armenien an. Manche der jungen Leute hier wissen erst seit kurzem von der leidvollen Geschichte ihrer Familien, erzählt Sevag Tatoyan. Der Journalistik-Student ist einer der Leiter des armenischen Jugendvereins:
„Ich kenne nur Bruchstücke der Geschichte meines Volkes. Unsere Großeltern müssen erst einmal innere Blockaden überwinden, um darüber zu sprechen. Meine Großmutter hat vor gerade mal zwei, drei Jahren begonnen, mir manches zu erzählen."
In die französische Kultur eingetaucht sind Savig Tatoyan und Seinesgleichen seit der Geburt. Und sie sind natürlich Bürger der République Française:
"Es missfällt mir, wenn man mich als Franzosen mit armenischen Wurzeln bezeichnet. Ich bin Franzose. Und Armenier. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich über die französische Staatsangehörigkeit verfüge, nicht aber über die armenische."
Frankreich hat schon 2001 die Massaker als Völkermord anerkannt
Dieses Selbstverständnis ist eventuell der Tatsache zu verdanken, dass der französische Staat im Januar 2001 per Gesetz die Massaker am armenischen Volk als Völkermord anerkannt hat. Da war Eve-Anna Khachikian 9 Jahre alt:
"Wir standen damals alle vor dem Senat und harrten der Abstimmung der Politiker. Es war die größte armenische Kundgebung, die ich in Frankreich je gesehen habe. Viele alte Frauen weinten. Uns allen ging das sehr ans Herz. Denn Frankreich hat ja nach den Massakern die Überlebenden aufgenommen, hat ihnen ermöglicht, im Leben voranzukommen, ihre Kinder gut ausbilden zu lassen. Unsere Großeltern waren vielleicht noch Schuster oder Änderungsschneider. Wir nun studieren, Journalismus oder auch Kunst wie ich. Wir sind der lebende Beweis für den sozialen Aufstieg."
Charles Aznavour hatte armenische Wurzeln
Charles Aznavour, weltweit Inbegriff des französischen Chansonniers, ist längst nicht der einzige prominente Armenier in Frankreich. Dazu gehören auch der Ex-Rennfahrer Alain Prost, vierfacher Formel-1-Sieger oder Ex-Premierminister Edouard Balladur.
Sie - wie alle anderen armenisch-stämmigen Franzosen - wird berühren, dass zum Gedenken an die Opfer des Völkermordes in Armenien morgen Abend die Lichter des Eiffelturms gelöscht werden und in der kommenden Woche im Pariser Rathaus eine Ausstellung unter dem Titel "Armenien 1915 – Zum Hundertsten des Genozids" eröffnen wird.
Sehr pädagogisch wird hier die armenische Geschichte nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgearbeitet. Ein Wunsch von Catherine Vieu-Charier, als stellvertretende Bürgermeisterin zuständig für das Thema geschichtliches Andenken.
58.000 Überlebende nahm Frankreich Anfang der 1920er-Jahre auf
Parallel zu Ausstellung hat Vieu-Charier unter anderem mit der Shoah-Gedenkstätte eine Broschüre für Pariser Schulkinder herausgebracht. Darin geht es um Marta, eine fiktive Armenierin, die den Genozid überlebte, in Frankreich im 2. Weltkrieg Juden verteidigte und die die Kinder auch über den Genozid an den Tutsi in Ruanda informiert. Catherine Vieu-Charier:
"Martas Geschichte dient dazu, den Kindern klarzumachen, wie es zum Völkermord kommen kann und das man heute noch sehr aufpassen muss, weil das Thema leider weiterhin sehr aktuell ist."
58.000 Überlebende der blutigen Ereignisse in Armenien kamen Anfang der 1920er-Jahre nach Frankreich: Vielfach wurden sie aus Waisenhäusern in Damaskus, Beirut, Aleppo geholt. Arbeitskräfte, die an die Stelle der im Ersten Weltkrieg gefallenen Franzosen traten.
Für ihre Kindeskinder nun ist Frankreich Heimatland, bekräftigt Eve-Anna Khachikian vom armenischen Jugendverein:
"Ich habe schon einen Monat im Rahmen eines Hilfsprogramms in Armenien gearbeitet. Dort zu leben kann ich mir nicht vorstellen – aber ich werde alles mir mögliche tun für die Entwicklung der Heimat meiner Ahnen."
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