Armut, Alkohol und falsche Freunde
Sie ist die Inkarnation des "White Trash", der verarmten Weißen in den USA: Allison, 23, führt ein erbärmliches Leben in Nevada. Sie säuft sich fast zu Tode und wird von ihrem Freund vergewaltigt. Doch der Country-Rock-Sänger Willy Vlautin zeigt in seinem anrührenden Roman auch Auswege aus diesem Elend.
Allison Johnson ist gerade mal 23 und ihr Leben ist schon fast am Ende. Fast täglich säuft sie sich fast bis zur Ohnmacht. Ihre Mutter ist auch eine Trinkerin, aber das ist noch nicht alles. Ihre jüngere Schwester ist mit einem seltsamen Typen nach Mexiko abgezogen, ihr Freund schlägt und vergewaltigt sie, und wenn er das nicht tut, dann nimmt er Speed oder hängt mit rassistischen Schlägertypen in der Wüste von Nevada herum und hört sich dort Konzerte mit schlechter, aber lauter Musik an.
Als Allison von ihm schwanger wird, ist das der Auslöser, sich aus dem Sumpf dieses verkorksten Lebens herauszuziehen. Weit kommt sie nicht - sie zieht von Las Vegas nach Reno, von der boomenden in die heruntergekommene Spielerstadt, aber das Wichtigste: Sie ist weg von ihrem alten Leben. Sie will sich Sätze von ihrem "Freund" Jimmy nicht mehr anhören, die so lauten: "Ich gehe runter in die Werkstatt. Ich habe heute keine Lust auf dich."
Jimmy – ein Tunichtgut, ein Schläger, der es am Morgen danach wieder bereut und wieder zurückkehren will zu ihr: "Schatz, ich habe es nicht so gemeint". Sie lässt ihn viel zu oft wieder in ihr Leben, gedankt wird es ihr nicht. Er will ihr stattdessen glauben machen, dass sie zusammen eines Tages nach Norden gehen werden - raus aus der Spielerwüste, hoch nach Oregon vielleicht. Eine Ranch soll es sein, viele Kinder, eine "Northline" will er ziehen, nach oben, "weg von alldem hier". Es bleiben leere Versprechungen.
Eines Tages macht sie sich also auf - und der erste liebenswürdige Mensch, den sie kennenlernt, ist ein Trucker, unterwegs in der Wüste von Nevada. Ihm gesteht sie, dass sie schwanger ist. Er bestärkt sie, das Kind zu bekommen, redet mit ihr über Radiosendungen, über Bücher. Am Ende gibt er ihr 20 Dollar, seine Adresse und eine Umarmung.
Seitdem hat die junge Frau, die bisher im Buch nur "das Mädchen" hieß, auch einen Namen, sie wird wieder wer. Allison, 23, schwanger, aber angewiesen auf Hilfe von Fremden. Sie bringt das Kind zur Welt, gibt es zur Adoption frei, will sich dafür fast umbringen, rafft sich aber auf und versucht, Ordnung in ihr Leben zu bringen.
Ihr alter Schläger-Freund verfolgt sie, aber sie findet neue Menschen, die wirklich Nähe aufbauen können: die Staubsaugerverkäuferin Penny, unglücklich wie sie, aber abgebrühter, und der Stammgast in dem Café, in dem sie kellnert: Dan – gezeichnet auch er, aber einer mit dem es vielleicht einen Ausweg gibt. Und dann ist da noch Paul Newman. Anfangs könnte man als Leser denken - was für ein Klischee: geschlagene junge Frau spricht mit toter Hollywoodlegende. Aber es funktioniert auch das! Sie empfindet es so, man glaubt es. Newman ist ihr Held - einer, der es in seinen Filmen geschafft hat. Also schafft er es auch hier, sie zu retten.
Das Ende des Buches ist nicht glücklich, aber es ist auch nicht tragisch, es lässt Auswege. Vielleicht will Willy Vlautin mit seinem zweiten Roman nach "Motel Life" sagen: Es gibt immer einen Weg heraus. Mit Glück hat das nichts zu tun, aber vielleicht mit dem puren Überleben.
Willy Vlautin, geboren 1967 in Reno, Sänger der Country-Rock-Band "Richmond Fontaine", in Amerikas Westen ein großer Name, legt mit seinem Roman eine glaubwürdige und anrührende Geschichte einer jungen Frau vor, deren Leben kaum auswegloser sein könnte, die aber im letzten Moment die Hoffnung nicht verliert. Sie lebt "am Arsch der Welt", wie es mehrere Personen in diesem Roman formulieren. Und Willy Vlautin lässt diese Gegend greifbar werden: die trostlose Wüste, die ewigen Autofahrten, die verfallenden Casinos, die Hitze und das Leben der Leute, die in Amerika mit dem hässlichen Begriff "White Trash" bezeichnet werden - das heißt: weiße, verarmte Amerikaner zwischen Alkohol, Fast Food, Spielautomaten, Billigjobs, Gewalt und Rassismus.
Lange konnte man auf dem deutschen Buchmarkt nicht mehr so glaubhaft über das Leben in Armut lesen. Wir sind hier weit entfernt von ausgeklügelter literarischer Ästhetik. Willy Vlautin stellt einfach seine Geschichte vor den Leser hin: Hier nimm, lies es, aber bitte erspar dir dein Mitleid.
Rezensiert von Vladimir Balzer
Willy Vlautin: Northline
Roman. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje
Berlin Verlag, 2009
208 Seiten, 18 Euro
Als Allison von ihm schwanger wird, ist das der Auslöser, sich aus dem Sumpf dieses verkorksten Lebens herauszuziehen. Weit kommt sie nicht - sie zieht von Las Vegas nach Reno, von der boomenden in die heruntergekommene Spielerstadt, aber das Wichtigste: Sie ist weg von ihrem alten Leben. Sie will sich Sätze von ihrem "Freund" Jimmy nicht mehr anhören, die so lauten: "Ich gehe runter in die Werkstatt. Ich habe heute keine Lust auf dich."
Jimmy – ein Tunichtgut, ein Schläger, der es am Morgen danach wieder bereut und wieder zurückkehren will zu ihr: "Schatz, ich habe es nicht so gemeint". Sie lässt ihn viel zu oft wieder in ihr Leben, gedankt wird es ihr nicht. Er will ihr stattdessen glauben machen, dass sie zusammen eines Tages nach Norden gehen werden - raus aus der Spielerwüste, hoch nach Oregon vielleicht. Eine Ranch soll es sein, viele Kinder, eine "Northline" will er ziehen, nach oben, "weg von alldem hier". Es bleiben leere Versprechungen.
Eines Tages macht sie sich also auf - und der erste liebenswürdige Mensch, den sie kennenlernt, ist ein Trucker, unterwegs in der Wüste von Nevada. Ihm gesteht sie, dass sie schwanger ist. Er bestärkt sie, das Kind zu bekommen, redet mit ihr über Radiosendungen, über Bücher. Am Ende gibt er ihr 20 Dollar, seine Adresse und eine Umarmung.
Seitdem hat die junge Frau, die bisher im Buch nur "das Mädchen" hieß, auch einen Namen, sie wird wieder wer. Allison, 23, schwanger, aber angewiesen auf Hilfe von Fremden. Sie bringt das Kind zur Welt, gibt es zur Adoption frei, will sich dafür fast umbringen, rafft sich aber auf und versucht, Ordnung in ihr Leben zu bringen.
Ihr alter Schläger-Freund verfolgt sie, aber sie findet neue Menschen, die wirklich Nähe aufbauen können: die Staubsaugerverkäuferin Penny, unglücklich wie sie, aber abgebrühter, und der Stammgast in dem Café, in dem sie kellnert: Dan – gezeichnet auch er, aber einer mit dem es vielleicht einen Ausweg gibt. Und dann ist da noch Paul Newman. Anfangs könnte man als Leser denken - was für ein Klischee: geschlagene junge Frau spricht mit toter Hollywoodlegende. Aber es funktioniert auch das! Sie empfindet es so, man glaubt es. Newman ist ihr Held - einer, der es in seinen Filmen geschafft hat. Also schafft er es auch hier, sie zu retten.
Das Ende des Buches ist nicht glücklich, aber es ist auch nicht tragisch, es lässt Auswege. Vielleicht will Willy Vlautin mit seinem zweiten Roman nach "Motel Life" sagen: Es gibt immer einen Weg heraus. Mit Glück hat das nichts zu tun, aber vielleicht mit dem puren Überleben.
Willy Vlautin, geboren 1967 in Reno, Sänger der Country-Rock-Band "Richmond Fontaine", in Amerikas Westen ein großer Name, legt mit seinem Roman eine glaubwürdige und anrührende Geschichte einer jungen Frau vor, deren Leben kaum auswegloser sein könnte, die aber im letzten Moment die Hoffnung nicht verliert. Sie lebt "am Arsch der Welt", wie es mehrere Personen in diesem Roman formulieren. Und Willy Vlautin lässt diese Gegend greifbar werden: die trostlose Wüste, die ewigen Autofahrten, die verfallenden Casinos, die Hitze und das Leben der Leute, die in Amerika mit dem hässlichen Begriff "White Trash" bezeichnet werden - das heißt: weiße, verarmte Amerikaner zwischen Alkohol, Fast Food, Spielautomaten, Billigjobs, Gewalt und Rassismus.
Lange konnte man auf dem deutschen Buchmarkt nicht mehr so glaubhaft über das Leben in Armut lesen. Wir sind hier weit entfernt von ausgeklügelter literarischer Ästhetik. Willy Vlautin stellt einfach seine Geschichte vor den Leser hin: Hier nimm, lies es, aber bitte erspar dir dein Mitleid.
Rezensiert von Vladimir Balzer
Willy Vlautin: Northline
Roman. Aus dem Amerikanischen von Robin Detje
Berlin Verlag, 2009
208 Seiten, 18 Euro