Jobwunder verliert an Glanz
Die Bundesregierung hat ihren Sozialbericht 2013 veröffentlicht, der die Lebensbedingungen in Deutschland widerspiegelt. Darin zeigt sich: Die Armut in Deutschland verfestigt sich immer mehr.
Nie zuvor hatten so viele Menschen einen Job. Dennoch: Heute sind mehr Menschen von Armut bedroht und mehr Menschen dauerhaft arm - das sei die zentrale Botschaft des Sozialberichts für Deutschland 2013, den das Statistische Bundesamt gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin und der Bundeszentrale für politische Bildung erarbeitet hat, so Gerhard Schröder in seinem Bericht für Deutschlandradio Kultur.
2012 waren 41,5 Millionen Menschen in Arbeit, im September dieses Jahres waren es sogar über 42 Millionen; gleichzeitig wuchs aber auch das Armutsrisiko auf 16,1 Prozent. 2007 waren nur 15,2 Prozent der Menschen von Armut bedroht. Als arm gilt, wer weniger als 980 Euro zur Verfügung hat, das entspricht 60 Prozent des Durchschnitteinkommens.
Das Armutsrisiko trifft dabei Frauen häufiger als Männer, denn sie gingen häufiger atypischen Arbeiten nach, das heißt sie sind in Minijobs, Teilzeit oder befristet beschäftigt. Zudem wirke sich Armut unmittelbar auf Gesundheit und Lebenserwartung aus. Die mittlere Lebenserwartung von Männern der niedrigsten Einkommensgruppe liege bei der Geburt fast elf Jahre unter der von Männern der höchsten Einkommensgruppe.
Beschäftigungszuwachs durch steigende geringfügige Beschäftigung
Eine weitere Sorge besteht laut Bericht darin, dass sich die Armut immer mehr verfestigt. Das Jobwunder verliert angesichts der neuen Zahlen ein wenig an Glanz. Zwar sei die Beschäftigung zuletzt auf einen neuen Rekordstand gestiegen, das Arbeitsvolumen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten aber kontinuierlich gesunken.
Robert Habich vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Mitautor des Sozialberichts, bestätigte dies im Interview mit Deutschlandradio Kultur. "Dieser riesige Beschäftigungszusatz, den wir in den letzten zehn, 15 Jahren hatten, beruht zum großen Teil auf sogenannten atypischen Beschäftiungen." Die Arbeit sei heute einfach auf mehr Schultern verteilt. Bei geringfügiger Beschäftigung gäbe zwischen 2005 und 2011 Zuwachsraten von zum Teil 45 Prozent, "und das kann ja eigentlich nicht sein." Es müsse vielmehr darum gehen, dass die Menschen mehr Arbeit haben und dass sie von dem, was sie verdienen, auch leben könnten, sagte Habich.
Den Mindestlohn hält Habich für einen Schritt in die richtige Richtung, um das Armutsrisiko in Deutschland zu senken. Dieser ist auch zentrales Thema in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro könnte nach Angaben aus mit den Verhandlungen vertrauten Kreisen zum 1. Januar 2015 eingeführt werden. Ein entsprechendes Kompromissmodell sehe zudem vor, dass für eine festgelegte Übergangszeit bis voraussichtlich 2017 auf der Grundlage bestimmter Tarifverträge auch geringere Löhne möglich wären.
cwu mit kna und reuters
Programmtipp:
Wie sich die soziale Realität in Deutschland in den Maßnahmen widerspiegelt, die in den aktuellen Koalitionsverhandlungen diskutiert werden, das ist auch Thema in der Ortszeit ab 17:07 Uhr.