Sozialforscherin warnt vor Verteilungskämpfen
Erstmals seit zehn Jahren ist das Armutsrisiko in Deutschland gesunken. Grund zur Entwarnung sieht die Armutsforscherin Irene Becker dennoch nicht. Denn die vielen Flüchtlinge seien in dieser Statistik noch nicht erfasst. Es drohten Verteilungskämpfe.
Nach dem am Dienstag vorstellten Armutsbericht 2016 geht das Armutsrisiko in Deutschland erstmals seit zehn Jahren zurück, wenn auch nur leicht: Nach wie vor sind etwa zwölfeinhalb Millionen Menschen in Deutschland von Armut bedroht. Besonders gefährdet sind Erwerbslose, Alleinerziehende und Rentner. Während das Armutsrisiko in Ostdeutschland gesunken ist, entwickelt sich vor allem das Ruhrgebiet problematisch: Dort zählt inzwischen jeder Fünfte zu den Armen.
Flüchtlinge tauchen in der Armutsstatistik noch nicht auf
Die kürzlich zugezogenen Flüchtlinge seien in dieser Statistik noch nicht enthalten, sagt die Armutsforscherin Irene Becker. "Unsere Armutsstatistik bezieht sich auf die Bevölkerung in Privathaushalten. Die Flüchtlinge werden ja zunächst mal in Sammelunterkünften untergebracht."
Wenn diese länger hierblieben, müssten sie aber integriert werden, so Becker. "Sie können nicht auf Dauer eine Million Menschen in Sammelunterkünften ausgrenzen oder mit zu wenig Geld abspeisen."
Höhere Hartz-IV-Regelsätze gegen Verteilungskämpfe
Es dürfe aber nicht einmal der Eindruck entstehen, dass die Kosten dieser Integration zu Lasten der untersten Schicht der Bevölkerung gingen, mahnt die Sozialforscherin. Diesen könne man beispielsweise bei der anstehenden Neufestsetzung der Regelsätze für Hartz IV und andere Sozialleistungen zeigen, dass an ihnen nicht gespart werde.
"Hier warten ja die Betroffenen seit Jahren auf eine Verbesserung ihrer Situation", kritisiert Becker. "Und wenn hier jetzt wieder die Erwartungen nicht erfüllt werden, dann sehe ich schon die Gefahr, dass der Verteilungskampf in den Köpfen sich ausbreitet und dass vielleicht tatsächlich hier wieder gespart wird bei einer Gruppe, um nicht noch mehr den Staatshaushalt zu belasten."