„Ich war ein Vagabund, ein Stadtstreicher, ein Lumpensammler, ein Niemand und weiter nichts.“
Arno Geiger: "Das glückliche Geheimnis"
Im Jahr 2005 bekam Arno Geiger den Deutschen Buchpreis – und tauchte weiter in Altpapiertonnen nach Antworten auf die Grundfragen des Lebens. © picture alliance / Erwin Elsner
Vom Müllsammler zum preisgekrönten Schriftsteller
11:53 Minuten
Heute ist der Österreicher Arno Geiger ein vielfach ausgezeichneter Bestseller-Autor, doch zum Schreiben kam er über das Wühlen in Altpapiercontainern. In seinem neuen Buch erzählt er davon – und erkundet, was der Müll über die Gesellschaft sagt.
Er ist einer der populärsten Schriftsteller im gesamten deutschsprachigen Raum: der Österreicher Arno Geiger. 2005 bekam er den Deutschen Buchpreises für seinen Familienroman "Es geht uns gut". Inzwischen verkaufen sich seine Bücher hunderttausendfach, die literarischen Auszeichnungen sind nur so auf ihn herabgeregnet, zum Beispiel 2011 der Hölderlin-Preis, 2017 der Alemannische Literaturpreis, 2018 der Joseph-Breitbach-Preis, 2019 der Bremer Literaturpreis und der in den Niederlanden vergebene Europese Literatuurprijs.
In seinem neuen Buch „Ein glückliches Geheimnis“ beschreibt Geiger seinen langen Weg zum Schreiben. Und da steht der Satz:
So schreibt Arno Geiger über sein Leben mit Anfang bis Mitte 20, als er studierte, Schriftsteller werden wollte, aber mit seinen Plänen nicht weiterkam. In dieses Vagabunden-Dasein sei er dann kurz vor Ende seines Studiums hineingestolpert, erzählt Arno Geiger. An einem öffentlichen Altpapiercontainer entdeckte er zufällig fünf Bananenkartons mit Büchern. „Dann habe ich mir gedacht: Es gibt ja so viele Containerstationen, Abfalltonnen, die im öffentlichen Raum fix installiert sind, für alle frei zugänglich. Und dann bin ich losmarschiert, auf ein Terrain, das geprägt ist von fehlender Schicklichkeit, von Schmutz.“
Die ersten Jahre waren ambivalent. „Einerseits habe ich mich geschämt. Ich hätte das nicht wollen, dass meine Eltern davon erfahren, die mir ein Studium finanziert haben“, sagt der Österreicher. „Und jetzt beschäftigt er sich mit Abfall.“ Zugleich ging davon aber auch eine Faszination aus. Er habe gemerkt, „dass der Abfall als eine der untersten Wirklichkeiten, die wir haben, Nachrichten aussendet von der Rückseite der Gesellschaft her, die eine andere Geschichte erzählen, als – sagen wir – Weltliteratur“.
Liebesbeziehung zum Weggeworfenen
Arno Geiger tauchte kopfüber mit dem ganzen Körper in diese Tonnen und beschreibt das auch in seinem Buch. Das sei auch ein Sinnbild für sein Bedürfnis, „zum Grund zu gelangen“, so Geiger. „In der Hoffnung, dass ich dort irgendetwas finde, was essenziell ist für mich, was vielleicht mein Leben zum Guten verändert.“ Und tatsächlich habe er festgestellt: „Im Abfall befindet sich ein unglaublicher Reichtum.“ Aus Briefen, aus Tagebüchern, die er dort fand, habe er erfahren: „Ich bin nicht der einzige merkwürdige Mensch auf der Welt. Die anderen haben auch zu kämpfen und sich mit Kompliziertheiten auseinander zu setzen.“
Dass dieses Vagabunden-Dasein zu einem Dauerzustand werden würde, 25 Jahre lang, habe er nie gedacht. Aber über die lange Zeit hinweg, „war es tatsächlich eine Reise zum Grund dessen: Was ist der Mensch? Was macht den Menschen aus? Wie leben wir? Wie stellen wir uns unser Leben vor? Wie gehen wir mit Krisen um?“ Als er empfänglich wurde für diese „beiläufigen Alltagsnachrichten“, sei es auch zu einer Liebesbeziehung geworden, erklärt Geiger.
Bundespräsident und Müllcontainer
Er hat auch weiter im Altpapier gewühlt, als sich der Erfolg einstellte, er renommierte Preise bekam und Menschen wie dem Bundespräsidenten die Hand schüttelte. „Weil sich die beiden Dinge sehr gut ergänzt haben, einander auch relativiert haben“, so Geiger. „Mit dem Gewinn des Deutschen Buchpreises wurde ich herumgereicht, und gleichzeitig war ich dieser Niemand, dieser Vagabund, Stadtstreicher auf der Straße.“ Wo er übrigens nie erkannt wurde – was für Geiger mit der Stigmatisierung des Mülls zu tun hat.
In den Jahrzehnten als Müllsammler beobachtete Arno Geiger auch, wie dieser sich veränderte. Er beschreibt, dass etwa die Sexhefte immer weniger wurden und dafür die Weinkartons zunahmen. Und er habe der Kultur des Handschriftlichen beim Untergehen zugesehen, resümiert Geiger.
Hin und wieder fand Arno Geiger auch einen Roman von sich selbst im Abfall. Beim ersten Mal sei er erschrocken. Inzwischen sehe er es so: „Man muss auch wegwerfen. Wenn man etwas nicht mehr braucht, dann wirft man es weg. Und vielleicht fischt es irgendjemand heraus und findet darin für sich etwas Wichtiges.“