Arno Schmidt. Eine Ausstellung in 100 Stationen ist vom 23.9.2015 bis 10.1.2016 an der Akademie der Künste Berlin zu sehen.
Avantgardist und Biedermann
Eine Lederjacke, Eingemachtes aus dem Keller und die berühmten Zettelkästen: Objekte in einer Ausstellung an der Berliner Akademie der Künste offenbaren, wie der Avantgardist Arno Schmidt im Privaten eine verlässliche Biederkeit brauchte.
Ausstellungen über Schriftsteller sind eine schwierige Sache. Ein Autor produziert Texte, und will man nicht nur Manuskriptseiten zeigen, dann bleibt nur der Rückgriff auf die Biografie oder auf Objekte aus seinem Leben: Die Schreibmaschine, der Bleistiftstummel, der Hut.
Bei aller - wahren oder eingebildeten - Identifikation mit dem Autor, die sich beim intensiven Lesen einstelle - sei das doch letztlich wenig befriedigend, erklärt Jan-Philipp Reemtsma, Vorstand der Arno-Schmidt-Stiftung, die die Ausstellung zum 100. Geburtstag des Dichters konzipierte:
"Dieses Erschauern: Das waren jetzt wirklich seine Socken, das hält sich ja doch dann in Grenzen!"
Ohne Bleistiftstummel und Manuskriptseiten kommt auch diese Ausstellung nicht aus. Zu den Schreibutensilien kommen Objekte wie seine Lederjacke, ein Teddy, der zwischen ihm und seiner Frau auf dem Sofa saß und mit Fernsehen durfte, Schnaps, Eingemachtes aus dem Keller und die acht berühmten Zettelkästen mit den 100.000 Karteikarten, in denen Schmidt über Jahre Notizen sammelte für sein 1970 erschienenes, zehn Kilo schweres Epochalwerk "Zettels Traum".
Doch das sind mehr als nur Devotionalien aus dem Leben des großen Arno Schmidt. Die Ausstellungsmacher versuchen, in hundert Stationen mit hundert Objekten aus Schmidts Nachlass den komplexen Gedankenkosmos des Schriftstellers aufzufalten – und zwar anhand der augenfälligen Widersprüche, die sein Werk wie sein Leben durchziehen. Und davon gibt es reichlich.
Mit Hilfsmitteln die Geistmaschine in Gang halten
Kurator Bernd Rauschenbach: "Geboren in der Großstadt Hamburg, hat sich aber in die Lüneburger Heide zurückgezogen. Er hat sich gleichzeitig für Mathematik und Naturwissenschaften und für Literatur interessiert. Er war ein äußerst penibler und genau sich und seine Arbeit organisierender Mensch. Gleichzeitig war er aber auch ein Schriftsteller, der ohne eine gewisse Gabe an Alkohol nicht auskam und Kaffee und Schlaftabletten, um die Geistmaschine in Gang zu halten und den Zugang zu den Wörtern sich zu erleichtern. "
Bernd Rauschenbach ist einer der vier Kuratoren der Ausstellung. Und jede Vitrine hat Vor- und Rückseite. Darin etwa Schmidts Schnapskrug und seine Lupe – beides optische Geräte, die den Blick auf die Welt verändern. Nähe und Weite. Präzision und "Lockerung der Wortbremse". Oder Karl May und James Joyce. Karl May fand Schmidt zwar "hintertreppig", aber seine späten Werke seien "Hochliteratur".
Eine wortmächtige Postkarte, die er als 19-Jähriger an seinen Freund schickte, und die bereits ein kleines Stück Schmidt'scher Prosa mit Interpunktion und Satzzeichen ist, steht für "Jugendgenie" – dem wird der "Buchhalter" entgegengesetzt, der er von seiner Ausbildung her auch war, sein Hang, alles in Listen zu fassen, den Alltag und auch seine Bücher penibel zu planen.
Rauschenbach: "Wobei die minutiöse Planung sich auch in so kuriosen Dingen niederschlägt, wie dass er in seinen Manuskripten oft einen Arbeitsplan hat, wo er genau vermerkt hat, und zwar mit Minutengenauigkeit, wann er einen Text begonnen hat, wann er ihn beendet hat, wann er ihn noch einmal durchgearbeitet hat, das haben wir auch hier irgendwo in der Ausstellung, den Roman 'Aus dem Leben eines Fauns' hat er tatsächlich mit einer solchen Tabelle vorne versehen."
Guter Gastgeber, doch am liebsten allein
Schmidt konnte als Gastgeber ein unterhaltsamer Erzähler sein, doch am liebsten war er allein. In Darmstadt nahm er am Kunst- und Literaturbetrieb teil, doch dass ständig Kollegen zu ihm kamen, um mit ihm "Literatur quatschen" zu wollen, ging ihm auf den Geist.
Das Ehepaar Schmidt zog nach Bargfeld in die Lüneburger Heide, weitab vom Schuss. Vorhängeschlösser, die am Grundstück angebracht waren, stehen für das Bedürfnis nach Isolation. "Der Künstler hat nur die Wahl, ob er als Mensch existieren will oder als Werk. Im zweiten Fall besieht man sich den defekten Rest besser nicht", schreibt Schmidt. Lästige Geräusche wie Rasenmäher und Landmaschinen kann man in der Ausstellung per Knopfdruck ausschalten.
Der Avantgardist Schmidt brauchte im Privaten eine gewisse verlässliche Biederkeit. Auch in der Ehe mit seiner Frau Alice, die ihren Beruf aufgeben musste, um sich unterstützend ganz dem Schreiben ihres Mannes zu widmen. Rauschenbach liest leicht despektierliche Beschriftungen Schmidts aus Fotoalben vor:
"'Madame fuhr wieder Schi. Männe arbeitete fleißig.' Oder aus dem Tagebuch: 'Lili bügelt, Katze kotzt. Krach!' Die Schmidts hatten eine Katze, die hieß Purzel."
Doch am nächsten kommt man Arno Schmidt noch immer durch seine Sprache. Es ist ein Glück, dass sie auch hier im Zentrum steht. Ein ringförmiger Bildschirm spannt sich über eine Tastatur mit 100 Wörtern aus dem Schmidt'schen Universum. Berührt man ein Wort, erscheinen Zitate aus seinen Texten. "Wahrheit": "Ich lüg' gans gern, wenn ich Zeit hab': die Wahrheit iss so was Gewöhnliches, nich?"
Oder: "Zunge": "Mein Herz züngelte und schluckte". Letztlich: Wenn sich eine Sprache ausstellen lässt, dann ist es die visuelle Prosa von Arno Schmidt, dieses "Wortmetzen", der über seine ganz eigene Schreibtechnik - mit Interpunktionen, Flatterabsätzen, Orthographie - immer wieder zusätzliche Bedeutungsebenen einführte.
Dass die Ausstellung immer wieder Rückbezüge herstellt zwischen dem ausgestellten Alltagszeug und Schmidts Sprache und Werk macht die Ausstellung nicht nur unterhaltsam, sondern auch literarisch interessant. So gegensätzlich wie seine Persönlichkeit war übrigens auch die Rezeption seiner Werke. Über seine 1956 erschienene Erzählung "Das steinerne Herz" schrieb der Mannheimer Morgen: "Stammt dieses hysterische Gestammel aus einem Irrenhaus"? Der "Studentenkurier" war anderer Meinung: "Mehr kann einer nicht geben: Weltklasse!"