Arnold: Eine "kriegsähnliche" Situation
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich nach Einschätzung des SPD-Verteidigungsexperten Rainer Arnold zugespitzt. In der Region Kundus würden die Bundeswehr-Soldaten in "organisierte militärische Gefechte" verwickelt, sagte Arnold. Das sei eine neue Situation. Zudem räumte er ein, dass es bei der Polizeiausbildung in Afghanistan Versäumnisse gebe.
Christopher Ricke: Gerade haben wir über den Besuch des afghanischen Präsidenten in Berlin berichtet. Ein Mann, der aus einer Region kommt, in der Krieg herrscht. Krieg gegen die Taliban, gegen El Kaida, Krieg in Afghanistan, Krieg im Nachbarland Pakistan. Die USA melden, El Kaida habe in den vergangenen Wochen und Monaten so erhebliche Verluste erlitten, dass man in Afghanistan gar nicht mehr so richtig aktiv sein könne. Die Vereinten Nationen bemühen sich um Hunderttausende Flüchtlinge und Deutschland sucht seine neue Rolle im Krisengebiet. Der Bundeswehrverband hat schon mal eine bessere Ausrüstung der Soldaten gefordert, denn der Verbandschef erkennt eine neue Qualität des Kampfes.
Ich spreche jetzt mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Guten Morgen, Herr Arnold!
Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Wir haben ein Riesenproblem und wir sagen den Afghanen zu, dass wir uns ein bisschen mehr um die Polizeiausbildung kümmern werden als Deutsche. Reicht das?
Arnold: Nein, das alleine reicht nicht, aber die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte – sowohl der Polizei als auch die afghanische Armee – ist natürlich der Schlüssel dafür, dass die deutschen Soldaten eines Tages auch wieder nach Hause gehen können und deshalb ist es wichtig, die Bemühungen in diesem Bereich nochmals deutlich zu intensivieren.
Ricke: Jetzt höre ich aber auch bei Ihrer Partei, der SPD, immer häufiger das Wort "Krieg". Das ist ja ein Begriff, den wir in den letzten Jahren sehr ungern benutzt haben, aber inzwischen spricht man so bei der SPD, manchmal ganz offen, manchmal noch ein bisschen verkleidet, da sagt man dann "kriegsähnliche Szenarien". Macht da Ihre Partei gerade einen Einsichtsprozess durch?
Arnold: Nein, wir haben in der Realität ja eine tatsächliche Veränderung. In der Region Kundus, die seit Jahren im deutschen Verantwortungsbereich im Norden die schwierigste ist, haben wir jetzt seit einigen Wochen zum ersten Mal organisierte, militärische Gefechte. Bisher hatten es die Deutschen dort mit Sprengfallen, mit Selbstmordattentätern zu tun, das ist schlimm genug. Inzwischen haben sich dort aber die Terroristen so organisiert, dass sie die Deutschen in Gefechtssituationen zwingen können. Es ist auch zum ersten Mal in der letzten Woche ein Soldat gestorben und beerdigt worden, der beim Gefecht ums Leben gekommen ist. Insofern haben wir in der Tat im Bereich Kundus eine neue Situation und militärische Gefechte sind in der Tat kriegsähnlich, da dürfen wir sicherlich auch nicht drum herum reden.
Ricke: Jetzt hätte man das natürlich alles in Afghanistan gerne sehr viel besser, man müht sich ja auch redlich seit Jahren, und es gab jetzt auch beim Besuch des afghanischen Präsidenten in Berlin Kritik an ihm, an seiner Amtsführung, Kritik daran, dass er die Korruption nicht ausreichend bekämpft, auf der anderen Seite hat man auch mal gesagt, Hamid Karzai sei nicht sehr viel mehr als der Bürgermeister von Kabul. Hat nicht die Internationale Gemeinschaft versagt, wenn sich die Lage jetzt so verschlechtert?
Arnold: Nein, ich glaube, die Internationale Staatengemeinschaft hat wirklich sehr viel getan, dieses Land zu stabilisieren, und wir haben absolut eine geteilte Sicherheit in diesem Land. Es gibt viele Distrikte, die sind relativ stabil, und wir haben auf der anderen Seite die dramatischen Brennpunkte im Süden, im Osten, und im Norden in der Region Kundus, und in diesen Regionen ist die Auseinandersetzung eben bei Weitem noch nicht entschieden. Die Staatengemeinschaft hat insofern ein Stück weit versagt, als dass die Ausbildung der Polizei in den letzten Jahren viel zu schleppend vorangegangen ist und auch Deutschland hat sich hier nicht immer mit Ruhm bekleckert.
Ricke: Jetzt gibt es ja eine neue Offensive, es gibt in der Weltpolitik einen neuen Ton. Motor der ganzen Bewegung ist die neue US-Regierung. Deutschland lässt sich im Fall Afghanistan auch von den USA etwas mehr in die Pflicht nehmen als von dem Amtsvorgänger Obamas. Müssen wir das denn wirklich alles mitmachen?
Arnold: Nein, wir müssen nicht alles mitmachen, deshalb wird die deutsche Politik auch dabei bleiben: Wir haben im Norden unseren Verantwortungsbereich. Dieser Verantwortung werden wir gerecht. Wir werden nicht in den Süden gehen, was Obama übrigens aber auch gar nicht von uns erwartet. Das Neue in der US-Politik ist ja, dass sie nicht mehr die schützende Hand über die Karsai-Administration halten, und das Neue in der amerikanischen Politik ist, dass sie die Bemühungen zur Ausbildung der afghanischen Sicherheitsorgane verstärken, und das Allerwichtigste ist: Die amerikanischen Partner haben jetzt auch akzeptiert, dass dieser Konflikt letztlich nicht militärisch zu gewinnen ist. Das heißt, man muss auch verhandeln. Dies ist neu, und heißt als zweites ganz besonders: Der zivile Aufbau ist enorm wichtig und die Amerikaner werden selbst in diesem Bereich – so wie die Deutschen und andere Partner auch – viel, viel mehr tun müssen. Insofern haben wir eine Veränderung der amerikanischen Politik und die ist ganz in unserem deutschen Interesse und Sinn. Darüber haben wir viel mit amerikanischen Partnern diskutiert. Die Obama-Administration hat es jetzt glücklicherweise wirklich aufgenommen.
Ricke: Aber wenn Sie bei den USA eine Einsicht darin erkennen, dass der Konflikt durch Krieg nicht zu gewinnen ist, was passiert denn dann gerade in Pakistan, im Grenzgebiet zu Afghanistan?
Arnold: Wir haben Parallelität der Vorgehensweise. Wir haben in diesem Konflikt kriegerische Auseinandersetzungen in einem Tal, im Nachbartal eine ganz andere Situation, da sind wir dabei, aufzubauen, im dritten Tal sind wir dabei, verstärkt auszubilden. Wir haben also eine Parallelität der Ereignisse, und, um auf Ihre Frage noch mal präziser zu kommen: Wir haben natürlich die Problematik, dass im Norden Pakistans keine staatliche Autorität mehr ist. Dass der Norden Pakistans zunehmendes Rückzugsgebiet auch der afghanischen Terroristen geworden ist und inzwischen – und das ist besonders dramatisch – auch die Stabilität in ganz Pakistan in einer Art und Weise bedroht, die uns erhebliche Sorgen machen muss. Wir können nicht wollen, dass am Ende Islamisten am Knopf der Atombombe in Pakistan sitzen und deshalb ist es schon gut, wenn der amerikanische Präsident diese Herausforderung jetzt noch mal deutlicher annimmt und auch die pakistanische Regierung drängt, dort entschlossen gegen Terror vorzugehen.
Ricke: Wenn das so gut ist und wenn man aus deutscher Sicht die USA bei diesem guten Vorgehen unterstützen will, wenn man sich auf die USA einlässt – muss man den Amerikanern dann auch in anderen, problematischen Bereichen helfen, bis hin zur Aufnahme von Guantanamo-Häftlinge in Deutschland?
Arnold: Ich glaube schon, dass es die Obama-Administration verdient hat, dass wir nicht gleich die Rolladen runterlassen, wenn sie uns bitten, Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen. Wir haben dieses Lager jahrelang kritisiert, zu recht kritisiert, es ist völkerrechtswidrig, es ist menschenrechtsverachtend, und insofern, glaube ich, müssen wir jeden Einzelfall prüfen. Und wenn von diesen Menschen – und wir reden von einer starken Handvoll an der Zahl – keine Gefahr für unser Land ausgeht, glaube ich, sollten wir Obama helfen und den Menschen in Deutschland auch eine Zukunft geben.
Ricke: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Vielen Dank!
Ich spreche jetzt mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Guten Morgen, Herr Arnold!
Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Wir haben ein Riesenproblem und wir sagen den Afghanen zu, dass wir uns ein bisschen mehr um die Polizeiausbildung kümmern werden als Deutsche. Reicht das?
Arnold: Nein, das alleine reicht nicht, aber die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte – sowohl der Polizei als auch die afghanische Armee – ist natürlich der Schlüssel dafür, dass die deutschen Soldaten eines Tages auch wieder nach Hause gehen können und deshalb ist es wichtig, die Bemühungen in diesem Bereich nochmals deutlich zu intensivieren.
Ricke: Jetzt höre ich aber auch bei Ihrer Partei, der SPD, immer häufiger das Wort "Krieg". Das ist ja ein Begriff, den wir in den letzten Jahren sehr ungern benutzt haben, aber inzwischen spricht man so bei der SPD, manchmal ganz offen, manchmal noch ein bisschen verkleidet, da sagt man dann "kriegsähnliche Szenarien". Macht da Ihre Partei gerade einen Einsichtsprozess durch?
Arnold: Nein, wir haben in der Realität ja eine tatsächliche Veränderung. In der Region Kundus, die seit Jahren im deutschen Verantwortungsbereich im Norden die schwierigste ist, haben wir jetzt seit einigen Wochen zum ersten Mal organisierte, militärische Gefechte. Bisher hatten es die Deutschen dort mit Sprengfallen, mit Selbstmordattentätern zu tun, das ist schlimm genug. Inzwischen haben sich dort aber die Terroristen so organisiert, dass sie die Deutschen in Gefechtssituationen zwingen können. Es ist auch zum ersten Mal in der letzten Woche ein Soldat gestorben und beerdigt worden, der beim Gefecht ums Leben gekommen ist. Insofern haben wir in der Tat im Bereich Kundus eine neue Situation und militärische Gefechte sind in der Tat kriegsähnlich, da dürfen wir sicherlich auch nicht drum herum reden.
Ricke: Jetzt hätte man das natürlich alles in Afghanistan gerne sehr viel besser, man müht sich ja auch redlich seit Jahren, und es gab jetzt auch beim Besuch des afghanischen Präsidenten in Berlin Kritik an ihm, an seiner Amtsführung, Kritik daran, dass er die Korruption nicht ausreichend bekämpft, auf der anderen Seite hat man auch mal gesagt, Hamid Karzai sei nicht sehr viel mehr als der Bürgermeister von Kabul. Hat nicht die Internationale Gemeinschaft versagt, wenn sich die Lage jetzt so verschlechtert?
Arnold: Nein, ich glaube, die Internationale Staatengemeinschaft hat wirklich sehr viel getan, dieses Land zu stabilisieren, und wir haben absolut eine geteilte Sicherheit in diesem Land. Es gibt viele Distrikte, die sind relativ stabil, und wir haben auf der anderen Seite die dramatischen Brennpunkte im Süden, im Osten, und im Norden in der Region Kundus, und in diesen Regionen ist die Auseinandersetzung eben bei Weitem noch nicht entschieden. Die Staatengemeinschaft hat insofern ein Stück weit versagt, als dass die Ausbildung der Polizei in den letzten Jahren viel zu schleppend vorangegangen ist und auch Deutschland hat sich hier nicht immer mit Ruhm bekleckert.
Ricke: Jetzt gibt es ja eine neue Offensive, es gibt in der Weltpolitik einen neuen Ton. Motor der ganzen Bewegung ist die neue US-Regierung. Deutschland lässt sich im Fall Afghanistan auch von den USA etwas mehr in die Pflicht nehmen als von dem Amtsvorgänger Obamas. Müssen wir das denn wirklich alles mitmachen?
Arnold: Nein, wir müssen nicht alles mitmachen, deshalb wird die deutsche Politik auch dabei bleiben: Wir haben im Norden unseren Verantwortungsbereich. Dieser Verantwortung werden wir gerecht. Wir werden nicht in den Süden gehen, was Obama übrigens aber auch gar nicht von uns erwartet. Das Neue in der US-Politik ist ja, dass sie nicht mehr die schützende Hand über die Karsai-Administration halten, und das Neue in der amerikanischen Politik ist, dass sie die Bemühungen zur Ausbildung der afghanischen Sicherheitsorgane verstärken, und das Allerwichtigste ist: Die amerikanischen Partner haben jetzt auch akzeptiert, dass dieser Konflikt letztlich nicht militärisch zu gewinnen ist. Das heißt, man muss auch verhandeln. Dies ist neu, und heißt als zweites ganz besonders: Der zivile Aufbau ist enorm wichtig und die Amerikaner werden selbst in diesem Bereich – so wie die Deutschen und andere Partner auch – viel, viel mehr tun müssen. Insofern haben wir eine Veränderung der amerikanischen Politik und die ist ganz in unserem deutschen Interesse und Sinn. Darüber haben wir viel mit amerikanischen Partnern diskutiert. Die Obama-Administration hat es jetzt glücklicherweise wirklich aufgenommen.
Ricke: Aber wenn Sie bei den USA eine Einsicht darin erkennen, dass der Konflikt durch Krieg nicht zu gewinnen ist, was passiert denn dann gerade in Pakistan, im Grenzgebiet zu Afghanistan?
Arnold: Wir haben Parallelität der Vorgehensweise. Wir haben in diesem Konflikt kriegerische Auseinandersetzungen in einem Tal, im Nachbartal eine ganz andere Situation, da sind wir dabei, aufzubauen, im dritten Tal sind wir dabei, verstärkt auszubilden. Wir haben also eine Parallelität der Ereignisse, und, um auf Ihre Frage noch mal präziser zu kommen: Wir haben natürlich die Problematik, dass im Norden Pakistans keine staatliche Autorität mehr ist. Dass der Norden Pakistans zunehmendes Rückzugsgebiet auch der afghanischen Terroristen geworden ist und inzwischen – und das ist besonders dramatisch – auch die Stabilität in ganz Pakistan in einer Art und Weise bedroht, die uns erhebliche Sorgen machen muss. Wir können nicht wollen, dass am Ende Islamisten am Knopf der Atombombe in Pakistan sitzen und deshalb ist es schon gut, wenn der amerikanische Präsident diese Herausforderung jetzt noch mal deutlicher annimmt und auch die pakistanische Regierung drängt, dort entschlossen gegen Terror vorzugehen.
Ricke: Wenn das so gut ist und wenn man aus deutscher Sicht die USA bei diesem guten Vorgehen unterstützen will, wenn man sich auf die USA einlässt – muss man den Amerikanern dann auch in anderen, problematischen Bereichen helfen, bis hin zur Aufnahme von Guantanamo-Häftlinge in Deutschland?
Arnold: Ich glaube schon, dass es die Obama-Administration verdient hat, dass wir nicht gleich die Rolladen runterlassen, wenn sie uns bitten, Guantanamo-Häftlinge aufzunehmen. Wir haben dieses Lager jahrelang kritisiert, zu recht kritisiert, es ist völkerrechtswidrig, es ist menschenrechtsverachtend, und insofern, glaube ich, müssen wir jeden Einzelfall prüfen. Und wenn von diesen Menschen – und wir reden von einer starken Handvoll an der Zahl – keine Gefahr für unser Land ausgeht, glaube ich, sollten wir Obama helfen und den Menschen in Deutschland auch eine Zukunft geben.
Ricke: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Vielen Dank!